Cheerio, Señor Nelson!

Ein Longdrink aus Gin und Algen ist die jüngste Kreation eines Sternekochs. Manche meinen, es sei Spaniens Rache an England

Angel León ist ein furchtloser Mann. Umgeben von Destillerien und Bodegas, hat der andalusische Sternekoch einen Cocktail kreiert, dessen Zutaten zum Teil aus Großbritannien stammen. Ausgerechnet Großbritannien. Den „Sea Tonic“ serviert er in dem Küstenort El Puerto de Santa María, direkt neben der Stadt Jerez, deren Namen die Engländer nicht aussprechen können und die sie deshalb Sherry nennen, wie den hiesigen Wein. Ein paar Meter von seinem Restaurant „Aponiente“ entfernt wird seit 250 Jahren ein Wahrzeichen Spaniens gebrannt, Brandy der Marke Osborne.

Doch weder Brandy noch Sherry haben den besten Koch der Region inspiriert. Es mussten Londoner Gin und nordenglisches Tonic Water sein. Hier, neben der britischen Exklave Gibraltar und dem Kap von Trafalgar, wo Lord Nelson die spanische Armada von den Seekarten gefegt hat, serviert Ángel León „Fifty Pounds“ und „Fentimans“ mit einer maritimen Note. Vorerst steht der Drink noch nicht auf der Karte. „Wir sind in der Probephase. Noch schmeckt der Sea Tonic den Ausländern besser als den Einheimischen“, sagt Sommelier Juan Ruiz.

Die haben noch nicht verstanden, dass das neue Rezept keine Reverenz an die einstige Großmacht ist, sondern ein Degenstich. Denn der Koch und sein Sommelier haben zum Besten britischer Destillerien das Einzigartige der andalusischen Atlantikküste gemischt: Graugrüner Meeresspargel, rotbraune Algen und spinatgrünes Plankton sind die neuen Waffen gegen die einstigen Sieger. „Das macht uns so schnell keiner nach“, sagt Juan Ruiz, während er in einem weißen Keramiktöpfchen eine glibberige Masse verrührt: pulverisierte und nun gewässerte Einzeller des Meeres. Das Phytoplankton kostet 1800 Euro das Kilo und wird im benachbarten Nationalpark Coto de Doñana in Meerwasserbassins gezüchtet, „niemand sonst hat so einen Planktongarten“. Das dunkelgrüne Püree gibt es nur im „Aponiente“, während der dickfleischige Meeresspargel und die fransigen Rotalgen gängige Zutaten in vielen Küchen sind.

Nun rührt Ruiz einen Teelöffel davon in ein zwei Finger hoch mit Gin gefülltes Whiskyglas. „Erst wenn sich das Plankton auflöst, gibt es sein Aroma frei“, sagt er, während Ángel in der Küche für den Abend eine Suppe aus Lengfisch, Napfschnecken, schwarzem Trüffel und Eigelb rührt. Als der farblose Wacholderschnaps allmählich hellgrün wird, kommen ein Büschel Algen und zwei dicke Eiswürfel dazu. Schließlich gießt der Sommelier alles mit Tonic Water auf, steckt einen Meeresspargel hinein und sagt „salud!“.

Ich koste und frage mich dabei, ob dieser Meerescocktail mehr nach Gin oder mehr nach Algen schmecken wird, mehr nach Sieg oder mehr nach Niederlage. Der erste Schluck ist ein Punktsieg der Engländer, denn der samtige „Fifty Pounds“ macht sich sofort breit, legt sich auf die Schleimhäute und aromatisiert die Mundhöhle, sekundiert von dem leichten Geschmack nach Zitronengras des „Fentimans“-Tonics. Von Meer keine Spur.

„Jetzt müssen Sie vom Meeresspargel abbeißen“, sagt Juan, der mir von der anderen Seite des Tresens aufmerksam zuschaut. Im Mund macht sich ein frisch-salziger Effekt breit.

Ich rühre weiter und rieche. Ebbe. Austern. Entenmuscheln. Nach ein paar Schlucken und Geknabber an Spargel und Algen herrscht Unentschieden. „Jetzt müsste er eigentlich da sein“, sagt Juan, als das Glas nur noch zwei Finger hoch voll ist. „Die Idealzeit zum Trinken sind sieben Minuten, danach oxidiert das Plankton und bekommt einen spinatartigen, fast rostigen Geschmack“, sagt der Sommelier und fordert mich auf, den letzten Rest Historie hinunterzukippen. Ich wage es. Es ist wie ein Abtauchen. Es schmeckt wie ein Schluck Wasser vom Meeresgrund, eiskalt und alkalisch.

Der Sea Tonic ist nicht nur Spaniens Rache an den Engländern, er ist auch der ideale Drink nach einem Strandtag. Den nächsten werde ich auf Lord Nelsons Wohl nehmen. Der ist hier gefallen, wenn auch nicht beerdigt. Die Leute des Admirals haben seine Leiche in einem Fass Branntwein konserviert und nach London zur Bestattung geschickt.


Sea Tonic (à la Ángel León)

Zutaten und Zubereitung

In den Gin ein bis zwei Büschel Rotalgen legen, Eis darauf und mit Tonic Water aufgießen. Einen frischen Meeresspargel (auch Salicorne oder Queller genannt) hineinstellen. Die Algen fischt man während des Trinkens mit dem Quellerstengel heraus und isst sie. Queller ist über den Schweizer Anbieter Marinello Picobello (www.marinello.ch oder www.hogashop.ch) zu beziehen, oder man pflückt ihn selbst im Watt. Gekühlt hält Queller etwa drei Wochen. Erst kurz vor dem Verzehr waschen. Frische Rotalgen kann man unter anderem bei www.gourmantis.de beziehen. Das Planktonpüree gibt es leider nur im Nationalpark Doñana zu kaufen.

Restaurante Aponiente
Calle Puerto Escondido 6,
El Puerto de Santa María, Spanien,
Telefon: 0034-956-851870; geöffnet Di–Sa
14–15.30 sowie 21–22.30 Uhr; So, Mo
geschlossen. www.aponiente.com

mare No. 90

No. 90Februar / März 2012

Von Brigitte Kramer und Juan Valbuena Carabaña

Brigitte Kramer, 1967 in München geboren, lebt seit vielen Jahren in Spanien, fast ihr halbes Leben.

Juan Valbuena Carabaña wurde 1973 in Madrid geboren, wo er theoretische Physik studierte. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Agentur NOPHOTO.

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Juan Valbuena Carabaña wurde 1973 in Madrid geboren, wo er theoretische Physik studierte. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Agentur NOPHOTO.
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Juan Valbuena Carabaña wurde 1973 in Madrid geboren, wo er theoretische Physik studierte. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Agentur NOPHOTO.
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