Betreutes Wohnen

Ein Sprungbrett hoch über dem Ellipsenpool. Wenn Architekten im Zoo für Pinguine bauen

Ein Häuflein kleiner Pinguine saß in einem Käfig in London und wartete auf sein neues Zuhause. Sie waren von einem Tierfänger nach Europa gebracht worden und wurden schnell die Lieblinge des Publikums. Für diese Lieblinge sollte ein Gehege gebaut werden, wie es auf der Welt noch keines gab. Der Zoodirektor beauftragte seinen Freund, den Architekten Berthold Lubetkin, und ließ ihm freie Hand.

Was wollte Lubetkin?

Als Lubetkin 1931 in London eintraf, war er ein Getriebener, ein Aristokrat auf der Flucht vor den Folgen der russischen Revolution und ein begnadeter konstruktivistischer Architekt, dessen unstetes Leben ihn von Tiflis über Moskau, Berlin, Wien, Warschau und Frankfurt nach Paris geführt hatte. Die innovativsten russischen Kunstakademien waren seine Studienstätten, Künstler von Rang wie Wladimir Tatlin seine Lehrer. Er hatte bei El Lissitzky und Bruno Taut gearbeitet und war Teil der Avantgarde. London schien geradezu auf ihn gewartet zu haben. Denn in England war die Moderne noch nicht angekommen. Als das Museum of Modern Art in New York 1932 eine erste Werkschau der neuen, der weißen Architektur zeigte, bauten die Engländer noch immer traditionell historisierend.

Carl Hagenbeck hatte 1907 seinen wegweisenden Freiluftzoo in Hamburg eröffnet, der die Gitterstäbe verbannte und die Natur imitieren wollte. Diese Tendenz war bereits 25 Jahre alt, als Lubetkin mit der Gruppe Tecton zu seinen Wahnsinnstaten antrat und Englands Zoos um drei Perlen der modernen Architektur bereicherte. Es sah aus, als kenne er die neuere Zooarchitektur nicht. Leidtragende seiner Genialität waren Gorillas, Elefanten und Pinguine.

Den Konstruktivisten verpflichtet, hatte Lubetkin ein Faible für geometrische Formen, dafür umso weniger Kenntnisse von den Bedürfnissen der Tiere. Die Begründung, die sich Lubetkin zu Eigen machte, warum Elefanten keine großen Gehege bräuchten, war ebenso schlicht wie falsch: Die Tiere würden sich sowieso nur im Kreis drehen, also reiche ein kleiner, runder Bau völlig aus.

Der ellipsenförmige „Penguin Pool“ im Regents Park in London ist der Höhepunkt im Werk des Architekten, und er schmückt den traditionsreichen Zoo. Kein anderer Bau erhält derart viel Aufmerksamkeit, kein anderes Gehege ist so formvollendet. Und keines spielt derart stark mit dem Aussehen seiner Bewohner.

Lubetkins Konzept ist glasklar: Die Pinguine sind Teil seiner Inszenierung. Denn selbstverständlich kannte er die Natur imitierenden Zoos, die Kunstfelsen und die Hagenbeck’sche Ideologie der gitterlosen Anlagen. Aber genau dagegen kämpfte er mit seinen Projekten an.

„Ehrlichkeit“ war ein Dogma der Moderne – in diesem Sinne war die Pseudonatur Feindbild. Der Russe hat den von Le Corbusier geprägten, auf den Sozialwohnungsbau bezogenen Begriff der „Wohnmaschine“ auf die Tierbehausung übertragen. Eine „ehrliche Wohnmaschine“ für Pinguine hatte Lubetkin gebaut. Das Publikum war begeistert.

Lubetkin öffnete mit seinen Zoobauten der Moderne in England die Tür. Also bleiben die Pinguine in seinem Glanzstück sitzen, seit nun 70 Jahren; und was auch rundum geschehen mag in der Zooarchitektur: Es darf nicht interessieren. Alles muss bleiben, wie es ist. Denn schön ist schön. Meinen auch die Denkmalschützer.

Nur, ist ein Pinguin in einer so artifiziellen Umgebung unglücklicher als in einer naturnäheren? Und überhaupt: Was zeichnet Pinguinglück denn aus?

Was will der Pinguin?

In erster Linie braucht er Gesellschaft von Artgenossen. Die hat er hier. Des Weiteren möchte er nicht hungern. Das muss er nicht. Schwimmen wäre prima, tauchen noch besser. Allerdings ist tauchen in Freiheit auch nur notwendig, um Fische und Krebse zu jagen. Wenn das Fressen also serviert wird, müsste tauchen eigentlich überflüssig sein. Lubetkin hatte dennoch an beides gedacht und es fantasievoll entworfen. Das Becken ist ellipsenförmig, mit 34 Meter Länge in der Größe eines Hotelpools, wenn auch nicht so tief, blaue Mosaikfliesen bilden einen hübschen Kontrast zu dem strahlend weißen Bau. Herzstück der Anlage sind zwei ineinander verschlungene, filigrane Rampen, die zusammen wie eine Spirale wirken. Die freie Stahlbetonkonstruktion ist ein Kind ihrer Zeit; die Spirale ein formales Element, das erstmals von Frank Lloyd Wright ein paar Jahre zuvor in einem Wohnhaus verwendet wurde und weltweit Furore gemacht hatte.

So watscheln heute die Pinguine die beiden Rampen hoch, gucken, oben angekommen, zu den Löwen auf der einen und zu den Elefanten auf der anderen Seite hinüber, drehen sich um und watscheln wieder nach unten. Manch einer setzt sich auch oben hin. Mehr gibt es nicht zu tun für ihn.

Lubetkin hatte es eigentlich gut gemeint: Die eine Rampe mündet in eine kleine Treppe, von deren Ende die Pinguine in ein winziges, aber tiefes Tauchbecken springen konnten. Konnten, nicht können, denn so richtig durchdacht war die ganze Sache nicht. Die Tiere sprangen schon mal über den Rand des Beckens und fielen aus der Anlage heraus. Also hat man die Treppe versperrt, und es wird seit Jahrzehnten nicht mehr getaucht – welcher Besucher möchte schon von einem Pinguin erschlagen werden?


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 30. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 30

No. 30Februar / März 2002

Von Zora del Buono und Matthew Hawkins

Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist stellvertretende Chefredakteurin von mare. Ihr besonderes Interesse an Zoobauten rührt aus ihrer Zeit als Architektin.

Matthew Hawkins, Jahrgang 1964, lebt als Fotograf in London. In mare No. 23 sind seine Bilder des Kreuzfahrttesters Douglas Ward zu sehen.

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Vita Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist stellvertretende Chefredakteurin von mare. Ihr besonderes Interesse an Zoobauten rührt aus ihrer Zeit als Architektin.

Matthew Hawkins, Jahrgang 1964, lebt als Fotograf in London. In mare No. 23 sind seine Bilder des Kreuzfahrttesters Douglas Ward zu sehen.
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Vita Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist stellvertretende Chefredakteurin von mare. Ihr besonderes Interesse an Zoobauten rührt aus ihrer Zeit als Architektin.

Matthew Hawkins, Jahrgang 1964, lebt als Fotograf in London. In mare No. 23 sind seine Bilder des Kreuzfahrttesters Douglas Ward zu sehen.
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