Bunte Bilder auf der Haut

Zur Tätowierung der Matrosen

Immer schon wissen Seeleute, wie das Klischee es will, von ihren Fahrten viel zu berichten: In ferner Fremde behaupten sie sich als die, die sie sind, und ihr Vorbild heißt dann Odysseus, der Listenreiche. Sie wollen entdecken und erobern, was einem Mangel Abhilfe schafft; so finden die Wikinger Leif Erikssons ein nicht nur sagenhaftes „Weinland“ an Amerikas Ostküste. Dienstbar dem Unternehmen Aufklärung umsegeln sie die Welt, wie auf den Schiffen Bougainvilles und Cooks: Immer sollen ihre Erzählungen, lockend oder furchteinflößend, von dem erfahrenen Anderen zeugen, in halber Verhüllung ein Wissen mitteilen, das den Bodenständigen stets verschlossen bleibt. Die Wahrheit ihrer Berichte gilt es zu verbürgen; das Mittel solcher Beglaubigung besteht im Vorzeigen des Mitgebrachten, sei es Fund, Gabe oder Beute.

Auf eine neue Weise sollen seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bunte Bilder auf der Haut die Wahrheit jener Seemannserzählungen bestätigen. Sie appellieren an etwas, was seinen Ort, vorgeblich, in der weitesten räumlichen Ferne hat.

Nachdem durch Wallis 1767 die Gesellschaftsinseln für Europa entdeckt sind und wenig später Cook deren größte, Tahiti, während seiner ersten Weltumsegelung angelaufen hat, finden alte, in Europa zumal durch Deutungen Rousseaus wiedererweckte Sehnsüchte nach dem verlorenen Paradies auf Erden, nach dem Garten Eden neue Nahrung: Gerade Tahiti wird als das wiedergefundene irdische Paradies begriffen. Bougainville, der Tahiti noch Kythera nennt, schreibt am Tag seiner Abreise von dort: „Lebt wohl, glückliche und weise Menschen, bleibt immer so wie ihr seid. Immer werde ich mich mit Freuden an die wenigen Augenblicke erinnern, die ich unter euch zugebracht habe, und solange ich lebe, werde ich die glückliche Insel Kythera rühmen, sie ist das wahre Utopien.“

Nicht nur die insulare Abgeschiedenheit, das angenehme Klima und die üppige Vegetation lassen ein Leben auf Tahiti als paradiesisch erscheinen; die Wachträume und Wunschphantasien des aufgeklärten Europa entzünden sich vor allem an der augenscheinlichen Mühelosigkeit des Lebenserhalts, am Bild eines nicht entfremdeten Daseins, an der Vorstellung frei gelebter Sexualität.


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mare No. 3

No. 3August / September 1997

Ein Essay von Gregor Gumpert

Gregor Gumpert, Jahrgang 1962, lebt als Literaturwissenschaftler in Berlin.

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Vita Gregor Gumpert, Jahrgang 1962, lebt als Literaturwissenschaftler in Berlin.
Person Ein Essay von Gregor Gumpert
Vita Gregor Gumpert, Jahrgang 1962, lebt als Literaturwissenschaftler in Berlin.
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