Aye, aye, Smutje!

Ein philippinischer Schiffskoch pendelt zwischen Europa und Fernost und grundverschiedenen kulinarischen Ansprüchen

Manchmal zieht sich der Koch Boxhandschuhe an. Vor allem, wenn er sich einsam fühlt, in seiner Kabine auf dem D-Deck – zwischen den Holzimitatwänden mit ihren hübschen Kunstdrucken impressionistischer Maler, die ihm so unbekannt sind wie der Reederei wohl der Boxweltmeister im Weltergewicht, Manny Pacquiao, das Idol der Philippinen.

Michael F. Canag, Schiffskoch der „CMA CGM Vela“, boxt Thaikick; in seiner Freizeit natürlich, und vor allem nur, wenn keiner zuschaut. Die Crew würde ihn für überheblich halten, wenn er, der Koch, vor ihren Augen als Boxer auftauchen würde. Und auffallen will er, darin echter Filipino, auf keinen Fall, schon gar nicht in der engen Gemeinschaft an Bord. So viel Eigensinn könnte ja die Harmonie auf See gefährden. Und gerade als Koch trägt der 35-Jährige Verantwortung für die Stimmung an Bord. Oder wie Kapitän Wilhelm Cubasch es ausdrückt: „Stimmt das Essen, stimmt auch die Atmosphäre. Und unser Koch macht seine Sache sehr gut.“

Der hält jetzt gerade einen Bratenwender in der Hand, schmort Hühnerschenkel auf dem Elektroherd, während die „Vela“ von Southampton ihrem Heimathafen entgegenzieht, wo neu gebunkert wird. Endlich. „Ich kann ja auf See nicht einfach schnell zum Supermarkt“, erklärt der Koch. Okay, Skorbut brach unterwegs nicht aus. Doch frisches Obst und Gemüse sind knapp nach dem Zehn-Wochen-Törn von Hamburg über Rotterdam bis Hongkong und über Marokko wieder retour bis zum Burchardkai, wo sich das Schiff traditionell mit Proviant versorgt. Wo es deutsches Brot gibt, aber „keine dunkle Sojasauce“, wie der Koch bedauert – „ganz wichtig für die philippinische Küche. Oder Trockenfisch: Gibt es in Europa nicht!“ Überhaupt sei es schwieriger für die Mannschaftsmesse zu kochen, an Steuerbord, da, wo seine Landsleute essen – rund zwei Drittel der 24 Mann Besatzung stammen von den Philippinen.

„Für Filipinos muss alles nach Heimat schmecken. Selbst wenn der Fisch aus der Dose kommt“, erklärt der Koch, während er die Lautstärke seines iPods herunterdreht, der aus Aktivboxen die Kombüse mit heimischen Schlagern erfüllt. „Ölsardinen zum Beispiel – ‚nimm die von zu Hause‘, sagen sie. Oder Corned Beef: ‚Unser Corned Beef schmeckt besser!‘“ Ungewohnte Gewürze wie etwa Rosmarin würden bei seinen Landsleuten gar nicht ankommen.

Längst fällt es Canag leichter, den Wünschen der Offiziere gerecht zu werden – die meist aus Deutschland stammen oder aus Polen oder der Ukraine. „Die mögen es auch mal italienisch, französisch und sogar Reis.“ Filipinos mit Offiziersrang dagegen bevorzugen die Mannschaftsmesse. Nicht nur wegen des Speiseplans, auch wegen der Sprache und dem Gemeinschaftsgefühl.

Der Koch selbst mag es internatio- nal, er schätzt sogar Kassler mit Sauer- kraut. Mit der Thaiküche dagegen hat es der Thaikickboxer nicht: „Viel zu scharf!“ Canag hat einen feinen Gaumen. Dabei wollte er eigentlich Offizier werden, damals, als er noch im Decksdepartment arbeitete: als Ordinary Seaman. Aber dann stellte sich heraus, dass er etwas farbenblind ist. Ende der Laufbahn. Die Reederei riet ihm, in die Kombüse zu wechseln. Zunächst als Steward. „Was sollte ich tun? Auf den Philippinen gibt es keine guten Jobs.“

Das war vor sieben Jahren. Kurz darauf machte er sein Examen als Koch. Zu Hause in Manila; auch in deutscher Küche. Viele Rezepte lernte er später bei einem früheren Kapitän, „der war begeisterter Hobbykoch“. Doch Canags eigentlicher Guide durch die Kombüse bleibt „German Cooking“ von Dr. Oetker, seine kulinarische Bibel.

Die liegt stets griffbereit unter dem Bullauge, durch das er leider nicht den Horizont sieht, sondern nur Container – ein gestapeltes Meer aus bunten Farben. Gleich daneben hat er jetzt sein Handy gelegt, wie eine Angel auf der Suche nach Empfang. Von Southampton aus nähert sich die „Vela“ langsam der niederländischen Küste und damit dem Roamingpartner von Canags heimischem Provider.


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mare No. 109

No. 109April / Mai 2015

Von Roland Brockmann und Jan Windszus

Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als freier Journalist. Bei mare von Anfang an mit dabei, war er an den ersten internationalen Reportagen des Magazins beteiligt. Inzwischen ist er auch mit Buchrezensionen im Salon vertreten. Jan Windszus, geboren 1976, arbeitet als freier Fotograf in Berlin. Er veröffentlicht Porträts und Reportagen in zahlreichen Magazinen und Publikationen.

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Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als freier Journalist. Bei mare von Anfang an mit dabei, war er an den ersten internationalen Reportagen des Magazins beteiligt. Inzwischen ist er auch mit Buchrezensionen im Salon vertreten. Jan Windszus, geboren 1976, arbeitet als freier Fotograf in Berlin. Er veröffentlicht Porträts und Reportagen in zahlreichen Magazinen und Publikationen.
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Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als freier Journalist. Bei mare von Anfang an mit dabei, war er an den ersten internationalen Reportagen des Magazins beteiligt. Inzwischen ist er auch mit Buchrezensionen im Salon vertreten. Jan Windszus, geboren 1976, arbeitet als freier Fotograf in Berlin. Er veröffentlicht Porträts und Reportagen in zahlreichen Magazinen und Publikationen.
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