Botschafterin der Ozeane

Elisabeth Mann Borgese, Gründerin des International Ocean Institute – Kämpferin für die Meere, aus Leidenschaft

Indian Summer in Nova Scotia. Die Buchen und Ahornbäume auf der Halbinsel im Osten Kanadas erblühen im Oktober in flammenden Farben von Fuchsienrot bis leuchtendem Gelb. Es ist schon dunkel, eine milde Brise weht über die Bucht. Das einsame Haus am Meer ist hell erleuchtet. Als die Gartentür ins Schloss fällt, schlagen die Hunde an. Die Haustür ist nicht verschlossen, und eine Meute von fünf Settern springt aufgeregt und kläffend in die Nacht. Schon von draußen war die laute Wagnermusik zu hören. Hier im gemütlichen Wohnzimmer aber ist die Lautstärke kaum mehr zu ertragen. Es ist niemand zu Hause. Außer den Hunden natürlich. Elisabeth Mann Borgese kommt gegen halb zehn. Sie hatte noch ein paar Studenten ihrer Abschlussklasse in Ocean Management der Dalhousie University zu betreuen. Die zweifache Urgroßmutter ist nicht überrascht über die Musik und das Licht. „Die Hunde fühlen sich so wohler“, sagt sie. „Sie mögen Wagner.“ Elisabeth Mann Borgese übrigens auch. Ihr Humor und ihre Ausstrahlung nehmen sofort gefangen. Schalkhaft blitzen die dunklen Augen auf, und die helle, unglaublich jugendliche Stimme gibt einen ersten Eindruck ihrer Kraft und Lebensfreude. Die zierliche, kleine Gestalt täuscht gewaltig. Mit Laptop, Thermodrucker und elektronischem Kalender auf den vielen und langen Reisen gut gerüstet, erstaunt sie öfters fünfzig Jahre jüngere Personen. Die Menschen zu verblüffen, scheint ihr großen Spaß zu bereiten. Jedoch, Richard Wagner und ihre Setter nimmt sie überaus ernst, und wenn sie verblüfft, hat das für sie meist einen ernsten Hintergrund.

Als jüngste Tochter Thomas Manns 1918 in München geboren, lernte die kleine Elisabeth schon früh in der Emigration die Welt kennen. Nach Aufenthalten in der Tschechoslowakei und Nordamerika studierte sie am Konservatorium in Zürich Klavier. Sie heiratete den italienischen Schriftsteller und Politikwissenschaftler Giuseppe Antonio Borgese und lebte mit ihm 14 Jahre in der Nähe von Mailand. Nach seinem Tod übersiedelte sie nach Kalifornien, wo sie die Arbeit über internationale Politik, die sie mit ihrem Mann begonnen hatte, fortsetzte.

Ihre vielseitige Biographie und die Vielschichtigkeit ihrer Interessen faszinieren, begeistern die Umgebung. Doch ihre ganze Leidenschaft gehört dem Meer. Elisabeth Mann Borgese ist die Frau der Ozeane. Der Anblick des Atlantiks vor ihrem Haus löst bei ihr gleichermaßen Begeisterung wie Besorgnis über die Weltmeere aus. Doch jenseits aller Gefühle setzt sie diese Emotionen in Arbeit um. Sie braucht das Meer, und das Meer braucht sie. Beide um zu überleben – und um ihrer Freiheit willen.

Ihre emotionale Bindung an die Ozeane wurde schon als Kind durch die langen Urlaube mit der Familie an der Ostsee und nicht zuletzt durch die leidenschaftliche Beziehung des Vaters zum Meer geprägt. Ihr romantisches Empfinden, gepaart mit einem scharfen Verstand und dem politischen Gewissen der Visionäre der fünfziger und sechziger Jahre, machte sie in den letzten 25 Jahren zu einer der maßgeblichsten Streiterinnen für die Belange der Meere.

1967 hielt der damalige maltesische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Arvid Pardo, die berühmt gewordene Rede, in der er die Weltmeere zum gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärte – die Chance für Elisabeth Mann Borgese, ihre Leidenschaft mit ihrer politischen Arbeit zu verbinden. Sie erkannte und sie nutzte sie. Noch im selben Jahr gründete sie das International Ocean Institute, IOI, mit Sitz in Malta und inzwischen neun regionalen Zentren in der ganzen Welt. Das IOI führt politische Forschungen, Trainingsprogramme und Konferenzen durch und veröffentlicht die Ergebnisse regelmäßig im „Ocean Yearbook“ und anderen Publikationen. Finanziell sind die Aktivitäten des IOI inzwischen gut abgesichert. Durch die Global Environmental Facility der Weltbank, durch Privatunternehmen oder auch die Deutsche Bundesregierung erhält das IOI seit Jahren erfolgreich finanzielle Unterstützung.

Eine heutige Berufsbeschreibung Elisabeth Mann Borgeses scheint fast unmöglich. Obwohl sie ihre einzige wirkliche Ausbildung als Pianistin erhielt, gilt sie als Expertin für Internationales Seerecht mit einem Lehrstuhl an der Dalhousie University in Halifax. Außerdem schrieb sie mehrere Bücher mit so unterschiedlichen Titeln wie „The Ascent of Women“ oder „The Drama of the Oceans“. Neben ihrer Arbeit für das IOI war sie als Vertreterin Österreichs an der Internationalen Seerechtskonvention (Unclos) maßgeblich am Zustandekommen des Vertrages beteiligt. Einige Länder, wie zum Beispiel die Seychellen, ratifizierten die Konvention erst nach persönlichen Verhandlungen der Regierungen mit Elisabeth Mann Borgese. Als Botschafterin der Ozeane reist sie nicht selten in einem Monat in vier verschiedene Kontinente und zehn Städte. Ihr Tagewerk beginnt regelmäßig um fünf Uhr in der Frühe und endet oft erst gegen Mitternacht. Viel zu selten nimmt sie sich die Zeit, in ihrem Haus am Meer Kraft für all dies zu tanken.

Nüchtern und zielstrebig sensibilisiert sie die Menschheit für die Belange der Ozeane, eine starke affektive und sinnliche Empfindung treibt sie dazu an. Nicht zufällig erschien als ihr neuntes Buch über die Meere 1992 das prächtig illustrierte Kinderbuch „Chairworm & Supershark“. In der Geschichte treffen wir auf Kreaturen wie die bleiche Krabbe oder die glücklichen, kleinen Bakterien. Das Buch ist eine Ermahnung an unsere Vernunft, aber die Autorin vollbringt das Kunststück, ihre Motivation ohne den berühmten Zeigefinger, jedoch in emotionalen Bildern und einer sinnlichen Sprache den Lesern „von acht bis 88“ näherzubringen. Offensichtlich kann auch eine Kämpferin wie Frau Mann Borgese nicht ohne Leidenschaften und Gefühle für „ihr Habitat“ werben.

Der berühmte Club of Rome nahm sie als erste Frau in seinen erlesenen Zirkel auf, für den sie 1986 den Bericht „The Future of the Oceans“ verfaßte. Zu ihren Freunden und Bekannten zählen so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Boutros Boutros Ghali, Vladimir Horowitz, Prinz Aga Khan, John Irving, Rudolf Serkin, Jacques Piccard oder Mario Soares. Die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen. Ihre Beziehungen und Kontakte verwendet sie für ihr Ziel, die friedliche Nutzung und Erhaltung der Meere durchzusetzen.

Abends, wenn ihr manchmal neben all der Arbeit ein bisschen Muße bleibt, setzt sie sich an ihren Flügel im ersten Stock, spielt eines von Schuberts Impromptus und blickt durch das große Fenster auf den Atlantik.

mare No. 1

No. 1April / Mai 1997

Von Nikolaus Gelpke

Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe mareTV im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters Ozean der Zukunft in Kiel.

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Vita Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe mareTV im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters Ozean der Zukunft in Kiel.
Person Von Nikolaus Gelpke
Vita Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe mareTV im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters Ozean der Zukunft in Kiel.
Person Von Nikolaus Gelpke