Arabischer Frühling

Sokotra im Arabischen Meer ist eine versteckte Paradiesinsel. ­ Hier gibt es Pflanzen und Bäume, die es sonst nirgends gibt

Es gibt am Ortsausgang des Golfes von Aden eine kleine Inselgruppe, die von Biologen als das „Galapagos des Indischen Ozeans“ bezeichnet wird. Und als wollten die Inseln die Wahrheit der Ökologie, nach der die Artenvielfalt immer eine Folge des extremen Mangels ist, auch zeigen, sehen sie auch aus wie der Stein gewordene Mangel. Zerklüftete, granitene, karge Berge mit ihren bizarren Steinzacken erheben sich in der Mitte der Hauptinsel Sokotra und lassen die trockene Öde nicht nur ahnen.

Dazu kommt, dass an vielen Orten hohe, schroffe Kalksteinsteilküsten den Übergang der Inseln ins Meer bilden. Obwohl die Kalksteinwände an manchen Stellen von langen sandigen und kieseligen Stränden durchbrochen werden, die die raue Fassade des Archipels abmildern, können sie nicht verdecken, dass es die Erosion ist, die diese Landschaft formt. Ein Eindruck, den nicht einmal die grünen Lagunen, auf deren Rasen kleine Kühe weiden, vertreiben. Denn hinter den Wiesen, Palmen oder Mangroven erhebt sich immer wieder drohend das kahle Gebirge ohne Grün.

Umso erstaunlicher scheint es zu sein, was aus diesen Inseln geworden ist. Der zum Jemen gehörende Sokotra-Archipel, dessen Hauptinsel Sokotra 350 Kilometer südlich der Arabischen Halbinsel und 230 Kilometer östlich des Horns von Afrika liegt, ist seit 2008 Unesco-Weltnaturerbe. Der Grund für diese Auszeichnung ist auch der, der den Vergleich mit Galapagos provoziert: Es ist die enorm hohe Anzahl nur auf dem Archipel vorkommender, so- genannter endemischer Arten. Im Unterschied aber zu anderen Zentren der Artenvielfalt wie den tropischen Regenwäldern oder Galapagos hat der arabische Archipel seinen Mangel nie versteckt.

Während die Regenwälder Amazoniens ihren ersten europäischen Entdeckern wie Alexander von Humboldt oder Henry Walter Bates mit ihren ewig grünen Pflanzen schier unendlichen Reichtum vorgaukelten, wurde Sokotra von Anfang an als unnütz empfunden. Der Sokotra-Archipel galt lange als „sehr groß, unfruchtbar und feucht“, wie es im griechischen Seefahrerhandbuch „Periplus Maris Erythraei“ heißt, das etwa 40 bis 70 n. Chr. geschrieben wurde. Das Handbuch berichtet zwar auch von Flüssen mit Krokodilen, vielen Schlangen und Eidechsen, „die so groß sind, dass die Leute ihr Fleisch essen und ihr Fett zerlassen, um es anstelle von Öl zu verwenden“. Es fügt aber sofort an, dass „die Insel keine Feldfrüchte trägt, weder Weinstöcke noch Getreide“.

Tatsächlich ist es ein besonderes Merkmal der Inseln, dass die Bevölkerung in den langen Jahren der immer spärlichen Besiedlung nie einen Ehrgeiz entwickelte, die Pflanzen auf der Insel zu kultivieren. Man kann es an der Geschichte des Sokotra-Granatapfels zeigen. Beschrieben wurde der Granatapfelbaum aus Sokotra zuerst 1882 als Punica protopunica vom schottischen Botaniker Isaac Bayley Balfour. Zur Familie der Granatapfelbäume gehören nur zwei Arten, der von Sokotra und der weltbekannte Granatapfel Punica granatum der arabischen Welt, einer der ältesten Obstbäume der Menschheit.

Während der arabische Festlandgranatapfel in eine Vielzahl von Zuchtorten überführt wurde, als Symbol für Fruchtbarkeit, Reichtum und Überfluss galt und in vielfältiger Form in die arabische Ornamentik einfloss, ließ man den Sokotra-Granatapfel, wie er war. Zwar auch strauchig und baumförmig wachsend, nur etwas kleiner, nutzte man die Früchte und andere Teile des Baumes auch als Nahrung und Medizin, züchtete die Pflanze aber nie. Deshalb verwundert es nicht, dass die aktuelle Pflanzengenetik den Sokotra-Granatapfel als hochwertige genetische Ressource einstuft, falls sich der seit Tausenden von Jahren kultivierte Granatapfel irgendwann erschöpfen sollte.

So wie die Bewohner Sokotras ihre Wildpflanzen nicht mit Züchtung bedrängten, ließen sie auch ihre Sprache unbedrängt: Das Sokotri, das zu den modernen südarabischen Sprachen gehört und sich erheblich vom Arabischen unterscheidet, wurde nie in eine Schriftform überführt. Es ist immer noch eine schriftlos gesprochene Sprache.

Als schriftlose Sprache konnte sich das Sokotri auf der Basis einer sozusagen doppelten Isolation erhalten: einer geografischen und einer politisch-ökonomischen. Die Inseln, vor etwa 30 Millionen Jahren vom Festland getrennt, hatten bis 1999 nicht einmal einen richtigen Flughafen und im Jahr 2000 gerade 140 ausländi- sche Besucher. Auch wenn sich die Zahl der Touristen mit dem beginnenden Ökotourismus 2010 auf 4000 erhöhte, ist der Archipel damit noch nicht aus seiner abgeschiedenen Lage herausgerückt. Der Großteil der 40 000 bis 80 000 Einwohner der Inseln, zwischen diesen Zahlen schwanken die Quellen, lebt ohne Elektrizität und fließendes Wasser an der Armutsgrenze.


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mare No. 107

No. 107Dezember 2014 / Januar 2015

Von Cord Riechelmann und Simon Norfolk

Cord Riechelmann, Jahrgang 1960, Biologe und freier Autor in Berlin, war überrascht über die Bedeutung der Bienen auf Sokotra. Da es die Varroa-Milbe, die weltweit für das Massensterben von Bienen verantwortlich ist, auf Sokotra nicht gibt, könnten die 1200 heimischen Bienenvölker eines Tages über die Insel hinaus an Bedeutung gewinnen.

Als Simon Norfolk, Jahrgang 1963, britischer Fotograf in Brighton und Kabul und vertreten durch die Agentur Institute, in Sokotras Wildnis zeltete, fragte er den Guide, was es zu essen gebe. Der zeigte auf ein Zicklein, das an einen nahen Baum gebunden war. Obwohl Norfolk Vegetarier ist, aß er das Tier. „Das Mahl abzulehnen erschien mir einfach zu unhöflich.“ mare bedankt sich beim Centre for Middle Eastern Plants (www.cmep.org.uk) im schottischen Edinburgh für die wissenschaftliche Beratung.

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Vita Cord Riechelmann, Jahrgang 1960, Biologe und freier Autor in Berlin, war überrascht über die Bedeutung der Bienen auf Sokotra. Da es die Varroa-Milbe, die weltweit für das Massensterben von Bienen verantwortlich ist, auf Sokotra nicht gibt, könnten die 1200 heimischen Bienenvölker eines Tages über die Insel hinaus an Bedeutung gewinnen.

Als Simon Norfolk, Jahrgang 1963, britischer Fotograf in Brighton und Kabul und vertreten durch die Agentur Institute, in Sokotras Wildnis zeltete, fragte er den Guide, was es zu essen gebe. Der zeigte auf ein Zicklein, das an einen nahen Baum gebunden war. Obwohl Norfolk Vegetarier ist, aß er das Tier. „Das Mahl abzulehnen erschien mir einfach zu unhöflich.“ mare bedankt sich beim Centre for Middle Eastern Plants (www.cmep.org.uk) im schottischen Edinburgh für die wissenschaftliche Beratung.
Person Von Cord Riechelmann und Simon Norfolk
Vita Cord Riechelmann, Jahrgang 1960, Biologe und freier Autor in Berlin, war überrascht über die Bedeutung der Bienen auf Sokotra. Da es die Varroa-Milbe, die weltweit für das Massensterben von Bienen verantwortlich ist, auf Sokotra nicht gibt, könnten die 1200 heimischen Bienenvölker eines Tages über die Insel hinaus an Bedeutung gewinnen.

Als Simon Norfolk, Jahrgang 1963, britischer Fotograf in Brighton und Kabul und vertreten durch die Agentur Institute, in Sokotras Wildnis zeltete, fragte er den Guide, was es zu essen gebe. Der zeigte auf ein Zicklein, das an einen nahen Baum gebunden war. Obwohl Norfolk Vegetarier ist, aß er das Tier. „Das Mahl abzulehnen erschien mir einfach zu unhöflich.“ mare bedankt sich beim Centre for Middle Eastern Plants (www.cmep.org.uk) im schottischen Edinburgh für die wissenschaftliche Beratung.
Person Von Cord Riechelmann und Simon Norfolk