Cherchez la femme!

Was ist der Magnet des fernen Polynesiens? Die Vorstellung, dass Frauen dort mit ihren Reizen nie geizen. Eine Momentaufnahme

Mein Job beginnt am Eingang zur Ankunftshalle des Faaa International Airport. Sie trägt ein Kleid mit Blumenmuster und schenkt jedem Passagier eine weiße Frangipaniblüte. Die erste leibhaftige Tahitianerin, der ich in meinem Leben begegne. Glänzend schwarzes Haar fällt auf zierliche Schultern, sie ist jung, sie ist schön, und ich möchte sie anlächeln, doch sie schenkt keinem der ankommenden Passagiere einen Blick. Hoffentlich ist das kein schlechtes Zeichen, schließlich lautet mein Auftrag, mir ein Bild von den Frauen Tahitis zu machen, aber wenn sie niemanden ansehen, wird die Arbeit weniger lustig.

Ich falle ins Hotelbett, nach 30 Reisestunden von Hamburg bis Tahiti. Am Einschlafen hindert mich ein Gedanke: Warum hat sie nicht gelächelt? Ich habe gelesen, die Tahitianer seien ein freundliches Volk. Ist es, weil wir Passagiere transpirieren? Die Tahitianer, habe ich recherchiert, seien ein reinliches Volk. Damals zumindest, im 18. Jahrhundert, als die Berichte der ersten Tahiti-Reisenden die europäischen Salons in Aufruhr versetzten. Vor allem das Gebaren der Frauen erregte die feine Gesellschaft. Es hieß, sie tanzten nackt und glücklich, wie Gott sie geschaffen, auf der Insel umher, und, hier stockte der Atem, sie praktizierten, was wir heute eine frühe Form der freien Liebe nennen würden. Jede mit jedem, jederzeit, überall. Man darf, glaube ich, sagen, ohne Tahitis Frauen hätte es den Mythos Tahiti nie gegeben.

Oder richtiger, ohne das Bild von Tahitis Frauen, denn mir scheint, erst die Auswahl der Berichte hat die Sensation ermöglicht. Zu jeder Beschreibung kann man nämlich mit Leichtigkeit eine gegenteilige und, sagen wir’s ruhig: langweilige finden, die wenig Stoff zum Träumen bietet. Louis-Antoine de Bougainville etwa vermittelte den Eindruck, das gesamte Frauenpersonal Tahitis hätte sich beim Anblick der anlandenden Matrosen freudig auf den Rücken geworfen. James Cook und Georg Forster dagegen schrieben nüchtern, dass es vornehmlich Huren waren, die einladende Geste also ihr Geschäft. Da wären wir wieder beim Geruch. Wenn wir Flugpassagiere schon nach nur 30 Stunden, wie müssen erst die Matrosen nach Monaten auf See tränentreibende Ausdünstungen versendet haben? Und dann sollen alle Frauen freudig …? Aber das mögen die Historiker sortieren, mich interessiert die Gegenwart: vahine von Tahiti, mythisches Urweib, samtenes Objekt aller möglichen Begierden, schaumgeborene pazifische Schwester – was machst du eigentlich im richtigen Leben?

Zuerst fallen diese Gesichter auf, Gesichter, in denen die halbe Welt liegt. Der gesamte südpazifische Raum spiegelt sich darin, von Neuseeland über Neuguinea bis Hawaii, darüber hinaus Südostasien, die USA, Europa. Zwei Drittel der Bevölkerung bezeichnen sich als Polynesier. Die „demis“, Halbe, genannte Gruppe polynesisch-europäischer oder polynesisch-chinesischer Herkunft macht 16 Prozent aus, Europäer zwölf und Chinesen fünf Prozent.

Ein riesiger Genpool, aus dem die unterschiedlichsten Physiognomien auftauchen. Ich will wissen: Wer gilt in dieser gemischten Gesellschaft als schön? Ich erfahre: Zwei Schönheitsköniginnen regieren die Insel. Zur Miss Tahiti gewählt wird eine Schöne mit europäischen Modelmaßen und einem Hauch Exotik, aber nicht zu viel. Miss Tahiti muss nämlich weiter zur Miss-Frankreich-Wahl, wo sie mit Miss Bretagne und Miss Normandie konkurriert. Tahiti liegt schließlich in Frankreich. Deshalb haben die meisten Miss Tahitis irgendwo in ihrer Genealogie europäische Vorfahren.


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mare No. 42

No. 42Februar / März 2004

Von Judith Reker

Judith Reker, mare-Volontärin, hat eine Poriho-Muschel von Tahiti mitgebracht. Darin hört sie Geschichte rauschen. Bis vor 20 Jahren kassierten Kinder in manchen Schulen im Unterricht eine Poriho-Muschel, sobald sie tahitianisch sprachen. Am Ende der Stunde setzte es eine Tracht Prügel für jeden, der eine Muschel hatte.

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Vita Judith Reker, mare-Volontärin, hat eine Poriho-Muschel von Tahiti mitgebracht. Darin hört sie Geschichte rauschen. Bis vor 20 Jahren kassierten Kinder in manchen Schulen im Unterricht eine Poriho-Muschel, sobald sie tahitianisch sprachen. Am Ende der Stunde setzte es eine Tracht Prügel für jeden, der eine Muschel hatte.
Person Von Judith Reker
Vita Judith Reker, mare-Volontärin, hat eine Poriho-Muschel von Tahiti mitgebracht. Darin hört sie Geschichte rauschen. Bis vor 20 Jahren kassierten Kinder in manchen Schulen im Unterricht eine Poriho-Muschel, sobald sie tahitianisch sprachen. Am Ende der Stunde setzte es eine Tracht Prügel für jeden, der eine Muschel hatte.
Person Von Judith Reker