Auf dich, vergessener Held!

Ein Pub im irischen Annascaul ehrt den größten Sohn des Ortes: einen Helden der Scott- und Shackleton-Antarktisexpeditionen

Willst du nicht lieber das volle nehmen?“ Der grauhaarige Mann mit schmalem Gesicht und dünner Lederjacke, nach dessen Glas Bier ich gegriffen hatte, sieht mich freundlich an. Er stellt sich vor als Thomas Kennedy. Er spricht leise, deutlich unter der üblichen Pub-Lautstärke, und er scheint sich mit der Antarktis auszukennen. Das hat mit dem Pub zu tun, in dem wir unser Bier trinken, „South Pole Inn“, ein nicht eben naheliegender Name auf der irischen Halbinsel Dingle.

Tatsächlich hat das Lokal im 300-Seelen-Dorf Annascaul im County Kerry mit der Antarktis zu tun. Der Polarfahrer Thomas Crean, erzählt Kennedy, sei 1877 in den Hügeln oberhalb des Dorfes geboren worden und habe als Teen das Weite gesucht. Er war ein Held der zweiten Reihe: Unter Robert Scott und Ernest Shackleton nahm er an drei legendären Antarktisexpeditionen teil, und er zählte zu den ersten 13 Menschen, die dem Südpol auf 150 Meilen nah kamen. 1920 quittierte er den Dienst, heiratete und eröffnete 1927 in seinem Heimatdorf den Südpol-Pub. Er starb 1938, den Pub gibt es noch immer.

Hier sitzen wir nun, am Tresen aus dicken Holzbalken. Die Wände sind voller Fotos, die von Crean und den Expeditionen erzählen: die im Eis stecken gebliebene „Endurance“, Schlitten ziehende Männer, Tom Crean mit einem Arm voller Hundewelpen.

Scott engagierte Crean für die „Terra Nova“-Expedition, die zum Südpol führen sollte. 150 Meilen vor dem Pol schickte der Chef Crean mit zwei weiteren Männern zurück, um die Depots aufzufüllen. Scott erreichte den Pol, doch sein Konkurrent Amundsen war ihm knapp zuvor­gekommen. Scott und seine Begleiter erfroren auf dem Rückweg. Geborgen wurden sie von Crean und den anderen beiden – und mit ihnen die berühmten Aufzeichnungen, in denen Scott sein dramatisches Scheitern dokumentiert hatte.

Dass die „Endurance“-Expedition unter Shackletons Leitung nicht ebenfalls im totalen Desaster endete, lag an einer der dramatischsten Rettungsaktionen der Geschichte: Ein Trupp von sechs Männern überquerte in einer 16-tägigen Fahrt die 800 Seemeilen lange Passage von Elephant Island nach South Georgia in einem offenen Boot. Neun Tage später brachen die Männer zu einem Gewaltmarsch über die Insel und ihre Berge auf, um bei Walfängern Hilfe zu holen. Es war die erste Durchquerung von Elephant Island. Wieder war Crean mit von der Partie.

Er galt als kumpelhafter Typ, der nie schlecht gelaunt war, sich liebevoll um die Schlittenhunde kümmerte und körperlich an Robustheit kaum zu überbieten war. Einer der Kollegen von der „Endurance“-Expedition behauptete sogar, Crean habe im Packeis des Weddellmeers auf allen Vieren „ein Geräusch von sich gegeben, dass ein wenig so klang wie ein Fisch“, nur um einen Kaiserpinguin anzulocken, den er dann binnen einer Viertelstunde speisefertig zubereitet habe.

Kennedy hat ein Lieblingsfoto von Crean. Es zeigt einen entschlossen blickenden Mann mit Bart, Wollmütze und einer Pfeife im Mundwinkel. Es ist sein bekanntestes Bild, aufgenommen während der „Endurance“-Expedition. „Noch heute leben 16 seiner Großcousins in Annascaul“, sagt Kennedy. Wo man die Großcousins denn antreffen könne, frage ich ihn. In freundlich-leisem Ton sagt er: „Einer von ihnen steht vor dir.“ Ich werde den Eindruck nicht los, dass Kennedy auf diese Pointe gewartet hat.

„Ab dem Moment, als er nach Annascaul zurückkam, stand er vollkommen unter der Kontrolle seiner Frau Ellen“, sagt er. Crean brachte das Haus in Ordnung und richtete eine Küche ein. Doch den Betrieb überließ er seiner in solchen Dingen erfahrenen Frau. Sie war als Wirtstochter in dem Pub schräg gegenüber aufgewachsen.

Als Kennedy sich verabschiedet, komme ich mit einem kräftigen Mann mit rot geädertem Gesicht ins Gespräch. Er war früher Bauunternehmer und genießt heute sein Altenteil in Annascaul. Ich frage ihn, ob er den netten Mann näher kennt, der so gut über Thomas Crean Bescheid wusste. „Tom Kennedy?“, fragt er. „Na, dem gehört doch der Pub.“


Fish ’n’ chips

Zutaten (für vier Personen)

4 Kabeljaufilets, 225 g Mehl, 1 TL Backpulver, 300 ml Bier (Lager), 1 kg Kartoffeln, Pflanzenöl, Malz­essig.

Zubereitung


In einer Schüssel Mehl (etwas Mehl zurückbehalten) und Backpulver mit dem Bier vermischen, bis der Teig zähflüssig ist. Im Kühlschrank etwa  1 Stunde ziehen lassen. Kartoffeln schälen, in fingerbreite Streifen schneiden und  bei 180 Grad portionsweise in Öl 4 bis  6 Minuten frittieren (nicht knusprig). Dann im Backofen warm halten. Filets in je etwa 4 Stücke schneiden, diese von beiden Seiten mit Salz und Pfeffer würzen und in Mehl wenden, dann in den Teig tauchen. Je nach Dicke der Schicht 8 bis 12 Minuten frittieren, bis sie goldbraun und knusprig sind. Die Kartoffeln salzen und mit Malzessig beträufeln, zusammen servieren.

South Pole Inn
Lower Main Street, Annascaul, Kerry; Tel. +353 66 9157388. 
Geöffnet Mo bis Do 12–23.30, Fr und  Sa 12–1, So 12–23 Uhr.

mare No. 115

No. 115April / Mai 2016

Von Martin Kaluza

Martin Kaluza, Jahrgang 1971, ist gebürtiger Flensburger, promovierter Philosoph und arbeitet als Journalist.

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Vita Martin Kaluza, Jahrgang 1971, ist gebürtiger Flensburger, promovierter Philosoph und arbeitet als Journalist.
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Vita Martin Kaluza, Jahrgang 1971, ist gebürtiger Flensburger, promovierter Philosoph und arbeitet als Journalist.
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