Charly Behrensen, Cuxhaven

Wer erzählt die besten Geschichten vom Meer? Menschen, die den Ozean erlebt haben.

Als junger Mann habe ich nicht verstanden, warum man heiratet, um später dann vor seiner Frau davonzulaufen. Ich will nicht sagen, dass sich daran nach einigen Jahrzehnten Eheleben und fünf Kindern etwas geändert hat. Irgendwann aber wurde mir klar: Wenn einem, damals in den sechziger Jahren, das Handtaschengeschwader von Cuxhaven auf den Fersen war, gab es wenig zu lachen. Nach dem Einlaufen der Fischdampfer und dem Löschen der Ladung gingen die Männer zunächst artig nach Hause. Am nächsten Morgen, pünktlich um elf, wurde dann die Heuer im Lohnbüro ausbezahlt, gleich an der Pier. Nur Fischer hatten Zutritt zu dem Gelände, das von einer hohen Mauer umgeben war, denn es hatten sich einige Unfälle ereignet, bei denen Leute ins Hafenbecken gefallen waren. Die Ehefrauen warteten hinter einem vergitterten Tor, der einzigen Zufahrt. Alle hatten sich fein angezogen, denn es war ein großer Tag, wenn die Heuer ausbezahlt wurde, der Tag, an dem man seine Frau in der Stadt ausführte.

In Nachbarschaft der Lohnstube, etwa zwei Kutterlängen entfernt, befand sich ein kleines Geschäft, eine Mischung aus Kneipe und Kiosk, das „Buckel-Willi“ gehörte. Genau bei „Buckel-Willi“ begannen die Probleme. „Ich geh nur mal eben eine Zeitung holen“ oder „Bin eben bei Buckel-Willi ein Bier trinken“, riefen die Fischer Richtung Tor. Meist blieb es nicht dabei, das wusste jeder.

„Kommst du wohl zurück, du elender Schuft!“, hallte es dann auf der anderen Seite der Mauer – und dann begann ein Wettlauf. Ich habe oft die Seeleute die Pier herunterrennen sehen – und hinter der Mauer ihre Gattinnen. Eben das Handtaschengeschwader. Während die einen ihren Lohn vor allem in Bier investieren wollten, waren die Frauen darauf bedacht, das Einkommen der Familie in Sicherheit zu bringen. Was am Zahltag auf den Tisch kam, musste bis zum nächsten Fang reichen.

Den Wettlauf gewann, wer als Erster am Ende der einige hundert Meter langen Pier ankam, wo eine Fähre für zehn Pfennig auf die andere Seite des Hafenbeckens übersetzte. Dort warteten Taxen, die in den „Seestern“ fuhren, in den „Schwäbischen Hof“ oder den „Reichsadler“, wie die Lokale damals hießen. Im „Schwäbischen Hof“ durfte offiziell von Mitternacht bis sechs Uhr morgens kein Alkohol ausgeschenkt werden, aber das machte keinen Unterschied. Für den Fall, dass die Polizei kontrollierte, standen Tassen mit Hühnerbrühe auf den Tischen. Zur Tarnung.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 68. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 68

No. 68Juni / Juli 2008

Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt

Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.

Mehr Informationen
Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt
Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt