Auf Pol-Position

„Neumayer III“ ist die jüngste der drei deutschen Forschungs­stationen auf Antarktika. Was treiben die Wissenschaftler dort?

Halten Sie mal bei Tempo 120 die Hand aus dem Autofenster und stellen sich dann vor, Sie müssten oben aufrecht auf dem Dach stehen und die Balance halten. Bei minus 20 oder 30 Grad. Wenn Ihnen das gelingt, haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie es ist, bei 65 Knoten Windgeschwindigkeit über das Ekström-Schelfeis zu laufen.“
Es sind die Worte von Tim Heitland, der versucht, dem Daheimgebliebenen jene Grenzerfahrung zu beschreiben, die bei Sturm vor den Türen der deutschen Antarktisstation „Neumayer III“ auf einen wartet. Der junge Chirurg weiß, wovon er redet. Er verbrachte als Stationsarzt und Leiter des Überwinterungsteams 2017 gut 14 Monate auf „Neumayer III“. „Wenn man aus der Tür unter der Station tritt, haut einen der Wind regelrecht um. Hat man dann erst seinen Komfortwinkel gegen den Wind gefunden, schaut man, dass man schnell weiter kommt.“ Denn im Engpass unter der auf Stelzen stehenden Station bündelt sich der Wind und schwillt um weitere 20 Knoten an – Tempo 160.
Die Orkanböen sind aber nur das eine Problem. „Durch die dichte Schneedrift kann man kaum die Hand vor den Augen sehen, die Station ist schon nach wenigen Schritten wie vom Erdboden verschluckt.“ Hinzu kommt der Whiteout, jenes berüchtigte Wetterphänomen, bei dem im Einheitsweiß Horizont und Kontraste verschwinden und mit ihnen jede Orientierung im Raum. Das Leben der „Neumayer“-Spaziergänger hängt nun sprichwörtlich an einem Faden, einer alle zehn Meter an Aluminiumstangen aufgehängten Handleine, die ihnen den Weg weist.
Am anderen Ende der Leine steht das Spurenstoffobservatorium, ein mit Messapparaturen vollgestopfter, oranger Schiffscontainer, in dem die Atmosphärenchemiker der Station täglich Messgeräte ablesen und Proben der antarktischen Luft für die spätere Analyse in Deutschland vorbereiten müssen. „Der Gang zum ,Spuso‘ fällt nur bei wirklich extremen Wetterbedingungen aus“, sagt Heitland. Orkanböen allein reichen da noch nicht.
Die 1500 Meter Abstand zwischen Station und „Spuso“ sind notwendig, weil dort der Aerosol- und Staubgehalt der Luft und nicht die Abgase der Station gemessen werden sollen. Aus dem gleichen Grund sind für die Fahrt zum „Spuso“ auch Pistenbullys und Motorschlitten tabu. Wer zum „Spuso“ will, geht zu Fuß – auch wenn der Spaziergang manchmal zu einer existenziellen Erfahrung werden kann, die bis zu einer Stunde dauert.
Alltag auf „Neumayer III“. Die Antarktisstation des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven wurde 2009 eröffnet. Was in nur 20 Wochen Bauzeit aus vorgefertigten Bauteilen auf das rund 160 Meter starke, bereits auf dem antarktischen Meer schwimmende Schelfeis nahe der Atkabucht gestellt wurde, ist der wohl modernste von etwa 40 durchgehend besetzten Vorposten menschlicher Zivilisation auf dem eisigen Kontinent. Auf gut 2000 Quadratmetern beheizter und noch einmal so viel unbeheizter Nutzfläche bietet „Neumayer III“ Platz für 50 Menschen, einen Fuhrpark von Pistenraupen und Motorschlitten, eine Sauna und einen Sportraum.
Ein besonderer Luxus ist auch das Tageslicht, das die Forscher zumindest im Polarsommer während der Arbeit genießen können. Die beiden Vorläufer von „Neumayer III“, die 1981 errichtete „Georg-von-Neumayer-Station“ und die 1992 erbaute Station „Neumayer II“ waren noch als Wohnröhren aus Stahl unter dem Eis angelegt. Das isolierte zwar gut gegen die Kälte des Polarwinters, doch unter Neuschnee versanken die Stationen Jahr für Jahr tiefer im Eis und wurden durch das Gewicht der darüberliegenden Schneemassen nach und nach zerdrückt.
„Neumayer III“ beruht auf einem völlig anderen Prinzip: Die Station balanciert über dem Eis, auf 16 hydraulischen Stelzen, deren Kufen sich einzeln anheben und mit Schnee unterfüttern lassen. Auf diese Weise heben die Techniker die Station jedes Jahr ein Stück an und vermeiden so das Schicksal der beiden Vorgänger. Eine Lebensdauer von 30 Jahren erhoffen sich die Erbauer für „Neumayer III“, deutlich länger als die ihrer beiden Vorgänger.


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mare No. 126

No. 126Februar / März 2018

Von Georg Rüschemeyer und Ulf von Rauchhaupt

Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, würde gerne einmal in die Antarktis reisen. Doch selbst ein Kurzbesuch auf der Station „Neumayer III“ im antarktischen Sommer erfordert gut ein Jahr Vorlauf. Ulf von Rauchhaupt, geboren 1964, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), verbrachte 2015 mehrere Wochen auf „Neumayer III“. Seine Eindrücke hielt er in einem FAS-Artikel fest – und auf diesen Fotos.

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Vita Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, würde gerne einmal in die Antarktis reisen. Doch selbst ein Kurzbesuch auf der Station „Neumayer III“ im antarktischen Sommer erfordert gut ein Jahr Vorlauf. Ulf von Rauchhaupt, geboren 1964, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), verbrachte 2015 mehrere Wochen auf „Neumayer III“. Seine Eindrücke hielt er in einem FAS-Artikel fest – und auf diesen Fotos.
Person Von Georg Rüschemeyer und Ulf von Rauchhaupt
Vita Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, würde gerne einmal in die Antarktis reisen. Doch selbst ein Kurzbesuch auf der Station „Neumayer III“ im antarktischen Sommer erfordert gut ein Jahr Vorlauf. Ulf von Rauchhaupt, geboren 1964, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), verbrachte 2015 mehrere Wochen auf „Neumayer III“. Seine Eindrücke hielt er in einem FAS-Artikel fest – und auf diesen Fotos.
Person Von Georg Rüschemeyer und Ulf von Rauchhaupt