Blankeneser Fischsitten

Das „Fischhuus“, ein Fischladen in Hamburgs Viertel Blankenese, ist eine Institution. Und das nicht nur den Einheimischen

Wenn es in Blankenese weihnachtet, leuchten Fischerboote in den Bäumen, schmücken Plattbodenschiffe mit Mast und Segeln Ladenstraßen und Schaufenster rund um den Markt. Sie blinken als traditionelle Festbeleuchtung in diesem Hamburger Stadtteil an der Elbe, der einmal ein dänisches Fischerdorf war, mit einer stolzen Fangflotte von bis zu 140 seetüchtigen Pfahlewern, aber das ist sehr lange her. Als Bismarck mit preußischem Rollgriff das schmucke Dorf, das inzwischen zu Österreich gehörte, in Besitz nahm, waren die Pfahlewer schon Geschichte. 

Das „Blankeneser Fischhuus“ ist ein Familienbetrieb. Zur Jahrtausendwende hat Nathalie Gideon (genannt Nathy) das Geschäft von Tante Gertrud und Onkel Georg übernommen, und die haben es von ihren Eltern geerbt. Mit ihrem Mann Andreas Patzer (genannt Andy) führt sie das Geschäft. Sie wohnen in Aumühle, am anderen Ende von Hamburg. „Unser Arbeitstag beginnt zwischen halb vier und fünf Uhr morgens“, erzählt sie. „Dann fahren wir mit dem Kühltransporter zum Fischmarkt. Ich gehe dann zu meinen Händlern. Sie wissen, was ich will, kennen meine Qualitätsansprüche. Wir haben uns mit den Jahren ein­gegroovt.“ 

Sie haben ein Geschäft in Bill­stedt, mit einer Küche, in der sie ihre Salate machen. „Unser Gemüsebauer Klaus kommt zweimal die Woche, Hannes liefert seine selbst erzeugten Kartoffeln. Sie werden von uns per Hand gepellt.“ 

Die Crew ist multikulturell, das Betriebsklima familiär. „Mingo zupft den ­frischen Dill, Bea aus Polen ist der freundlichste Mensch auf Erden, Duddelchen würfelt den Knoblauch, Räuchermeister Kingsley aus Ghana filetiert den Matjes, Meriem aus Marokko liebt Seelachsstäbchen mit Möhrenstampf und hat eine ­große Familie zu versorgen. Alpha kocht Hummersuppe, und unser Neffe Tom Noetzel ist der Größte. Er wird einmal den Betrieb übernehmen.“

Ein Familienbetrieb, wie er im Buch steht. Ja, das „Blankeneser Fischhuus“ hat auch ein Buch produziert. Es ist im Eigenverlag erschienen, kostet so viel wie ein Kilo Biolachs und hat den merkwürdigen Titel „180° 20 Min“. Wer diese Ko­ordinaten auf dem Globus ansteuert, landet irgendwo im Stillen Ozean an der Datumsgrenze. Gemeint ist aber der Backofen. 180 Grad Hitze sind genug, 20 Minuten die Regel. „Geht eigentlich immer“, sagt Nathy. Dazu präsentiert Meisterkoch Andy mehr als 80 Fisch­rezepte, Suppen, Salate, kleine und große Küche. Spaghetti Calamaretti wurden „eigens von Andy für dieses Buch ent­wickelt“. Eine besondere Spezialität: der „Küchenchor“. Zu jedem Rezept gibt es eine Musikempfehlung. Otis Redding passt zum Seehecht im ­Wirsingmantel „(Sittin’ on) The Dock of the Bay“, und zur Forelle blau singt Fritz Wunderlich „Die Forelle“ von Franz Schubert.

Der Umgang mit der Kundschaft ist familiär. Man kennt sich. Nathys gute Laune ist ansteckend, das Verkaufsentertainment erfrischend, ein Pingpong der Pointen geht über den Ladentisch; nicht alle Blankeneser sind witzig, aber sie geben sich Mühe. „Ich hab immer Spaß mit ihnen“, sagt Nathalie Gideon, „es sind tolle Leute dabei.“ 

Mehr als acht Kunden finden kaum Platz, meistens sind es zehn. Die Ladentür steht offen. Die Schlange vor dem „Fischhuus“ reicht in die Ortsmitte. Das Angebot ist vielfältig. Es gibt so ziemlich alles von Aal bis Zander. Am liebsten kaufen die Blankeneser Lachs. Stremellachs, frisch aus dem Rauch, Graved Lachs oder Biolachs als Filet. Lachs hat keine Gräten, ideal für Familien mit Kindern. Durch begrenzte Fangquoten gibt es nur noch wenig Stinte, Thunfisch und Doraden kommen geflogen, skandinavische Fische im Kühl-Lkw („Rucki, zucki über Nacht“) und Krabben aus Büsum. Dort werden sie auch gepult, und nicht etwa in Marokko.

Einmal kam ein Kunde, der wollte nur Fischabfälle, einen ganzen Eimer. „Wir holten ihn aus dem Keller, der Kunde verschwand. Bald erfuhren wir, was er mit dem Eimer gemacht hatte. Er hatte ihn ausgekippt, vor dem Infostand eines berüchtigten Neonazis.“ Es war ein Publikumserfolg. 


Spaghetti Calamaretti

Zutaten (für vier Personen)
5 Tintenfischtuben, 3 Knoblauch­zehen und 1 Zwiebel, ­gewürfelt, 2 Paprika, gewürfelt, 1 Chilischote, fein geschnitten, 1 Staudensellerie, geschnitten, 3 Tomaten, gewürfelt, 2 Lauchzwiebeln, geschnitten.

Zubereitung
Calamari 10 Minuten kochen, kalt abschrecken, der Länge nach halbieren und in lange, schmale „Spaghetti“-Streifen schneiden. Olivenöl in einer Pfanne erhitzen und darin Zwiebel und Knoblauch anschwitzen. Nach 3 Minuten das restliche Gemüse hinzugeben, 5 Minuten schmoren. In einer Extrapfanne die Spaghetti Calamaretti in Ölivenöl erhitzen. Herausnehmen und mit Gemüse anrichten. Passender Ohrenschmaus: „Fly Me to the Moon“ von Frank Sinatra.

Blankeneser Fischhuus
Probst-Paulsen-Straße 5, 22587 Hamburg, Tel. +49 40 860665, geöffnet Di bis Do 8 bis 15, Fr bis 18, Sa bis 13 Uhr.

mare No. 173

mare No. 173Dezember 2025 / Januar 2026

Von Emanuel Eckardt und Ingrid und Konstantin Eulenburg

Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, geboren in Hamburg, ist studierter Grafiker und Illustrator und arbeitete als freier Karikaturist, bevor er sich dem Journalismus zuwandte.

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Vita Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, geboren in Hamburg, ist studierter Grafiker und Illustrator und arbeitete als freier Karikaturist, bevor er sich dem Journalismus zuwandte.
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