Bau ohne Grund

Ein Hausboot, zum Beispiel. Wenn man denn wollte, könnte man aus jedem Umzug eine Kreuzfahrt machen

Will ich ein Hausboot? Wasser macht den Menschen zufrieden, weil er – entwicklungsgeschichtlich – an den Küsten seine schönste Zeit verbrachte, bevor es ihn in die Wälder verschlug und er anfing, nach Erzen zu graben. Noch immer werden Menschen, deren Gesundheit durch Schürfen nach Rohstoffen und Arbeit unter Tage ruiniert ist, zur Erholung an die Küsten geschickt.

Zum Beispiel nach Putbus. Um dort zu tun, was allen gut tut: sitzen, atmen, aufs Meer schauen.

Statt auf den weißen Bänken am Uferweg, zu Füßen eines verfallenen klassizistischen Badetempels, kann man das jetzt auch auf dem Wasser. Beine und Seele zur Miete über dem Greifswalder Bodden baumeln lassen und zurück auf die Bänke und das Badehaus schauen. Oder über die Mole des neuen Hafens hinüber nach Vilm. Oder auf den Segelhafen und den Parkplatz und die große Halle, in der die schwimmenden Häuser auf dem Trockenen zusammengebaut wurden. Eine kleine Fertig-Haus-Boot-Produktion, ab 75000 Euro gibt es das kleine Eingeschossige.

Viele Nachfragen kommen von jenen, die sich weder zu einem Haus noch zu einer Yacht bekennen mögen; die ungern Rasen mähen, aber gern auf ihrer eigenen Wasserscholle vor sich hinsinnen würden. Freiberufler, Lebenskünstler, Träumer. Und vielleicht ein paar vaterlandslose Gesellen, die sofort die Leinen kappen würden, wenn ihnen der Gang der Dinge in Deutschland nicht mehr behagt. Und natürlich jene Wohlstandsvagabunden, die sich ohne zweite und dritte Domizile als Versager fühlen, immer auf der Suche nach neuen Lebensgefühlen und Postleitzahlen.

Obwohl mein Schwimmhaus namens „Hering“ fest an den Zuwegsponton geflanscht ist, treiben mich Fragen bis ins Mittelmeer: Wie groß müsste der Kühlschrank sein ohne feste Landanbindung? Bräuchte man einen zweiten Ponton nur für Küchen-, Kühl- und Bevorratungszwecke? Lauter Dinge, über die man gut parallel zur topographischen Vorklärung nachdenken kann, denn essen muss man wohl überall. Und schlafen. Und sitzen. Will ich überhaupt ein Hausboot?

Ich gehöre zu denen, die gerne auf einem Holzstuhl direkt am Meer sitzen, das aber genauso gerne drinnen tun, wenn die Abendluft zu feucht wird oder es zu stark aufbrist. Und so sitze ich im Schein der sanft schaukelnden Schiffslaterne am Stubentisch im „Hering“ und versuche, meine Vision eines Wohnschiffs zu zeichnen, während ich auf einem zweiten Stück Papier gelegentlich Destinationen wie Dänemark oder Dominikanische Republik notiere – oder wesentliche Gedanken: Wie viel Haus braucht das Boot, wie viel Boot das Haus? Oder gibt es dafür keine festen Regeln – reicht ein Rettungsring am Eingang als Bekenntnis zum maritimen Standort?

Wenn es draußen so dunkel wird, dass man das Meer nicht mehr sieht und nicht einmal die Reling um die Terrasse, fühlt man sich, abgesehen vom Schaukeln, wie in einem ganz normalen Haus. Das ändert sich, als ich in der ersten Etage vom Bett aus durch die geöffnete Doppeltür noch gerade das Ufer im Mondlicht und den Widerschein der stummen Mauern des jahrhundertealten Badehauses sehe, den Geräuschen des Wassers lausche und die Meerluft atme. Vor allem die. Um die geht es doch wohl. Sie ist Beweggrund für alle Überlegungen über Ein- und Ausrichtung und Zweckmäßigkeit solch einer Miniinsel. Auf zu neuen Ufern!

Aber mit Augenmaß. Braucht man eine oder zwei Etagen? Und sind Schiebetüren besser als windanfällige Flügel? Will man nicht sowieso irgendwohin, wo man Türen und Fenster nie zu schließen braucht? Wie würde der angesehen, der irgendwo an fernen Gestaden mit einem kompletten Haus am Horizont auftaucht?

Morgens um sechs, beim nahtlosen Übergang vom Kaffeekochen zum Bad in der eigenen Ostsee – nur sieben Schritte sind’s von der Küchenzeile zur Schwimmleiter –, gibt es keinen Zweifel, mit wie wenig viel erzielt wird: Das Bullauge zwischen den beiden Hängeschränken als Ikone des Maritimen zeigt einen Ausschnitt von bunten Häusern mit weiteren Bullaugen und Balkonen mit Relings, kräuselnden Wellen, Himmel mit Wolken, angeschnittenen Masten und Rümpfen, steinernen Molen, Stegen, Pontons und Möwen, die in der Sonne blinzeln.

Rügen ist schön, besonders wenn man sich noch einmal kurz aufs Kissen legt. Morgens um sieben holt mich der knatternde Außenborder eines zeitig auslaufenden Seglers aus meinen Träumen. Dieser Lärm wäre ein Grund, niemals den Hafen von Hongkong anzulaufen. Erst recht nicht Schanghai. Ich streiche im Halbschlaf ein Viertel des Globus, wo Hausboote schon so lange zum Wohnungsmarkt gehören, dass vor lauter Schiffen gar kein Wasser mehr zu sehen ist. Seit Generationen nicht flurbereinigt, brackt es unter den verrotteten Rümpfen vor sich hin. Zum Glück sind Träume geruchlos.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 34. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 34

No. 34Oktober / November 2002

Von Andreas Greve und Heike Ollertz

Autor Andreas Greve, Jahrgang 1953, würde gern den Blick aus den Bullaugen des Schwimmhauses vor seinen Hamburger Schreibtisch hängen – „die tolle Aussicht beugt Krankheiten vor“, meint er.

Fotografin Heike Ollertz, Jahrgang 1967, könnte sich vorstellen, in solch einem Haus zu leben – allerdings nur in einer stillen Bucht, fern von jeglichem Trubel.

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Vita Autor Andreas Greve, Jahrgang 1953, würde gern den Blick aus den Bullaugen des Schwimmhauses vor seinen Hamburger Schreibtisch hängen – „die tolle Aussicht beugt Krankheiten vor“, meint er.

Fotografin Heike Ollertz, Jahrgang 1967, könnte sich vorstellen, in solch einem Haus zu leben – allerdings nur in einer stillen Bucht, fern von jeglichem Trubel.
Person Von Andreas Greve und Heike Ollertz
Vita Autor Andreas Greve, Jahrgang 1953, würde gern den Blick aus den Bullaugen des Schwimmhauses vor seinen Hamburger Schreibtisch hängen – „die tolle Aussicht beugt Krankheiten vor“, meint er.

Fotografin Heike Ollertz, Jahrgang 1967, könnte sich vorstellen, in solch einem Haus zu leben – allerdings nur in einer stillen Bucht, fern von jeglichem Trubel.
Person Von Andreas Greve und Heike Ollertz