Cool and the Gang

Der Club der Eisbären – die älteste Eisschwimmervereinigung der USA hat ihren Sitz am Boardwalk von Coney Island

Es ist der 1. Januar. Die Lufttemperatur hält sich knapp unter dem Gefrierpunkt. Unter dem stahlgrauen Himmel bläst eisig der Wind. Zehn Grad hat der Ozean. Das Meer ist stets unfreundlich, hat der Schriftsteller Joseph Conrad gesagt. Heute ist es nicht nur unfreundlich; es ist geradezu gehässig. Die 300 wartenden Menschen auf der Promenade wirken, als hätten sie sich in der Jahreszeit geirrt. Oder im Ort.

Ein Mexikaner blickt staunend auf die Menschen, die langsam beginnen, ihre Winterkleidung in mitgebrachte Taschen zu stopfen. Der Mexikaner schiebt einen Einkaufswagen mit seiner Habe vor sich her. Er öffnet ein „Tecate Beer“ und trinkt es in einem Zug leer. Er zuckt mit den Schultern und zieht sich ebenfalls aus.

Die meisten, die heute schwimmen, machen das nur einmal im Jahr, an Neujahr. Aber der harte Kern der Eisheiligen, 50 etwa, versammelt sich jeden Sonntag, von Oktober bis April, um Louis Scarcella, 57 Jahre alt und Präsident des „Coney Island Eisbären-Clubs“. Punkt elf Uhr. Der barfüßige Scarcella trägt eine weiße „Eisbären“-Mütze auf dem Kopf und sonst nur eine knappe Badehose. Er grüßt mit Handschlag und Nicken auch diejenigen, die er heute nicht kennt.

Früher war Louis Scarcella Kommissar bei der New Yorker Polizei, Abteilung Mord. Den Dienst hat er 2000 nach 20 Jahren quittiert. Seitdem steht er den New Yorker Eisbären vor. Die Satzung schreibt vor, dass kein Bär mehr als zwei Termine im Jahr versäumen darf. Scarcella hat in den vergangenen acht Jahren insgesamt nur zwei Treffen nicht wahrgenommen: als seine Mutter begraben wurde und beim Schulabschlussball seiner Tochter. „Als Kommissar hatte ich mehr Krankheitstage“, sagt er.

Der „Coney Island Eisbären-Club“ ist die älteste Winterschwimmvereinigung der USA. Gegründet wurde sie 1903 von einem gewissen Bernarr Macfadden, der meinte, dass „unser Körper unser wertvollster Besitz ist und Gesundheit unser größtes Kapital …, dass Schwäche ein Verbrechen ist…, dass jeder Mann ein vitaler Vertreter der Virilität sein kann, jede Frau ein souveränes Beispiel für Feminität“.

Manche hielten ihn für einen Spinner, andere sahen in ihm einen Pionier der Körperkultur, der gesunden Ernährung und der alternativen Medizin, einen Gegner der Prüderie und Anwalt der Frauenrechte, vor allem des Rechts auf Sport. Der Fitnesspapst verfasste mehr als 100 Bücher zu Gesundheit, Sexualität und Körperkultur und wurde Millionär. Zu seinen Bewunderern zählten Franklin D. Roosevelt, Shirley Temple und Clark Gable.

Macfadden glaubte, dass ein Bad im Winter Wunder wirkt. Er wurde 87. Nach seinem Tod schrumpfte die Eisbärenfamilie auf ein halbes Dutzend, doch sie erholte sich wieder. In den achtziger Jahren trafen sich die Kältefreaks in einer Rettungsschwimmerstation, in den Neunzigern zogen sie sich in einer Bauarbeiterlatrine auf Coney Islands Boardwalk um. Seit Kurzem haben die Eisbären ein Klubhaus, im Aquarium. Mit Heizung und fließend warmem Wasser. So gut wie heute hatten sie es noch nie.

„Wir reinigen uns. Wir gehen ins Wasser, um unsere Körper und unsere Seelen zu säubern“, erklärt Louis Scarcella einem jungen Paar aus Manhattan. Die beiden sind zum ersten Mal dabei, kuscheln sich aneinander, um sich zu wärmen. Scarcellas Haut ist braun. Seine Tätowierungen sind ausgeblichen von Sonne und Zeit. Jemand hält ihm einen Flachmann hin. Er schüttelt den Kopf. Getrunken hat er, als er bei der Polizei war. Den Morgenrock, den jemand anbietet, lehnt er ebenfalls ab.

Vor Scarcella liegt der Atlantik. Er ist in der schmucklosen Häuserzeile dahinter aufgewachsen, die den Anfang der Stadt macht, die erste Erhebung im Häusermeer. Die braunen und grauen Gebäude sollen weg. Bauunternehmer planen eine Luxusmeile in Coney Island. „Hier ist kein Ort für Reiche“, sagt Scarcella. „Die verstehen nicht, dass Öl und Wasser sich nicht mischen.“


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mare No. 70

No. 70Oktober / November 2008

Jeden Sonntag um elf Uhr gehen die „Coney Island Polar Bears“ ins kalte Wasser. Gegründet wurde der Klub vor 100 Jahren von einem Gesundheitspapst. Auch diese Eisbären sind vom Klimawandel bedroht

Autor Michael Saur, Jahrgang 1967, lebt seit 1994 in New York und ist auch eisbaden gegangen – bis zu den Knien. Fotograf Michele Borzoni, geboren 1979, mag es ebenfalls wärmer. Er kommt aus Florenz.

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Vita Autor Michael Saur, Jahrgang 1967, lebt seit 1994 in New York und ist auch eisbaden gegangen – bis zu den Knien. Fotograf Michele Borzoni, geboren 1979, mag es ebenfalls wärmer. Er kommt aus Florenz.
Person Jeden Sonntag um elf Uhr gehen die „Coney Island Polar Bears“ ins kalte Wasser. Gegründet wurde der Klub vor 100 Jahren von einem Gesundheitspapst. Auch diese Eisbären sind vom Klimawandel bedroht
Vita Autor Michael Saur, Jahrgang 1967, lebt seit 1994 in New York und ist auch eisbaden gegangen – bis zu den Knien. Fotograf Michele Borzoni, geboren 1979, mag es ebenfalls wärmer. Er kommt aus Florenz.
Person Jeden Sonntag um elf Uhr gehen die „Coney Island Polar Bears“ ins kalte Wasser. Gegründet wurde der Klub vor 100 Jahren von einem Gesundheitspapst. Auch diese Eisbären sind vom Klimawandel bedroht