Archipel der Einsiedler

Hawaii endet im Norden nicht bei Kauai – jenseits davon erstreckt sich eine 2000 Kilometer lange Perlenkette von Inseln. Auf den Nordwestlichen Hawaii-Inseln ist die Natur noch weit reicher und voller rarer Lebewesen – hier haben Menschen keinen Zutritt

Einsamkeit ist auch nur eine Frage der Perspektive. Aus menschlicher Sicht gibt es auf Erden kaum abgelegenere Orte als die Nordwestlichen Hawaii-Inseln, kurz NWHI, die sich von den Hauptinseln des Archipels wie eine lose Perlenkette auf fast 2000 Kilometer Länge in den Pazifik erstrecken. Von Menschen bewohnt ist nur das Midway-Atoll, das als hart umkämpfter Stützpunkt der US-Marine im Zweiten Weltkrieg Geschichte schrieb. Die letzten Soldaten verließen Midway Ende der 1990er Jahre. In ihren alten Unterkünften leben heute nur noch ein paar Arbeiter, die die alte Rollbahn für Notlandungen von Flugzeugen funktionstüchtig halten.

Die anderen neun Inseln, oft kaum mehr als bessere Sandbänke oder umbrandete Basaltfelsen, sind unbewohnt. Und doch pulsiert auf den zusammengenommen gerade 15 Quadratkilometer großen NWHI das pralle Leben. Mit rund 14 Millionen hier nistenden Seevögeln gilt der Archipel als wichtigstes Brutgebiet der Tropen. Allein auf Midway drängen sich in der Balz- und Brutsaison von Oktober bis Juli mehr als eine Million Laysan- und Schwarzfußalbatrosse auf sechs Quadratkilometern. Das entspricht der fünffachen Bevölkerungsdichte Manhattans, die weiteren ein bis zwei Millionen Seevögel des Atolls nicht mitgerechnet.

„Auf Midway haben die Albatrosse das Sagen, während der Brutzeit stolpert man buchstäblich über die Tiere. Auch für die Menschen hier gliedert sich das Jahr nach der Ankunft des ersten Albatrosses, dem Schlüpfen des ersten Kükens und dem Abflug des letzten Jungvogels“, erzählt die US-Fotografin Susan Middleton, die nach zahlreichen, zum Teil monatelangen Aufenthalten auf allen neun Inseln zu deren besten Kennern gehört. Für den Bildband „Archipelago“, aus dem die auf diesen Seiten gezeigten Fotos stammen, dokumentierte sie gemeinsam mit ihrem Kollegen David Liittschwager die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt der NWHI.

Keine leichte Aufgabe, denn die zum US-Bundesstaat Hawaii gehörenden Inseln sind – bis auf Midway, das auch politisch eine Sonderstellung hat – strengstes ökologisches Sperrgebiet. Zugang erhalten nur handverlesene Wissenschaftler und Helfer. Wer vom U.S. Fish & Wildlife Service und der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) ausgewählt wird, für den gelten strikte Quarantäneregeln. Sämtliche „weichen“ Ausrüstungsgegenstände wie Kleidung, Schuhe, Rucksäcke und Zelte müssen fabrikneu sein und vor dem Packen 48 Stunden in einer Tiefkühltruhe gelagert werden.

Alles andere wird gründlich gereinigt und inspiziert, danach kommt das Gepäck in dichte Plastikbehälter, die erst am Zielort geöffnet werden. Da für jede Insel getrennt gepackt werden muss, sei der logistische Aufwand bei der Vorbereitung für eine Inselhopping-Expedition immens, sagt Middleton. „Vor allem darf man nichts Wichtiges vergessen, denn bis man vom nächsten NOAA-Schiff abgeholt wird, vergehen Wochen bis Monate, in denen man auf sich selbst gestellt ist.“

Die Quarantäne ist keine Schikane, sondern eine unumgängliche Maßnahme, um das Einschleppen von Insekten oder Pflanzensamen zu vermeiden. Denn invasive Arten können leicht zur tödlichen Gefahr für die kleinen und dadurch besonders empfindlichen Ökosysteme der Inseln werden. Allein 23 Vogelarten brüten hier, vier davon, der Nihoa- und der Laysanfink, der Nihoarohrsänger und die Laysanente, sind auf ihrer jeweiligen Heimatinsel sogar endemisch, also nirgendwo sonst auf der ganzen Welt zu finden.

Ebenso gedeihen auf den NWHI seltene Pflanzen wie etwa die Ohai, ein prächtiges rotes Gewächs aus der Familie der Schmetterlingsblütler. Es ist auf den Hauptinseln nur noch in wenigen Exemplaren zu finden. Auf Nihoa wächst es dagegen in dichten Beständen.

Auch unter Wasser lebt in ausgedehnten Riffen eine exklusive Gemeinschaft von Fischen und Wirbellosen. „Die Riffe der NWHI sind praktisch unberührt und mit ihren vielen endemischen Arten ein unersetzlicher Hotspot der globalen Biodiversität“, sagt Alan Friedlander, Fischexperte an der University of Hawaii. „Sie geben uns eine Vorstellung davon, wie das Meer vor ganz Hawaii vor der Ankunft des Menschen ausgesehen haben könnte.“

Etwa 80 zum Teil noch nicht wissenschaftlich beschriebene Arten von Steinkorallen fanden Forscher um die Inseln, fast die Hälfte davon sind dort endemisch. Auch unter den weit mehr als 1000 Wirbellosen und den 210 bekannten Fischarten der Region ist der Anteil endemischer Spezies hoch. Ökologisch einzigartig sei unter den Fischen vor allem der hohe Anteil an Spitzenprädatoren, so Friedlander. Diese am Ende der Nahrungskette stehenden Räuber machen vor den NWHI rund die Hälfte der gesamten Fischbiomasse aus, während ihr Anteil vor den Hauptinseln, wo sie durch Sportfischer dezimiert werden, nur bei etwa drei Prozent liegt. Der Unterschied zur Unterwasserwelt vor den Hauptinseln sei überwältigend, sagt auch Susan Middleton. „Beim Tauchen ist man sofort von Zackenbarschen, Stachelmakrelen und Haien umgeben, die kaum Scheu vor Menschen kennen.“


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mare No. 87

No. 87August / September 2011

Von G. Rüschemeyer, D. Liittschwager und S. Middleton

Von den Nordwestlichen Hawaii-Inseln musste sich Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Autor in Nijmegen, aus der Ferne ein Bild machen. Nur als Helfer bei der Beseitigung von Müll hätte er dorthin gedurft. Doch solch ein Einsatz dauert Monate.

Susan Middleton, geboren 1948, und David Liittschwager, geboren 1961, beide aus San Francisco, sind bekannt für ihre Bilder von gefährdeten Tieren und Pflanzen Nordamerikas. Das Fotografenduo hat bereits mehrere Bildbände veröffentlicht.

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Susan Middleton, geboren 1948, und David Liittschwager, geboren 1961, beide aus San Francisco, sind bekannt für ihre Bilder von gefährdeten Tieren und Pflanzen Nordamerikas. Das Fotografenduo hat bereits mehrere Bildbände veröffentlicht.
Person Von G. Rüschemeyer, D. Liittschwager und S. Middleton
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Susan Middleton, geboren 1948, und David Liittschwager, geboren 1961, beide aus San Francisco, sind bekannt für ihre Bilder von gefährdeten Tieren und Pflanzen Nordamerikas. Das Fotografenduo hat bereits mehrere Bildbände veröffentlicht.
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