Aqua Salus

Ein vor Millionen von Jahren verschwundenes Meer hat unter der Erde der Emilia-Romagna in Italien einen Schatz zurückgelassen: ein außergewöhnlich salzhaltiges Wasser, das die Basis für ein besonderes Heilbad wurde.

Es war einmal ein Meer. Kein Mensch hat seinen blauen Horizont je gesehen, aber es war da. Dort, wo sich der Kurort Salsomaggiore in die Hügel der Emilia-Romagna kuschelt. Dort tummelten sich vor rund 15 Millionen Jahren Wale, Delfine und Haie. Ein mächtiger Golf der Adria weitete sich zwischen dem nördlichen Apennin und dem Rand der Alpen. Die gesamte Po-Ebene – alles Meer. Emilia-Romagna, Lombardei, Piemont – alles Meer. 

Nun gut, ein paar Millionen Jahre, vom Miozän durch das Pliozän – was ist schon Zeit für unseren Planeten? Das wahrhaftige Wunder ist aber doch, dass er nichts vergisst, dieser Blaue Planet. Man muss nur ein wenig buddeln und bohren, genau hinschauen und schließlich, schau an, es ist noch da, das alte Meer. 

Es hat, vor allem in der Region zwischen Parma und Piacenza, sichtbare Spuren hinterlassen. In Flussbetten, im Sand, in den Hügeln rund um Salsomaggiore. Muscheln wurden gefunden, Fossilien von Meeresgetier, Knochen vom Gerippe eines Wals, der 20 Meter lang gewesen sein muss. In dessen Wirbelsäule die Zähne eines Hais steckten. Aber vor allem ist da dieses Wasser. Salzwasser! Mitten im Land. Tief, tief unten im Bauch der Erde, dort liegen die Reste des alten Meers.

Vor 4,5 Millionen Jahren löste sich die blaue Linie des Horizonts über dem Golf der Wale langsam auf, das Wasser begann sich zurückzuziehen, und die Po-Ebene bildete sich. Zuvor waren Afrika und Spanien aneinandergestupst, die Antarktische Eiskappe hatte sich gebildet, die Meeresspiegel hatten sich weltweit gesenkt. Auch im Mittelmeer, im Golf der Wale. Das Meerwasser verdunstete, Kalk und andere Sedimente lagerten sich ab und formten die Hügel der Emilia-Romagna. Die Landbrücke zwischen Afrika und Europa löste sich wieder, tektonische Verschiebungen hoben den Boden, auf dem sich die Po-Ebene bilden sollte, Geröllmassen aus den Flüssen der Alpen und des Apennin begruben die Reste des Meers. Vor einer Million Jahren war es schließlich verschwunden, und Elefanten und Nashörner bevölkerten das Land.

Diese erstaunliche Geschichte vom antiken Meer und seinen Bewohnern erzählt das kürzlich eröffnete MuMAB, das Museo Mare Antico e Biodiversità, in dem sich Walgerippe und bis zu sieben Millionen Jahre alte Fossilien versammeln. Es ist nur einen Spaziergang über die Hügel entfernt von Salsomaggiore. Das schläfrige Städtchen mit nicht einmal 20 000 Einwohnern hat glamouröse, gar wilde Zeiten erlebt – auch die haben Spuren hinterlassen. Mitten auf dem Meer, zumindest auf dem, was davon übrig geblieben ist. Seine Reste ruhen in einem Radius von zehn Kilometern um Salsomaggiore, abgeschlossen unter Gesteinsschichten in 300 bis 1200 Meter Tiefe. Das Wasser kann durch hydrostatischen Druck in artesischen Brunnen aufsteigen – und die waren pure Goldgruben: Denn dieses Wasser marinen Ursprungs ist nicht nur ein bisschen salzig, sondern eines der salzigsten der Welt, fünfmal salziger als das Mittelmeer. Salz war kostbar, als Gewürz oder um Nahrungsmittel zu konservieren, und schon in vorchristlichen Zeiten verstand man die Kunst, es zu gewinnen.

Zwar hat niemand dieses Meer gesehen, trotzdem wussten Kelten und später auch Römer von dem ungewöhnlichen Salzwasser fern der Küste. Die meisten ihrer Brunnen wurden zwar im sechsten Jahrhundert durch Erdbeben und Fluten zerstört, einige jedoch rund 200 Jahre später wiederentdeckt. Karl der Große ließ die Salzgewinnung in der Region wieder aufleben, benannte die beiden zentralen Orte Salsomaggiore und Salsominore – ­salso, „Salzgehalt“, maggiore „größer“ und minore „kleiner“. Schriften aus dem neunten Jahrhundert belegen, dass zu den Sonderrechten, die der Kaiser vergab, auch „sale et terra de salis“ zählten.

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mare No. 151

mare No. 151April / Mai 2022

Von Kirsten Wulf und Luana Rigolli

Kirsten Wulf, Jahrgang 1963, lebt als Autorin und Schriftstellerin in Genua. Irgendwo hatte sie schon mal ein unterirdisches Meer gesehen, aber wo? „Gêrtrût!“, schallte es plötzlich, und eine Ente ­watschelte durch die Erinnerung. Mit ihr ging sie als Kind auf die „Reise zum Mittelpunkt der Erde“, ein ­unerträglich spannender Film, den sie nur dank ihrer Filmheldin durchgehalten hat.

Luana Rigolli, geboren 1983, lebt in Rom. Zunächst studierte sie Bauingenieurwesen, was erklären mag, dass ihre Liebe zur gebauten Umwelt auch in ihre foto­grafischen Arbeiten einfließt. In mare No. 148 war ihre Geschichte über die im Faschismus auf eine Insel verbannten Homosexuellen Siziliens zu sehen.

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Vita Kirsten Wulf, Jahrgang 1963, lebt als Autorin und Schriftstellerin in Genua. Irgendwo hatte sie schon mal ein unterirdisches Meer gesehen, aber wo? „Gêrtrût!“, schallte es plötzlich, und eine Ente ­watschelte durch die Erinnerung. Mit ihr ging sie als Kind auf die „Reise zum Mittelpunkt der Erde“, ein ­unerträglich spannender Film, den sie nur dank ihrer Filmheldin durchgehalten hat.

Luana Rigolli, geboren 1983, lebt in Rom. Zunächst studierte sie Bauingenieurwesen, was erklären mag, dass ihre Liebe zur gebauten Umwelt auch in ihre foto­grafischen Arbeiten einfließt. In mare No. 148 war ihre Geschichte über die im Faschismus auf eine Insel verbannten Homosexuellen Siziliens zu sehen.
Person Von Kirsten Wulf und Luana Rigolli
Vita Kirsten Wulf, Jahrgang 1963, lebt als Autorin und Schriftstellerin in Genua. Irgendwo hatte sie schon mal ein unterirdisches Meer gesehen, aber wo? „Gêrtrût!“, schallte es plötzlich, und eine Ente ­watschelte durch die Erinnerung. Mit ihr ging sie als Kind auf die „Reise zum Mittelpunkt der Erde“, ein ­unerträglich spannender Film, den sie nur dank ihrer Filmheldin durchgehalten hat.

Luana Rigolli, geboren 1983, lebt in Rom. Zunächst studierte sie Bauingenieurwesen, was erklären mag, dass ihre Liebe zur gebauten Umwelt auch in ihre foto­grafischen Arbeiten einfließt. In mare No. 148 war ihre Geschichte über die im Faschismus auf eine Insel verbannten Homosexuellen Siziliens zu sehen.
Person Von Kirsten Wulf und Luana Rigolli