Wer zu den Kapverdischen Inseln fliegt, landet im Schatten seines Namens. Der Flughafen der Hauptstadt Praia ist nach ihm benannt, ebenso wie Straßen, Plätze, Schulen. Auf einem großen Rondell vor dem Airport von Bissau steht er ebenfalls, überlebensgroß und in Bronze. Auch in der heruntergekommenen Metropole von Guinea-Bissau tragen Straßen, Apotheken und Kulturclubs seinen Namen; an jedem Nationalfeiertag senken sich vor seinem Mausoleum die Fahnen, und „Sol Maior Para Comanda“, die Ruhmeshymne auf ihn von der Band Super Mama Djombo, scheppert aus allen Lautsprechern. Der Name des toten Amílcar Cabral scheint noch einmal den Teil des portugiesischen Kolonialreichs zu einen, den der Lebende mit Erfolg bekämpft und zerstört hat.
Geboren wird der Gründer und Führer der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung für Guinea-Bissau und die Kapverdischen Inseln 1924 auf dem Festland, wo sein Vater in einem Provinzstädtchen der portugiesischen Kolonie Guinea, die zur Unterscheidung vom französischen Guinea den Zusatz „Bissau“ trägt, als Lehrer arbeitet. Aber die Familie stammt von den Kapverdischen Inseln, und sie kehrt dorthin zurück, als der Sohn acht Jahre alt wird. Er wächst auf in Mindelo, der wichtigsten Hafenstadt auf São Vicente, die lange als Versorgungsstation für die Schiffsrouten Europa–Südafrika–Indien diente und daher weltoffener ist als andere Orte des Archipels.
Dessen neun bewohnte Inseln, 460 Kilometer vor der Westküste Afrikas, mit gut einer halben Million Einwohner, sind seit 500 Jahren unter portugiesischer Herrschaft. Sie sind noch nicht Afrika und nicht mehr Europa, für die Portugiesen ein Brückenkopf weißer Kultur, getragen von einer schwarzen Bevölkerung, aber in Wahrheit ein Armenhaus, dessen Bewohner immer ärmer werden. Ein halbes Jahrtausend lang sind die Kolonialherren an den Profiten durch Sklavenhandel und der Ausbeutung billiger, aus Afrika importierter Arbeitskräfte mehr interessiert gewesen als an der Entwicklung der Inseln. Die Landwirtschaft blieb unterentwickelt, die Verteilung des Landbesitzes extrem ungleich, das Heer der Besitzlosen wurde größer, und die Bodenerosion, begünstigt durch Wassermangel und falsche Anbaumethoden, verstärkte sich. Weniger als zehn Prozent der Gesamtfläche sind kultiviert.
In den 1930er- und 1940er-Jahren werden die ökonomischen und sozialen Verhältnisse auf den Kapverden katastrophal. In den ersten 50 Jahren des 20. Jahrhunderts, so hält Cabral später fest, kommen auf den Inseln etwa 135 000 Menschen durch Unterernährung ums Leben. In seiner eigenen Familie leidet niemand Hunger, aber der empfängliche Heranwachsende ist Augenzeuge eines langen, leisen Todeskampfs. „Ich sah Menschen an Hunger sterben auf den Kapverden. Das ist die fundamentale Ursache für meine Revolte.“
Cabral begreift, dass die kolonisierten Schwarzen seiner Heimat zu den Verdammten dieser Erde gehören, die von den weißen Herrschern nicht nur um ihre existenziellen Rechte, sondern auch um ihr Selbstbewusstsein und ihre Identität gebracht werden. Schon als Schüler verfasst er Beiträge für einen lokalen Rundfunksender, schreibt Gedichte und proklamiert ein neues Selbstbewusstsein der Deklassierten. Mit 18 Jahren veröffentlicht er die Erzählung „Fidemar“, deren Held ein junger Kapverdier ist, der an den Lebensbedingungen auf seinen Inseln verzweifelt, sie verlässt und davon träumt, als ihr Befreier zurückzukehren, dann aber in einem Gefecht auf See ums Leben kommt.
Cabral wächst in zwei Kulturen auf, einer schwarzen, die ihn emotional und moralisch prägt, und einer weißen, die ihn intellektuell fordert und sozial fördert. Der begabte junge Mann, der 1943 sein Abitur macht, fällt auf und bekommt ein Stipendium für das Studium tropischer Landwirtschaft in Lissabon. Er ist jetzt eigentlich dazu bestimmt, ein assimilado zu werden, einer der wenigen Schwarzen, die den Aufstieg zum Bildungs- und Einkommensniveau der Weißen schaffen und ihre Wurzeln dabei meist verlieren oder verleugnen.
Cabral schließt sein Studium 1950 ab und geht bald darauf als Landwirtschaftsingenieur nach Afrika. Er hat eine vielversprechende Laufbahn vor sich. Doch seit 1932 regiert in Lissabon der sittenstrenge Wirtschaftsprofessor António de Oliveira Salazar, der den Staat zur klerikal-autoritären Diktatur des „Estado Novo“ umgebaut hat. Und wie im Mutterland, so werden auch in den Kolonien alle Reformbestrebungen unterdrückt und Oppositionelle mundtot gemacht.
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Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, ist Autor in Hamburg. Er folgte im 2015 Cabrals Spuren auf einer Expedition mit Arved Fuchs. Auf der Fahrt machte dessen Kutter Station auf den Kapverden und segelte von dort in sechs Tagen zur Küste Guinea-Bissaus und zum Bissagos-Archipel. Der Name des Unabhängigkeitskämpfers ist noch überall bekannt, aber wenn er fällt, so sagte es ein junger Mann, „treten keine Tränen mehr in unsere Augen“.
Vita | Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, ist Autor in Hamburg. Er folgte im 2015 Cabrals Spuren auf einer Expedition mit Arved Fuchs. Auf der Fahrt machte dessen Kutter Station auf den Kapverden und segelte von dort in sechs Tagen zur Küste Guinea-Bissaus und zum Bissagos-Archipel. Der Name des Unabhängigkeitskämpfers ist noch überall bekannt, aber wenn er fällt, so sagte es ein junger Mann, „treten keine Tränen mehr in unsere Augen“. |
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Person | Von Peter Sandmeyer |
Vita | Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, ist Autor in Hamburg. Er folgte im 2015 Cabrals Spuren auf einer Expedition mit Arved Fuchs. Auf der Fahrt machte dessen Kutter Station auf den Kapverden und segelte von dort in sechs Tagen zur Küste Guinea-Bissaus und zum Bissagos-Archipel. Der Name des Unabhängigkeitskämpfers ist noch überall bekannt, aber wenn er fällt, so sagte es ein junger Mann, „treten keine Tränen mehr in unsere Augen“. |
Person | Von Peter Sandmeyer |