Am Meer der Mullahs

Es ist einer der brisantesten Schauplätze der zeitGeschichte: Mitten durch die Mündung des Schatt Al-Arab verläuft die Grenze zwischen Irak und Iran. Es geht um Öl und den Zugang zu den Weltmeeren

Eine Gruppe Touristinnen mit teuren Handtaschen und schwarzen Tschadors lehnt sich an das Geländer eines Holzstegs. Hellblaue Fahnen wehen im Ostwind, wehen in Richtung Irak, die persischen Schriftzeichen für Allah sind darauf zu erkennen. Wer unter windgepeitschten Fahnen steht, wirkt immer ein bisschen verwegen. Ein geeigneter Ort also für den iranischen Kriegsveteranen Ahmad Mahmoudi, 49, um zum aberhundertsten Mal seine Heldengeschichten zu ­erzählen.

Der Steg ragt einige Meter in den Schatt al-Arab, den Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, der im Süden in den Persischen Golf mündet und den Iran vom Irak trennt. Niemand kennt den hier sichtbaren Abschnitt des Gewässers so gut wie Mahmoudi. „Im Krieg bin ich acht Monate lang jeden Tag bis zum anderen Ufer geschnorchelt, um Angriffsziele auszuspionieren“, sagt er. Zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück, unbemerkt von den Radaren und Wachposten der Iraker im Hafen von al-Faw am anderen Ufer, gut einen Kilometer entfernt.

„Angst hatte ich nicht. Ich war bereit zu sterben“, beteuert Mahmoudi den Besucherinnen. Der vollbärtige Mann trägt über der Anzughose eine Uniform mit dem Abzeichen der staatstreuen Pasdaran-Revolutionsgarden, einer Organisation, die von den USA auf der Terrorliste geführt wird. Und die bis heute eine besondere Rolle am Schatt al-Arab spielt. Sie soll mit Schmuggel am Grenzfluss gutes Geld verdienen.

Mahmoudi zieht das linke Bein nach, zwei Kugeln stecken noch in seinem Oberschenkel, vier mussten aus seinem Arm entfernt werden. Er krempelt den linken Ärmel hoch und zeigt die Narben, weiße Flecken, an denen keine Haare mehr wachsen. Es war Glück, dass er die Ausflüge ins Feindesgebiet überlebte.

Im Ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak von 1980 bis 1988 nahm der Schatt al-Arab – die Iraner nennen ihn Arvand Rud, „schneller Fluss“, weil sie Ortsnamen mit arabischem Bezug verabscheuen – eine Schlüsselrolle ein. Nirgendwo ist der Irak wirtschaftlich so verwundbar: Die fünftgrößte Ölnation der Erde verschifft hier einen Großteil ihres wertvollsten Exportguts.

80 Kilometer flussaufwärts betreibt die Stadt Basra den wichtigsten Hafen des Landes. Geografisch könnte man die Konstellation mit dem Hamburger Hafen und der Elbe vergleichen, allerdings kommen keine schweren Frachter bis dorthin, weil der Fluss nicht ausgebaut ist. Der einzige Hochseehafen des Irak liegt westlich des Schatt al-Arab in Umm Qasr, hat jedoch nur eine geringe Bedeutung, weil die beiden vorgelagerten kuwaitischen Inseln Bubiyan und Warbah die Schiffswege einschränken.

„Der Schatt al-Arab ist für den Irak der einzige Zugang zu den Weltmeeren“, sagt Henner Fürtig, Direktor des GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg. „Nur auf einer Breite von 58 Kilometern hat das Land eine Verbindung zum Persischen Golf, und diese Region, einschließlich der al-Faw-Halbinsel, ist ein Sumpf.“

Seit Mitte des 16. Jahrhunderts ist der Schatt al-Arab die Grenze zwischen dem Osmanischen Reich und Persien und bildete früher auch die Grenze zwischen der sunnitischen und schiitischen Welt. Lange stritten die Anrainer darüber, wem der wichtigste Zufluss zum Persischen Golf gehört. Beziehungsweise darüber, ob die Grenze am Ostufer oder in der Mitte des Wassers zu ziehen ist. Es geht nur um wenige hundert Meter, doch sie machen einen gewaltigen Unterschied für die Schifffahrtsrechte.

Nicht nur Osmanen und Perser, auch Briten und Russen mischten bei den Streitereien mit – sie rangen im 19. Jahrhundert um Einfluss in der Region. Bis 1913 galt, dass mit der Grenze am Ostufer der Fluss zum Territorium des heutigen Irak gehörte.

1913 wurde ein Vorabkommen abgeschlossen, das erstmals die Grenze in der sogenannten Tallinie vorsah, mit 200 Markierungen an den tiefsten Stellen des Flusses. „Wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs wurde das jedoch nie rechtskräftig“, sagt Fürtig. Zeitweise durften die Iraner den Fluss nur gegen die Zahlung einer Gebühr befahren, mit einem irakischen Lotsen an Bord und vorübergehender irakischer Beflaggung, ein Kuriosum der nahöstlichen Handelsgeschichte.

Erst 1975 konnte Irans Schah Reza Pahlavi offiziell eine Verschiebung hin zur Tallinie durchsetzen – im Gegenzug musste er zusagen, künftig keine Kurden mehr im Irak zu unterstützen. Nun konnte der Iran seine Flusshäfen in der Ölstadt Abadan und in Khorramshahr ohne Einschränkungen nutzen.

Liebreiz ist nicht eben der Grund dafür, dass ausgerechnet diese Region seit Jahrhunderten so hart umkämpft ist: schlammbrauner Boden, dunkelgrünes Wasser, dazu ein im Sommer quälend heißes Klima. Auf iranischer Seite stehen Hunderttausende tote Dattelpalmen, die im Ersten Golfkrieg von irakischen Soldaten um ihre Kronen gebracht wurden. „Wir nennen sie die ‚Bäume des Widerstands‘“, erklärt Yasmin Jabbari [Name geändert, die Red.], eine Studentin, die ihre Masterarbeit über den Tourismus an iranischen Kriegsschauplätzen geschrieben hat. „Weil Palmen ein gutes Versteck für iranische Soldaten waren, wurden sämtliche Wipfel gekappt. Trotzdem blieben die Stämme stehen, sie werden bis heute nicht gefällt.“ Als Symbol dafür, dass die Iraner selbst im Tod noch aufrechtbleiben.


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mare No. 114

No. 114Februar / März 2016

Von Stephan Orth und Samuel Zuder

Weil Wachposten an der iranischen Gedenkstätte Fotos des Hamburger Reporters Stephan Orth, Jahrgang 1979, machten, beschlossen seine Dolmetscherin und er, frühzeitig zu gehen. Zu groß schien die Gefahr, als Spione festgenommen zu werden. Orth hat über seine Reise das Buch Couchsurfing im Iran geschrieben. Der Hamburger Fotograf Samuel Zuder, geboren 1965, realisierte die Arbeit über iranische Schlachtfelder des Ersten Golfkriegs in Eigenregie als freies Projekt. Er wird von der Agentur laif in Köln vertreten.

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Vita Weil Wachposten an der iranischen Gedenkstätte Fotos des Hamburger Reporters Stephan Orth, Jahrgang 1979, machten, beschlossen seine Dolmetscherin und er, frühzeitig zu gehen. Zu groß schien die Gefahr, als Spione festgenommen zu werden. Orth hat über seine Reise das Buch Couchsurfing im Iran geschrieben. Der Hamburger Fotograf Samuel Zuder, geboren 1965, realisierte die Arbeit über iranische Schlachtfelder des Ersten Golfkriegs in Eigenregie als freies Projekt. Er wird von der Agentur laif in Köln vertreten.
Person Von Stephan Orth und Samuel Zuder
Vita Weil Wachposten an der iranischen Gedenkstätte Fotos des Hamburger Reporters Stephan Orth, Jahrgang 1979, machten, beschlossen seine Dolmetscherin und er, frühzeitig zu gehen. Zu groß schien die Gefahr, als Spione festgenommen zu werden. Orth hat über seine Reise das Buch Couchsurfing im Iran geschrieben. Der Hamburger Fotograf Samuel Zuder, geboren 1965, realisierte die Arbeit über iranische Schlachtfelder des Ersten Golfkriegs in Eigenregie als freies Projekt. Er wird von der Agentur laif in Köln vertreten.
Person Von Stephan Orth und Samuel Zuder