Churchills liebste Leidenschaft

Nicht nur in den Augen der Briten war Winston Churchill ein ­politischer Gigant, Nationalheld, literarischer Überflieger, ­charismatischer Exzentriker – und ein begabter Hobbymaler

Der Käufer blieb anonym, ein Telefonbieter. Die Verkäuferin dagegen nicht, erwartungsgemäß. Es war die US-Schauspielerin Angelina Jolie, zu deren Kunstsammlung das Werk seit 2011 gehörte – ein Geschenk ihres (inzwischen Ex-)Ehemanns Brad Pitt, ebenfalls Filmstar.

Es war nicht das erste Gemälde von Winston Churchill, das bei einer Auktion Aufsehen erregte, aber vermutlich hatte nicht zuletzt der glamouröse Vorbesitz den Preis in finanzielle Exosphären gejagt. Und doch fragte sich nicht nur die Fachwelt, wie es möglich sei, dass das Werk eines Amateurmalers solchen Erfolg auf dem Kunstmarkt erzielt. Vermutlich hatte die breitere Öffentlichkeit auf diese Weise überhaupt zum ersten Mal von dem Lieblingshobby Churchills erfahren. Churchill, der politische Gigant – ein Maler?

Über ihn sind mehr Bücher geschrieben worden als über jede andere Figur der jüngeren Geschichte; etliche Meter füllen die Biografien, und zählt man seine eigenen Schriften hinzu, entsteht die Bibliothek eines Menschen, der mit wenigen Worten nicht zu beschreiben ist, es sei denn, man fürchtet sich nicht vor Pathos (so wie Churchill). 

Wie soll man diese Person erfassen, diesen exzentrischen Koloss, diesen Erzkonservativen, der mit Humor und Chuzpe, mit frappanter Intelligenz und Vir­tuosität der Sprache zum Heros einer schreckenerregenden Epoche wurde? Der das westliche Europa vor Hitler (und teilweise vor Stalin) zu retten half, den Nobelpreis für Literatur erhielt, zum bestbezahlten Kolumnisten seiner Generation wurde und mit Reden an die Nation, nein, an die Menschheit, wie niemand zuvor und danach Lebensmut und Widerstandskraft seiner Landsleute weckte? 

Geboren wurde er 1874 in die britische Hocharistokratie im Blenheim Palace, einem der prächtigsten Schlösser des Königreichs, als Sohn des Mitbegründers der Konservativen Partei (der als Drittgeborener den Titel Duke of Marl­borough nicht tragen durfte) und einer US-Millionärstochter – der Silberlöffel war dem jungen Winston nicht fremd. Er durchlief standesgemäße Eliteinternate, deren herzlose, teilweise brutale Erziehungsrituale ihn zum Sitzenbleiber machten und ihm zeitlebens verhasst blieben. Erst auf der Militärakademie entfaltete sich seine Begabung; dort erwarb er sich eine profunde klassische Bildung, und noch als Kadett begann er zu schreiben. 

Als Kriegsberichterstatter nahm er an mehreren Kolonialkriegen teil und schrieb neben seinen Reports auch Bücher, die ihm in Kreisen zu moderatem Heldenstatus verhalfen. Nun lockte ihn die Politik. Zuerst seit 1901 bei den Konservativen, später, nach einem taktischen Wechsel, bei den Liberalen debattierte er sich in einen Ruf als selbstbewuss­ter, draufgängerischer Parlamentarier, der keine Kontroverse scheute und mit seiner Eloquenz auch Gegner beeindruckte. Der Kampf schien ihm ein Lebenselixier zu sein.

1911 wurde er zum Marineminister ernannt. Nach Anfangserfolgen kam der einschneidende Rückschlag. Seine von ihm im Ersten Weltkrieg befohlene Landeoperation in den Dardanellen, mit denen die Alliierten die Mittelmächte Deutschland und Österreich vom verbündeten Osmanischen Reich zu trennen versuchten, misslang derart gründlich (und opferreich), dass er sich 1915 zum Rückzug aus dem Amt veranlasst sah. 

Die tiefe Depression, die Churchill über diese Schmach erlitt und die seiner Umgebung ernste Sorgen machte, versuchte er mit Schreiben zu therapieren – und mit einem Hobby, zu dem ihm Gwendoline, genannt Goonie, seine Schwägerin, verhalf.


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mare No. 172

mare No. 172Oktober / November 2025

Von Karl Spurzem

mare-Chefredakteur Karl Spurzem, 1959 im Rheinland geboren, ist Kunsthistoriker. Seine Sicht auf Amateurmalerei ist befangen, seit er als Student mit konstruktivistischen Collagen experimentierte.

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