Blaue Löcher

Die rätselhaften türkisblauen Relikte der letzten Eiszeit

Weil es hier tief hinabgeht, erscheint das Wasser dunkelblau. Einheimische und Seefahrer tauften die Stellen Blaue Löcher. Weltweit sind Hunderte solcher Einsturztrichter bekannt: neben dem Blue Hole bei Dahab etwa das Great Blue Hole vor Belize oder Dean’s Blue Hole vor den Bahamas.

Entstanden sind sie wohl am Ende der letzten Eiszeit. Große Gebiete, die heute unter dem Meeresspiegel liegen, waren damals Landmasse. Gerade in der Karibik bestand diese aus porösem Kalkstein. Über die Jahrtausende hinweg fraß sich vermutlich Säure, die von Bakterien ausgeschieden wurde, in den weichen Boden. Dazu kam die durch Wind und Regenwasser bedingte Erosion – Höhlen entstanden. Bei einigen besonders großen stürzte schließlich die Decke ein. Später wurde das Gebiet vom steigenden Meeresspiegel geflutet. Die Einsturzlöcher erscheinen seitdem als tiefblaue Öffnungen im Meeresboden.

Wer mit Tauchprofis oder Meereswissenschaftlern spricht, sollte den Begriff Blaues Loch allerdings lieber vermeiden. Denn diese Bezeichnung gilt zum einen als unwissenschaftlich, und sie ist zweitens in vielen Fällen auch eine ziemliche Untertreibung. Schließlich sind die Trichter häufig viel mehr als nur Löcher, nämlich die Eingänge zu komplexen Höhlensystemen.

Erstrecken sich diese Höhlen parallel zum Meeresboden, so nennt man sie in Fachkreisen „horizontale Höhlen“. Gehen sie in die Tiefe, spricht man von „vertikalen Höhlen“. Nicht alle Höhlen sind aber nach der letzten Eiszeit komplett geflutet worden. Etwa die Höhle Stargate auf den Bahamas: Ihre Trichteröffnung liegt bis heute an Land und füllte sich im Lauf der Zeit mit Regenwasser. Wer hier hinabtaucht, gelangt nach einer Schicht Süsswasser in eine Zone, in der sich dieses Süsswasser mit darunterliegendem, dichterem Salzwasser mischt – der untere Teil der Höhle ist mit dem Meer verbunden.

Dort, wo sich das Wasser vermischt, bietet sich bestimmten Bakterien ein idealer Lebensraum. Sie scheiden unter anderem Schwefelsäuren aus. Dadurch entsteht eine essigsaure und undurchsichtige Wasserschicht – für die meisten Lebewesen eine äußerst ungemütliche Zone.

In geringeren Dosen kann Schwefelwasserstoff beim Taucher Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit hervorrufen, in höheren Dosen kann er tödlich sein. Deshalb haben sich bisher nur wenige in die überfluteten Höhlensysteme der Bahamas gewagt. Man weiß aber, dass sich hier wirbellose Tiere und Mikroben tummeln, die sonst nirgendwo zu finden sind; von einigen hatte man bis zu ihrer Entdeckung angenommen, sie seien bereits vor Jahrmillionen ausgestorben.

Diese unbekannte Welt lockt immer wieder waghalsige Taucher, und für einige wurde sie ihr Grab. Denn man muss nicht nur sehr tief in ein Blaues Loch hinabtauchen, um die Eingänge der oft verzweigten Höhlensysteme zu erreichen. Mancherorts drohen auch gefährliche Strudel. Einige Taucher haben in den Gängen schlicht den Rückweg nicht mehr gefunden oder ihn, vom Tiefenrausch übermannt, erst gar nicht mehr gesucht.

mare No. 90

No. 90Februar / März 2012

Von Marike Frick

Marike Frick, Jahrgang 1980, besuchte bis zum Dezember 2008 die Henri-Nannen-Journalistenschule und schreibt seitdem als freie Autorin unter anderem für mare und DIE ZEIT.

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Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, besuchte bis zum Dezember 2008 die Henri-Nannen-Journalistenschule und schreibt seitdem als freie Autorin unter anderem für mare und DIE ZEIT.
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Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, besuchte bis zum Dezember 2008 die Henri-Nannen-Journalistenschule und schreibt seitdem als freie Autorin unter anderem für mare und DIE ZEIT.
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