Ansonsten Land unter

Der Küstenschutz in Deutschland ist auf die aktuellen Folgen des Klimawandels vorbereitet. Aber wie lange wird er reichen? Und wie soll man zu zuverlässigen Prognosen kommen?

Das große Ertrinken kam am frühen Abend, den Menschen an der Küste Nordfrieslands blieb kaum Zeit zur Flucht. „Gott der Herr ließ donnern, regnen, hageln, blitzen und den Wind so kräftig wehen, dass die Grundfeste der Erde sich bewegten. Um zehn Uhr war alles geschehen“, beschreibt der Chronist Peter Sax die Ereignisse vom 11. Oktober 1634, die als Burchardiflut in die Geschichte eingehen sollten.

Die verheerende Sturmflut ließ die Nordsee um rund vier Meter anschwellen, durchbrach die wegen des Dreißigjährigen Krieges vermutlich vernachlässigten Deiche auf breiter Front und verwüstete das Hinterland. Die Bilanz der „Groten Mandränke“: bis zu 15 000 Tote. Die Insel Alt-Nordstrand brach in zwei Teile, ganze Landstriche und die auf ihrem Sand erbauten Dörfer wurden von der Flut in die Tiefe gerissen, darunter auch Eversbüll, der Geburtsort von Peter Sax.

Die Burchardiflut war weder die erste noch die letzte große Flutkatastrophe an deutschen Küsten. Seit Menschengedenken verschlingt vor allem die Nordsee Land und Leute – genauer gesagt, seit das Schelfmeer zwischen Nordeuropa und den Britischen Inseln vor rund 10 000 Jahren überhaupt entstand. Bis dahin hielten die Gletscher der letzten Eiszeit gigantische Mengen von Wasser gebunden und den Meeresspiegel weltweit um zeitweise 120  Meter unter dem heutigen Stand gesenkt. Wo heute die Nordsee wogt, erstreckte sich Doggerland. Mittelsteinzeitliche Jäger und Sammler streiften durch dieses bewaldete Tiefland, das die heutigen Britischen Inseln zu einem hügeligen Teil des europäischen Festlands machte.

Zur Insel wurde Großbritannien, als die schmelzenden Gletscher den Meeresspiegel mit dem Ausklang der Eiszeit nach und nach auf seinen heutigen Stand ansteigen ließen. Doggerland verschwand in der Nordsee; heute zeugt nur noch die vor der Küste Yorkshires liegende Doggerbankuntiefe von seiner Existenz. Der natürliche Anstieg des Meeresspiegels verlangsamte sich zwar im Lauf der Jahrtausende, lag im 20. Jahrhundert aber immer noch bei rund 20 Zentimetern. Bedingt durch die menschengemachte Klimaerwärmung, dürfte er im 21. Jahrhundert wieder deutlich höher ausfallen.

Mit welchen Pegelständen wir zum Ende dieses Jahrhunderts rechnen müssen, vermag niemand mit Sicherheit zu sagen. Zu sehr hängt die Entwicklung davon ab, wie entschlossen die Menschheit gegen den hausgemachten Klimawandel ankämpft. Die offiziellen Szenarien im letzten Bericht des Weltklimarats gehen für das Jahr 2100 weltweit von zwischen 28 und 98 Zentimeter höheren Pegeln aus, viele Forscher halten selbst diesen knappen Meter noch für deutlich zu optimistisch.

Die deutschen Küstenschützer, die seit der verheerenden Hamburger Sturmflut von 1962 auf eine recht gute Bilanz blicken können, stellt das vor die schwierige Frage, wie sie in ihrer praktischen Arbeit mit diesen hypothetischen Szenarien umgehen sollen. Niemand will sich später nachsagen lassen, untätig gewesen zu sein, ebensowenig möchte man aber unnötig Milliarden in den Sand setzen.

Die Antwort heißt „Klimadeich“ und kann schon heute am Alten Koog auf der Halbinsel Nordstrand besichtigt werden. Dort wird der alte Deich auf zweieinhalb Kilometern durch einen Deich mit neuem Profil ersetzt. Das betrifft nicht nur seine Höhe, in die nach langen Diskussionen ein Klimawandelzuschlag von einem halben Meter einkalkuliert wurde. Mit einer seeseitigen Neigung von 1:10 ist er auch deutlich flacher als sein Vorgänger und kann die Wellen effektiver brechen. „Vor allem aber ist die Deichkrone mit fünf Metern jetzt doppelt so breit wie vorher. Das gibt uns in Zukunft die Möglichkeit, den Deich bei Bedarf durch eine Kappe um einen weiteren Meter zu erhöhen“, erklärt Jo­hannes Oelerich, Direktor des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz in Schleswig-Holstein. Die Kosten seien jetzt zwar rund 20 Prozent höher (in Nordstrand liegen sie bei rund zehn Millionen Euro je Deichkilometer), dafür könne man den Deich bei Bedarf aber vergleichsweise günstig aufstocken. Mit dem neuen Klimaprofil sei man bis in das 22. Jahrhundert hinein auf der sicheren Seite, so Oelerich.


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mare No. 118

No. 118Oktober / November 2016

Von Georg Rüschemeyer

Der Wissenschaftsjournalist Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, lebt seit einigen Jahren in Nordengland, an dessen Steilküsten immer wieder ganze Häuser in der Nordsee verschwinden.

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Vita Der Wissenschaftsjournalist Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, lebt seit einigen Jahren in Nordengland, an dessen Steilküsten immer wieder ganze Häuser in der Nordsee verschwinden.
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