Auf dem falschen Dampfer

Die gigantische „Great Eastern“ war kein Unglücksschiff. Sie hat Kapitäne und Reeder einfach überfordert

Seine Bewunderer nannten ihn den „kleinen Riesen“. Denn Isambard Kingdom Brunel, genau 1,60 Meter groß, war einer der bedeutendsten Ingenieure seiner Zeit. Was hat der Mann aus dem englischen Portsmouth nicht alles geschaffen! Als er mit seinem Vater Marc 1826 den ersten Tunnel unter der Themse bohrt, ist er gerade 20 Jahre alt. Nebenbei erfindet er für die Unterwasserarbeiten die Senkkastentechnik. Nach einem Unfall auf der Baustelle liegt er lange im Hospital – noch auf dem Krankenlager entwirft er eine 200 Meter lange Hängebrücke, die bei Bristol den Avon überspannen sollte.

Später konstruiert er für den Krimkrieg eine gepanzerte, schwimmende Geschützplattform. Und liefert für die Folgen des geplanten Bombardements gleich ein leicht transportierbares Krankenhaus aus Fertigteilen dazu. Dann stürzt sich Brunel auf die Eisenbahntechnik. Er baut ein Dutzend Strecken in Italien, Österreich und Indien, vor allem aber durch West- und Mittelengland. Er wohnt im eigenen Salonwagen und prescht mit einer schnittigen Reisekutsche von Baustelle zu Baustelle. Sein Büro trägt er auf dem Kopf – einen modischen Zylinder, unter dem er seine Notizzettel verwahrt.

Isambard Kingdom Brunel einen Exzentriker zu nennen wäre eine gehörige Untertreibung. Bei einem Taschenspielertrick, den er seinen Kindern vorführt, verschluckt er eine Goldmünze. Brunel baut ein Gestell, hängt sich täglich kopfunter darin auf und hustet, was das Zeug hält. Vergeblich. Nach sechs Wochen lässt er einen Luftröhrenschnitt machen – und dieses Mal fällt die Münze aus der Lunge.

Daneben baut er zwei Schiffe für den Transatlantikverkehr: den Raddampfer „Great Western“ (1837) und den ersten größeren Schraubendampfer, die „Great Britain“ (1843). Im Herbst 1857 nimmt Brunel sein größtes – und letztes – Projekt in Angriff. Es will ein Schiff aus Eisen bauen. Mit 211 Meter Länge und 25 Meter Breite ist es ein Ungeheuer, fünf Mal größer als das größte zuvor gebaute Wasserfahrzeug. Drei Jahre benötigen die 2000 Arbeiter der Werft John Scott Russel & Co. für die Herstellung der 30000 hydraulisch vorgeformten und nummerierten Eisenplatten. Jede Platte, gut zwei Zentimeter dick, wiegt eine drei viertel Tonne. Drei Millionen Nieten verbrauchen die Männer dabei. Überhaupt ist der Materialbedarf für Brunels Schiff so enorm, dass der Marktpreis für Eisen steigt. Mit seinem doppelwandigen Rumpf wiegt der Koloss über 32000 Tonnen.

„Leviathan“ soll das Monstrum zuerst heißen, aber das klingt den Besitzern dann doch zu ungeheuerlich. Sie einigen sich auf „Great Eastern“. Die Presse nennt den Dampfer bewundernd „Kristallpalast auf See“, eine „schwimmende Stadt“ oder einfach „das Wunder der Meere“. Die Kabinen sind für damalige Begriffe purer Luxus. Die meisten verfügen über fließend kaltes und warmes Wasser, viele haben Gasbeleuchtung. Die Zwischenwände sind beweglich, um die Kabinengrößen zu verändern. Entsprechend schwanken die Angaben für die Belegzahl zwischen 2000 und 4000 Personen. 600 Mann Besatzung sind vorgesehen.

Brunel ist überzeugt, dass sich mit den wachsenden Handelsbeziehungen zwischen England und Ostindien der Bedarf an Transportkapazität vervielfachen wird. Persönlich hat er in zahlreichen Vorträgen Investoren geworben. An Ladung und Passagieren werde es dem Schiff nie mangeln, und den Brennstoff für die 22000 Seemeilen lange Fahrt nach Ceylon und zurück – rund 10000 Tonnen – werde es in Form preiswerter walisischer Kohle mitführen. Voraussichtliche Jahresrendite für die Aktionäre: 40 Prozent.

Die riesigen Laderäume haben Platz für 6000 Tonnen Fracht. Voll beladen wird die „Great Eastern“ schwerer sein als alle 197 Schiffe der spanischen Armada, die im 16. Jahrhundert England erobern wollte. Um die eiserne Riesin mit den geplanten 14,5 Knoten anzutreiben, hat Brunel gleich zwei Maschinenanlagen von zusammen 11000 PS Leistung eingebaut. Eine dient für den Betrieb der beiden riesigen Schaufelräder, die andere für den Antrieb des haushohen Heckpropellers. Zehn Kessel liefern „so viel Dampf, wie alle Baumwollspinnereien von Manchester benötigen würden“, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht. Der Dampfantrieb ist noch relativ neu in der Schifffahrt. Deshalb hat Brunel zwischen die fünf Schornsteine auch noch sechs Masten gesetzt, für 5100 Quadratmeter Segelfläche.

Doch Brunels Traumschiff gerät zu einem Albtraum. Schon der Stapellauf am 3. November 1857 bringt die erste Katastrophe: Brunel hat das Schiff auf einer Querhelling bauen lassen. Über 100 Meter sind es bis zum tiefen Wasser der Themse. Mithilfe mächtiger Ketten und eines komplizierten Kontrollgetriebes soll das Schiff auf der geneigten Ebene seitlich ins Wasser rutschen. Hydraulische Pressen sollen schieben, Dampfschlepper auf dem Fluss ziehen. Nie zuvor ist ein derart gewaltiges Objekt von Menschenhand bewegt worden.


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mare No. 30

No. 30Februar / März 2002

Von Cord Christian Troebst

Cord Christian Troebst, geboren 1933 in Bukarest, war mehr als zehn Jahre auf Cape Cod in Neuengland zu Hause. Dort hörte er zum ersten Mal von der „Great Eastern“. Denn Cape Cod – der Europa am nächsten gelegene Punkt der Vereinigten Staaten – ist eng mit der Geschichte der Kabeltelegrafie verbunden. Der Autor lebt heute in Hamburg. Dies ist sein erster Beitrag für mare.

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Vita Cord Christian Troebst, geboren 1933 in Bukarest, war mehr als zehn Jahre auf Cape Cod in Neuengland zu Hause. Dort hörte er zum ersten Mal von der „Great Eastern“. Denn Cape Cod – der Europa am nächsten gelegene Punkt der Vereinigten Staaten – ist eng mit der Geschichte der Kabeltelegrafie verbunden. Der Autor lebt heute in Hamburg. Dies ist sein erster Beitrag für mare.
Person Von Cord Christian Troebst
Vita Cord Christian Troebst, geboren 1933 in Bukarest, war mehr als zehn Jahre auf Cape Cod in Neuengland zu Hause. Dort hörte er zum ersten Mal von der „Great Eastern“. Denn Cape Cod – der Europa am nächsten gelegene Punkt der Vereinigten Staaten – ist eng mit der Geschichte der Kabeltelegrafie verbunden. Der Autor lebt heute in Hamburg. Dies ist sein erster Beitrag für mare.
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