Madeira, das ist die berauschend schöne, die wilde Atlantikinsel. Doch die Besucher, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Schiff verlassen, sehen nichts von der paradiesischen Anmut der Insel. Sie treffen auf Scharen von Bettlern, die ihnen halb nackt entgegentreten und ihnen grässliche Wunden zeigen, die sie bedrängen und aus deren Augen Angst und Elend blitzen. Madeira hungert. Nahrung und Kleider müssen aus England herangeschifft werden, um die schlimmste Not zu lindern. In einer großen Auswanderungswelle verlassen Tausende die Insel.
Die Ursache der Krise schillert bernstein- bis mahagonifarben im Glas, ist von öliger Viskosität und schmeckt herrlich nach Karamell und Nüssen: Madeira, der gleichnamige Wein. Die Insel hat sich längst zu einer Rebenmonokultur entwickelt, der Wein bedeutet alles für die Madeirer, er ist das mit Abstand wichtigste Handelsgut. Aber seit den 1820er- Jahren sind die Exporte eingebrochen. Und seit 1852 hat eine rätselhafte Krankheit Blätter und Trauben mit einer weißen Schicht überzogen. Ein französischer Pflanzenhändler hat den Erreger eingeschleppt. Es gibt kein Gegenmittel. Die Weinbauern müssen zusehen, wie der Echte Mehltau ihre Existenz vernichtet. Die Erntemenge fällt von 11 956 Fässern im Jahr 1851 auf ganze 143 Fässer drei Jahre später. Madeira verliert 99 Prozent seines wichtigsten Exportartikels.
„Kein anderes Anbaugebiet“, resümiert der englische Weinautor Hugh Johnson, „hat so sehr unter Schicksalsschlägen, Verarmung der Winzer und allgemeiner Missachtung gelitten wie Madeira.“ Es ist ein ständiges Auf und Ab: Mal ist Madeira das angesagte Kultgetränk, mal ist es nur ein süßes Gesöff für alte Tanten. Und nicht nur der Mehltau, auch die Reblaus richtet verheerende Schäden an. Dazu hohe Steuern an die Krone, habgierige Händler, Exportbeschränkungen, militärische Besatzer und unkalkulierbare Weinmoden. Dass der Madeira alles überlebt hat und immer wieder neu im Glas funkelt, beweist seine einzigartige Qualität.
Ursprünglich war die Insel Zuckerland. Nach ihrer Entdeckung im 15. Jahrhundert werden die dichten Wälder von den Portugiesen gerodet, und es wird vor allem Zuckerrohr angepflanzt, dazu Getreide und etwas Wein für den Eigenverbrauch. Als die Zuckerpreise kollabieren, die Böden ausgelaugt sind und Pflanzenkrankheiten um sich greifen, verwandeln sich die Zuckerrohrfelder wie von selbst in Weinberge. Die eingeführten Traubensorten gedeihen prächtig im milden Klima. 1507 schreibt der venezianische Seefahrer Alvise Cadamosto: „Hier werden wirklich sehr gute Weine produziert in solch großer Menge, dass sie nicht nur für die Insel ausreichen, sondern auch ins Ausland verschifft werden.“ Anbauflächen und Reputation der Weine wachsen weiter.
Die meisten Madeiras sind ein wenig süß, aber auch die trockeneren Gewächse jener Zeit sind schon von üppiger Cremigkeit, voller Saft und Kraft. Und das Beste haben sie noch vor sich. Denn die Kellertechnik wird sich in den nächsten Jahrzehnten dramatisch verändern. Noch werden die Weine durch Zugabe von Kalziumsulfatverbindungen konserviert, damit sie die langen Schiffsreisen nach Amerika, Europa oder Westindien halbwegs unbeschadet überstehen. Madeira ist durch seine geografische Lage privilegiert, die Insel ist eine ideale Haltestation für Handelsschiffe von und nach Europa, Amerika und Afrika. Das erleichtert den Weinexport, der sich im 17. Jahrhundert rasant entwickelt. 1682 verzeichnet das Handelsregister der Hauptstadt Funchal die Ausfuhr von 3410 Fässern Madeira, 1699 sind es schon 5483 Fässer.
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Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Umweltjournalist in Berlin. Er schreibt „zur psychischen Entlastung“ aber auch regelmäßig über Wein und Essen.
Heike Ollertz, Jahrgang 1967, lebt als freie Fotografin in Hamburg und war erstaunt, dass eine kleine Insel wie Madeira klimatisch so unterschiedlich sein kann: auf der einen Seite Sonne, auf der anderen Regen.
Vita | Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Umweltjournalist in Berlin. Er schreibt „zur psychischen Entlastung“ aber auch regelmäßig über Wein und Essen.
Heike Ollertz, Jahrgang 1967, lebt als freie Fotografin in Hamburg und war erstaunt, dass eine kleine Insel wie Madeira klimatisch so unterschiedlich sein kann: auf der einen Seite Sonne, auf der anderen Regen. |
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Person | Von Manfred Kriener und Heike Ollertz |
Vita | Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Umweltjournalist in Berlin. Er schreibt „zur psychischen Entlastung“ aber auch regelmäßig über Wein und Essen.
Heike Ollertz, Jahrgang 1967, lebt als freie Fotografin in Hamburg und war erstaunt, dass eine kleine Insel wie Madeira klimatisch so unterschiedlich sein kann: auf der einen Seite Sonne, auf der anderen Regen. |
Person | Von Manfred Kriener und Heike Ollertz |