Attackiert das Imperium!

Ruppe Koselleck ist Künstler. Und als solcher hat er ein Ziel: dem Ölkonzern BP zeigen, wo die Macht hockt. Bei der Kunst nämlich

Es ist jetzt gegen zehn Uhr an einem Aprilvormittag, damit beginnt die beste Zeit: Vor Norderney zieht sich die Nordsee zur Ebbe zurück, und Ruppe Koselleck macht sich auf, um frisches Kapital für seine „feindliche Übernahme“ zu suchen. Er spaziert in einer grünen Montur von British Petroleum über den weiten, weißsandigen Nordstrand. Jakobsmuscheln liegen herum, geschliffene Steinchen und allerlei dunkles Strandgut. Alle paar Meter bückt er sich, greift nach einem schwarzen Klumpen, dreht ihn in der Hand und riecht daran. „Vielleicht finden sich ja ein paar Brocken Rohöl“, sagt Ruppe Koselleck hoffnungsfroh und geht weiter.

Natürlich ist nicht jeder schwarze Klumpen am Strand ein Rohölrest. Kaum einer weiß das besser als Koselleck. Schließlich sammelt er seit zehn Jahren und war an einigen Stränden der Welt unterwegs. Da sind etwa diese porösen und steinharten Würfelchen: „Schlacke“, sagt er und wirft sie fort in die sandfarbenen Wellen. Es gibt auch schwarze Plättchen, die splittern, wenn man sie bricht: harmloser Muschelkalk. Und dann diese strohigen Brocken: nichts anderes als vom Flutwasser verpresster Pferdekot. Darauf fällt er schon lange nicht mehr herein.

Die Sonne bricht durch die Wolken, und Koselleck schwitzt unter seiner grünen BP-Montur. Die Jacke will er nicht ablegen. „Ich kann hier doch nicht ohne Arbeitskleidung rumlaufen“, meint er und sucht weiter nach Rohölklumpen wie andere Menschen nach Bernstein. Mit seinem wuchtigen, kahlen Schädel und der stämmigen Figur erinnert der 44-Jährige an einen Ringer. Sieht man ihn aus der Ferne, denkt man an einen Tankwart auf Strandurlaub. Plötzlich kniet sich Koselleck nieder. Er streicht mit der Hand über ein paar Muscheln, putzt mit seinen kräftigen Fingern Sand zur Seite und hält ein tischtennisballgroßes Klümpchen in der Hand. So weich, dass es schmierig die Hände verklebt. „Scheiße“, sagt er auf seine Finger schauend und befindet: „Erdöl! Noch ganz frisch. Nicht ausgehärtet.“ Ansonsten scheint der Strand sauber zu sein.

Manchmal wird Koselleck von Wattgängern angesprochen. Dann erzählt er von seinem verwegenen Plan, den Erdölkonzern British Petroleum zu übernehmen. Es ist eine romantische Utopie, der Traum eines Machtlosen gegen einen mehr als 18 Milliarden Aktien schweren Titanen. Die Auflehnung eines Bürgers, der im großen Pokerspiel doch eigentlich zum Schweigen verdammt ist. Aber Koselleck redet, munter und selbstgewiss. Während seines Vortrags greift er routiniert in eine Tasche seiner BP-Jacke und zückt eine Visitenkarte. Darauf sein Credo: „Sie kaufen Kunst und ich BP!“

Die Strandgänger entgegnen: „Übernehmen Sie den Laden!“ Auch: „Machen Sie sie platt!“ Manche ballen komplizenhaft die Fäuste oder recken die Daumen. Einer zeichnet gar Kosellecks Ansage mit der Kamera seines Handys auf. Er will sie daheim der Familie vorspielen. Solche Begegnungen puschen den Künstler auf: „Ist doch geil, was? Die Leute sind echt angetan.“

Als sich Koselleck nunmehr vom Meer abgewendet hat, entdeckt er mit einem Mal noch eine Art Ader: Nahe den Dünen liegen wie auf einer Perlenkette aufgereiht mattschwarze Fladen, jeweils wenige Schritte voneinander entfernt. Es sind Dutzende! Allesamt labbrig, groß und platt wie in der Hitze verschrumpelte Schallplatten. Vermutlich wurden sie bei einer Sturmflut angeschwemmt.

„Es ist pervers“, ruft Koselleck in den Wind, „aber ich freue mich über jeden Ölflatschen am Strand.“ Stück für Stück legt er sie vorsichtig in eine Plastiktüte, die verziert ist mit der grünen Strahlensonne des BP-Konzerns. In kaum fünf Minuten sackt er jetzt drei große Hände voller Rohölreste ein. Gutes Kapital für seine nächste Attacke auf das Imperium.

Rückfahrt im roten Golf-Kombi „Bon Jovi“ nach Münster, wo Koselleck lebt und malt. Hinten im Auto liegen in der Tüte die Ölklumpen und verströmen einen leichten Teergeruch. Des Weiteren rumpeln sechs Plastikkanister aneinander, die gerade noch am ostfriesischen Küstenort Greetsiel mit Hafenwasser aufgefüllt wurden. Der Ort liegt in Sichtweite zur Insel Borkum. Und das ist sehr gut. Denn nach der Insel ist Kosellecks wichtigster Komplize im Kampf gegen das Rohöl benannt.

„Alcanivorax borkumensis“, hebt er zu einem Vortrag an, ein Wesen, das zur Gattung der Proteobakterien zählt, weltweit vorkommt und 2006 nahe Borkum erstmals nachgewiesen wurde. „Vor allem: Das Bakterium kann sich verwandeln wie der Urmeeresgott Proteus, und es kann als eines der wenigen Bakterien überhaupt sogar Öl abbauen.“ Das sei dem Reporter sicher bekannt. Habe ja im Wissenschaftsmagazin „Science“ gestanden.

Als es jenseits der verschmutzten Frontscheibe dunkelt, fängt Koselleck an, die Geschichte seiner „feindlichen Übernahme“ zu erzählen. Sie klingt mal wie eine Komödie, mal wie eine Tragödie.

Zehn Jahre zurück, während eines Sommerurlaubs im holländischen Julianadorp. Eines Morgens stapft seine Tochter beim Sandburgbauen in einen Teerklumpen. Als Koselleck ihr den klebrigen Batzen abschabt, erinnert er sich, wie er selbst als Kind in Thorsminde, Dänemark, in ein Stück warmen, weichen Teers getreten ist. Sein Vater hatte ihm die Schmiere mit einem Taschenmesser von der Haut gekratzt.

An der Erinnerung entzündet sich eine Idee: Man müsste den Dreck verschachern. Und mit dem Geld die Unternehmen kaufen, die ihn verursachen. Koselleck denkt: Auf diese Weise schlucken sich die Konzerne selbst. So gewinnt die Idee an Konturen, wird zu einem Konzept, zu einem Kunstprojekt. Er bezeichnet es als „transgenerativ“, als generationenübergreifend. Noch am Strand schnappt sich Koselleck ein Spielzeugeimerchen seiner Tochter und zieht los, um erste Klumpen für die Übernahmeschlacht zu sichern. Nach 20 Minuten quillt der Eimer über.

Als die Familie Tage später nach Hause fährt, überlegt Koselleck, wen er angreifen soll. Aral? Die haben diese schöne blaue Firmenfarbe. Dann sieht er die BP-Tankstellen. Sieht deren neues Logo: die grün leuchtende Strahlensonne. Er denkt: „Coole Werbung. Die geben sich, als wären sie Greenpeace. Scheinheilig, aber intelligent. Die muss ich angreifen.“

Um die Mehrheit am Konzern zu besitzen, so recherchiert er, muss er mehr als neun Milliarden Aktien ersteigern. Damit er sich die Aktien jederzeit leisten kann, selbst wenn sie einmal in schwindelnde Höhen schießen, richtet er den Preis seiner Kunstwerke am Kurs der BP-Aktie aus. Je höher der Kurs, desto teurer die Bilder. Und umgekehrt.

Damit ist seine Kunst, in den Worten Kosellecks, nichts Geringeres als „systemrelevante Malerei“: Wenn sie erfolgreich ist, so spekuliert er, wird er mit ihr einen mächtigen Konzern erobern, der so sehr mit der Weltwirtschaft verflochten ist, dass seine Übernahme den Kapitalismus erschüttern könnte.

Im Oktober 2001 stellt Koselleck seine ersten Rohölbilder aus. Seine Ausstellung dekoriert er mit Flyern und Broschüren von BP. 50 Prozent vom Erlös eines Bildes sollen in den Aktienkauf fließen, die anderen 50 Prozent in die Familienkasse. Das ist der Deal. Um einen Anfang zu machen, kauft er die ersten fünf Bilder für je 9,25 Euro selbst. Er notiert den Kauf in einem Kontorbuch; dort vermerkt er fortan Daten zu jedem Bild: Name des Käufers, Preis, Datum, aktueller Aktienkurs.

Den Erlös aus seinem Kauf trägt er zur Sparkasse. Dort steht er im Anzug vor den Angestellten und erklärt: „Ich will fünf Aktien kaufen.“ Die halten ihn für verrückt. So wenige Aktien hat noch nie jemand bei ihnen gekauft. Erst als Koselleck sagt, es handele sich um ein Kunstprojekt, erhält er sie.

Plötzlich taucht bei seiner Ausstellung ein Controllingteam von BP auf. Eigentlich suchen die nur nach Informationen über die Stadt. Dann entdeckt einer die BP-Flyer und sagt: „Hey, da liegen unsere Werbematerialien.“ Der Künstler entgegnet: „Guten Tag, mein Name ist Ruppe Koselleck, ich bin Ihr künftiger Chef. Ich brauche nur noch ein paar Aktien.“

Niemand von ihnen will eine Skizze erstehen. „Die haben Angst, entlassen zu werden, bevor ich den Laden übernehmen kann“, scherzt er später über sie. Immerhin kaufen sie seine Postkarten mit dem Spruch: „Das Leben ist zu kurz für den falschen Job!“


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mare No. 88

No. 88Oktober / November 2011

Von Dirk Liesemer und Jan Windszus

Den Berliner Fotografen Jan Windszus, geboren 1976, wunderte vor allem, wie leicht sich die Spuren des Öleintrags in die Meere an deutschen Küsten finden lassen. „Da denken Touristen und Ausflügler, dass sie in unberührter Natur sind, und bemerken nicht die Ölklumpen, die sich als Holz oder Ähnliches tarnen.“

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Vita Den Berliner Fotografen Jan Windszus, geboren 1976, wunderte vor allem, wie leicht sich die Spuren des Öleintrags in die Meere an deutschen Küsten finden lassen. „Da denken Touristen und Ausflügler, dass sie in unberührter Natur sind, und bemerken nicht die Ölklumpen, die sich als Holz oder Ähnliches tarnen.“
Person Von Dirk Liesemer und Jan Windszus
Vita Den Berliner Fotografen Jan Windszus, geboren 1976, wunderte vor allem, wie leicht sich die Spuren des Öleintrags in die Meere an deutschen Küsten finden lassen. „Da denken Touristen und Ausflügler, dass sie in unberührter Natur sind, und bemerken nicht die Ölklumpen, die sich als Holz oder Ähnliches tarnen.“
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