Aussteiger II: Das Paradies auf Probe

Das Meer gluckst, die Sonne lacht, und die Zeit schlurft dahin. 21 Tage auf den Marshall-Inseln – ein Selbstversuch

Das Schönste ist die Zigarette danach. Ein halber Tag im Flugzeug, eine halbe Weltumrundung, dann der erste Zug. Wer seinen Ausstieg plant, sollte es nicht zu radikal tun. Raus aus der alten Welt scheint leicht. Raus aus der Sucht? Unmöglich. Immer steht eine Bank vor irgendwelchen Flughäfen und daneben ein Aschenbecher. Mein Feuerzeug hat eine der vielen Kontrollen nicht geschafft, ein zahnloser Greis reicht mir seine Streichhölzer.

Vor mir liegt das Meer und hinter mir auch und überall. Ein wunderbares Bild. Doch mit einer grauen Wolke drin: Der Gedanke, dass es ab jetzt kein Entrinnen mehr gibt für die nächsten Wochen. Das Paradies muss funktionieren, auf Teufel komm raus.

Die Marshall-Inseln sind 180 Quadratkilometer fester Boden und fast zwei Millionen Quadratkilometer Meer. Trotzdem nennt man die Republik ein Land. Hauptinsel: Majuro. Ein paar Meter nur hat sich die Insel über das Wasser erhoben, der Ozean duldet diese Anmaßung. Dabei reichte ein pazifischer Rülpser, ein Bonsai-Tsunami, und Majuro und die über 1000 Inseln der Marshall-Inseln wären Geschichte. Eigentlich müsste so etwas Angst machen, doch man ist ja schon im Paradies - was soll also noch passieren? Der Himmel ist blau, das Wasser ist klar, sanft und noch viel blauer. Die Wolken sind weiß, wir rauchen schweigend, ein tiefer Friede legt sich auf mich. Der Alte lächelt. Wahrscheinlich ist er Gott.

Taxi zum „Flame Tree", meinem Hotel. Majuro ist rund 50 Kilometer lang, höchstens einen halben Kilometer breit. Kaum ein Wagen ohne Automatik, die Fahrer geben kurz Gas, lassen ausrollen und sind da. Wer schnell fährt, schießt womöglich über seine Insel hinaus. Niemand fährt hier, um Zeit zu sparen. Man spart Kraft, wegen der Hitze. Keiner geht, alles schlurft: die Menschen, die Tiere, die Autos. Mein Fahrer lehnt den Kopf an die linke Scheibe, seit Minuten rührt er sich nicht. Schläft er? Er fährt am „Flame Tree" vorbei, ich stupse ihn an. Er schrickt auf, bremst, hebt die Sonnenbrille an und wischt sich die Augen. „Sorry", sagt er.

Wiedersehen mit Klaus im Hotel „Outrigger". Klaus ist ein guter Einstieg in den Ausstieg, er ist der glücklichste Mensch, den ich kenne. Vor zwei Jahren verbrachte ich ein paar schöne Abende mit ihm in der Bar des Hotels. Klaus wohnt hier seit Jahren, die Bar ist sein Wohnzimmer. Er ist an die 60, trägt einen weißen Vollbart, Bierbauch und ein immerfreundliches Gesicht. Natürlich nennt ihn jeder nur „Santa Klaus".

Als junger Mann war er aus Hannover abgehauen, er heiratete auf Samoa, haute auch von dort ab, nach Majuro. Seine Weltfluchtformel: „Das Wetter, die Frauen, die Steuern." Klaus fand sein Eden hinterm Tresen des „Outrigger". Gegen 18 Uhr, komme was wolle, sitzt er vorm Bier. Er sagt, er war noch nie am anderen Ende der Insel, geschweige denn auf einer anderen. Am Anfang, da ist er noch nüchtern, nennt er Barkeeper Eddie „dummer Bengel", auf Deutsch. Am Ende vermacht er ihm sein (eingebildetes) Vermögen. Eddie zeigt dann auf seine Kasse und sagt, er kriegt ja sowieso alles - vorher. Gegen Mitternacht wankt Klaus die Treppen hoch in sein Zimmer. Manchmal bringt ihn Eddie rauf, aber meistens schafft er es allein. Punkt sechs Uhr morgens aber steht Klaus auf und geht zur Arbeit. Es ist seit Jahren das Gleiche. Klaus leitet die Bodenkontrolle des Flugplatzes von Majuro.

Vor zwei Jahren hatte ich mich von ihm verabschiedet. Klaus nickte kurz und schaute weiter den Tierfilm, der im Fernseher über der Bar lief. Jetzt tippe ich ihm auf die Schulter. „Ach, du", ist sein erster Satz, ansonsten guckt er weiter, einen Tierfilm. „Willkommen zu Hause", sagt er ein paar Stunden später, und das war sein zweiter.

Nach Hause? Nur das nicht. In Deutschland müht sich just der Sommer, eine Handvoll Sonnenstrahlen unter 80 Millionen Leute zu verteilen. Hier fließt der azurne Himmel über davon, es schüttet Licht. Nach einem langen Winter ist meine Seele ausgedunkelt, ich hetze an den rettenden Strand. Südsee heißt Beine lang im Sand. Lesen, baden, lesen. Ab jetzt: nichts mehr zu berichten.

Erschütternd: Ich habe genug vom Rumliegen, Faulenzen. Schon jetzt! Ich hatte mich nach dem Leben eines Nichtsnutzes gesehnt, jetzt kann ich es nicht genießen. Schöner Gedanke: Tauge ich doch zu mehr als zum Tagedieb? Schlimmer Gedanke: Ist das Paradies am Ende nur langweilig?


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 65. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 65

No. 65Dezember 2007 / Januar 2008

Von Maik Brandenburg

mare-Autor Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, hat sein Paradies trotzdem auf einer Insel gefunden: Rügen. Dennoch ist er froh, immer mal wieder auch von dort wegzukommen. (Diesbezügliche Reiseangebote nimmt er gerne an.)

Mehr Informationen
Vita mare-Autor Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, hat sein Paradies trotzdem auf einer Insel gefunden: Rügen. Dennoch ist er froh, immer mal wieder auch von dort wegzukommen. (Diesbezügliche Reiseangebote nimmt er gerne an.)
Person Von Maik Brandenburg
Vita mare-Autor Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, hat sein Paradies trotzdem auf einer Insel gefunden: Rügen. Dennoch ist er froh, immer mal wieder auch von dort wegzukommen. (Diesbezügliche Reiseangebote nimmt er gerne an.)
Person Von Maik Brandenburg