Buster Keaton fährt zur See

Neben Charlie Chaplin war Buster Keaton Hollywoods größter Stummfilmstar. Und seinen größten Erfolg drehte er auf einem alten Dampfer

Es wäre ein ungewöhnlicher Unfall gewesen, dem der Mann unter dem Helm fast zum Opfer gefallen wäre. Ein prominent besetzter noch dazu. Joseph Frank Keaton, besser bekannt als „Buster“, war im Jahr 1924 ein anerkannter Hollywoodstar mit einem nach ihm benannten Studio, dessen Geldgeber seine künstlerische Unabhängigkeit absicherten und der das Kinopublikum mit todernstem Gesicht Tränen lachen ließ. Die Kritiker nannten ihn „The Great Stoneface“. Keaton war außerdem bekannt dafür, alle seine Stunts selbst durchzuführen, als hoch trainierter Akrobat stellte er sich jeder körperlichen Herausforderung.

Und so saß er bei den Dreharbeiten zu seinem dritten abendfüllenden Werk, „The Navigator“, in einem sperrigen Taucheranzug am Set, den Bleigürtel um die Hüften, bereit für den nächsten Gag. Rollo Treadway, die Hauptfigur des Filmes, als Taucher ebenso unerfahren wie sein Darsteller, soll sich nervös eine Zigarette anstecken, die Frau an seiner Seite ihm dennoch den Helm überstülpen, festschrauben und den hustenden Helden in letzter Sekunde befreien.

Kathryn McGuire, Keatons Filmpartnerin, drehte den Helm ein wenig zu weit, er rastete ein. Ein aufmerksamer Requisiteur erkannte den echten Schrecken in Keatons Augen und konnte ihn rechtzeitig retten. Es war wohl Keatons Glück, dass der Helm eine Spezialanfertigung war, sein Sichtfenster besonders groß, damit das Publikum in jedem Bild erkennen würde, dass der leibhaftige Star im Anzug steckt. Sonst wäre Keaton beim Dreh von „The Navigator“ vielleicht einer Rauchvergiftung erlegen, noch ehe ein Tropfen Wasser seinen Taucheranzug benetzt hätte.

Er hatte sich den Ruf des Überlebenskünstlers hart erworben, als Kind einer tingelnden Varietéfamilie, zur Welt gekommen am 4. Oktober 1895 während einer Tournee der Eltern mit der „Mohawk Indian Medicine Show“. Mit sechs Monaten soll er sich bei einem Treppensturz derart überschlagen haben, dass der Entfesselungskünstler Houdini ausrief: „My, what a buster!“ – Was für ein Radaubruder! Die Eltern behielten den Namen stolz bei.

Mit knapp drei Jahren soll Buster an einem Tag seinen Finger in eine Waschtrommel gesteckt und eine Kuppe verloren haben, mit einem Stein nach einem Pfirsich im Baum gezielt haben, der ihn selbst am Kopf traf, und von einem Zyklon durch die Straßen gewirbelt worden sein – alles, während seine Eltern probten. Danach, so Keaton in seinen Memoiren, nahmen sie ihn lieber gleich mit auf die Bühne.

Mit fünf war Buster Keaton unverzichtbarer Teil der elterlichen Show. Seine Rolle: der „menschliche Staubwedel“. „In meiner Kindheit standen wir in dem Ruf, die derbste aller Vaudeville-Nummern zu bieten. Pop begann damit, dass er mich auf die Bühne trug und fallen ließ. Als nächstes kehrte er mit mir den Boden zusammen. Da ich nicht das Geringste dagegen hatte, warf er mich dann in den Orchestergraben und auf die Basstrommel. … Ich konnte die verrücktesten Stürze vollführen, ohne Schaden zu nehmen, einfach weil ich den Kniff so früh im Leben begriffen hatte, dass Körperbeherrschung bei mir reine Instinktsache war.“ Der kleine Keaton lernte außerdem schnell, dass das Publikum umso mehr lachte, je ernster er die grobe Behandlung ertrug.

Doch irgendwann war das Kind groß, der Vater hoffnungsloser Alkoholiker und die Welt einer neuen Art der Unterhaltung verfallen: Slapstickkomödien auf Zelluloid. In nur drei Jahren stieg Buster Keaton mit seiner ungerührten, gleichwohl berührenden Schönheit und seiner präzise inszenierten, absurden Komik zum Weltstar auf. Zwischen 1920 und 1928 schuf er 19 Kurz- und zwölf Langfilme, „The Navigator“ sollte sein dritter abendfüllender Spielfilm werden.

Lange hatte Buster Keaton mit seinen Produzenten darum gerungen, längere Filme machen zu dürfen. Für den Vorgänger „Sherlock Jr.“ hatte er sich mächtig ins Zeug gelegt, bei einem Stunt gar einen Halswirbel gebrochen, doch die Kritiken waren gemischt. Der Star stand unter Druck, und sein Privatleben bot wenig Entspannung. Keatons Frau Natalie, Spross einer Schauspielerfamilie mit einigen Allüren, hatte ihm zwei Söhne geboren, ihn danach aber aus dem Schlafzimmer verbannt. Dafür war ihre Familie samt zweier flamboyanter Schwestern in das Eheleben eingezogen, und Mrs. Keaton, die jede Woche 900 Dollar für Kleider verprasste, hatte ein neues Hobby gefunden: Umziehen, von einem prächtigen Hollywood-Anwesen ins nächste.

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mare No. 131

No. 131Dezember 2018 / Januar 2019

Von Martina Wimmer

mare-Redakteurin mare-Redakteurin Martina Wimmer hat „The Navigator“ für die Recherche bestimmt zehnmal gesehen und lachte bei jedem Mal mehr. Nun freut sie sich auf lange Winterabende, die sie mit dem Gesamtwerk von Buster Keaton verbringen will.

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Vita mare-Redakteurin mare-Redakteurin Martina Wimmer hat „The Navigator“ für die Recherche bestimmt zehnmal gesehen und lachte bei jedem Mal mehr. Nun freut sie sich auf lange Winterabende, die sie mit dem Gesamtwerk von Buster Keaton verbringen will.
Person Von Martina Wimmer
Vita mare-Redakteurin mare-Redakteurin Martina Wimmer hat „The Navigator“ für die Recherche bestimmt zehnmal gesehen und lachte bei jedem Mal mehr. Nun freut sie sich auf lange Winterabende, die sie mit dem Gesamtwerk von Buster Keaton verbringen will.
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