Alles klar auf der Andrea Doria

Seit 1981 kreuzt das „Traumschiff“ durch deutsche Wohnzimmer. Konsequent bleiben seine TV-Macher seither dem Konzept treu. Dass die Fernsehserie so erfolgreich ist, sagt nicht nur Schmeichelhaftes über unsere Fernsehgewohnheiten aus

Als in den Nachkriegsjahren das Fernsehen noch in seinen Kinderschuhen steckte und man die massenmediale Breitenwirkung des neuen Mediums nur schwerlich erahnen konnte, versprachen die Macher, seinem Publikum ein Fenster zur Welt zu öffnen. Ein Fenster, von dem aus man in die Ferne sehen und aus sicherer Distanz das Welt- geschehen beobachten und mitverfolgen konnte.

Dem Grundgedanken, durch das Fernsehen objektiv zu informieren und zu dokumentieren, also im besten Sinn ein Bildungsfernsehen zu gestalten, folgte alsbald ein üppiges Illusionsangebot, und die diversen Formate und Genres schossen nicht nur wie Pilze aus dem Boden. Im Lauf der folgenden Dekaden wurden fortlaufend bestehende Formate modifiziert, während am laufenden Band neue, zuweilen fragwürdige und kontroverse Konzepte entwickelt wurden. Schubkraft bekamen diese Tendenzen freilich durch das Privatfernsehen Anfang der 1980er Jahre, dessen Maßstäbe zuvörderst die Einschaltquote sind.

In jedem Fall hatte man auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern rasch erkannt, dass der Zuschauer im Grunde eher nach mehr Unterhaltung als nach Information oder Bildung hungert. In Windeseile erhielten verschiedene Serienformate ihren unverrückbaren Platz im Programm. So stach das „Traumschiff“ 1981 im ZDF das erste Mal in See. Die Idee, nach der die Serie funktioniert, kann auf eine lapidare Formel gebracht werden: Für durchschnittlich 90 bis 120 Minuten (anfangs 60) entführt das „Traumschiff“ seine Zuschauer in bis dato unbekannte, exotische Welten in aller Herren Länder. So lernen sie bequem vom heimischen Sofa aus die Welt an Bord eines luxuriösen Kreuzfahrtschiffs kennen und erleben atemberaubende Naturschönheiten. En passant wird die Reise mit melodramatischen Elementen aufgeladen.

In der Fernsehwissenschaft spricht man von einem „Fiktionspakt“, wenn der Zuschauer sich für die Dauer der Sendung vollends darauf einlässt, dass das Gezeigte eine reine Fiktion ist, die außerhalb jeglicher Realitätsrahmen operiert. Diesen Pakt gehen die Zuschauer des „Traumschiffs“ bereits seit mehr als drei Jahrzehnten ein, und das auf relativ gleichem Niveau, was die Einschaltquoten betrifft.

Bemerkenswert ist dies insofern, als in einer rauschhaften, überbordenden, von medialen Angeboten strotzenden Fernsehlandschaft, die unüberschaubar geworden ist, neue Formate vielfach nur eine extrem kurze Lebensdauer haben. Bleibt der kalkulierte finanzielle Erfolg aus, werden sie nach wenigen Sendungen rigoros abgesetzt. Ähnlich lange wie das „Traumschiff“ konnte sich nur die „Lindenstraße“ halten, der US-Soap-Import „Dallas“ musste nach 14 Jahren die Jalousien herunterlassen.

Ein Grund, weshalb das „Traumschiff“ der wachsenden Konkurrenz standhielt und über eine derart beträchtliche Zeitspanne alle medialen Stürme überlebte, lässt sich zum einen darauf zurückführen, dass es mit drei Folgen im Jahresdurchschnitt relativ aufwendig produziert werden kann und nicht den quasiindustriellen Produktionsmechanismen von „weeklies“ oder „daily soaps“ unterworfen ist, wöchentliche oder tägliche Massenware ohne Charakter und Wesen, deren visuelle Ästhetik und narrative Welten in banalen Endlosschleifen redundant anmuten.

Zum anderen – und diesen Trumpf spielt der „Traumschiff“-Produzent und -Erfinder Wolfgang Rademann, ein früherer Berliner Journalist, so konsequent wie erfolgreich aus – ist man sich in der Machart, der Grundkonzeption der Serie im Wesentlichen über die Jahre hinweg treu geblieben. Abgesehen von wenigen Änderungen sind die narrativen wie auch visuellen und ästhetischen Grund- und Binnenstrukturen dieselben geblieben. Garanten für das Gelingen und den kommerziellen Erfolg einer Serie sind immer wieder in Erscheinung tretende Erkennungsmerkmale auf der Ebene der Story ebenso wie der Inszenierung. Überdies dürfen die filmsprachlichen Mittel keineswegs experimentell sein oder den gängigen Konventionen und Mustern zuwiderlaufen. Innovation, so das Credo ihrer Macher, stört die Sehkonventionen der Zuschauer, die mit dem „Traumschiff“ allein Positives assoziieren sollen.

Markenzeichen und unverkennbares Element der Wiedererkennung des „Traumschiffs“ ist die Figur der Chefstewardess an Bord, Beatrice, gespielt von Heide Keller, die von Anbeginn dabei ist und die Fäden innerhalb der Crew zieht. Sie ist die nette Tante von nebenan, der man gerne auch privateste Tragödchen anvertraut. Während man es bei den Familienserien à la „Dallas“, „Denver-Clan“ oder „Das Erbe der Guldenburgs“ mit Gesellschaftsschichten zu tun hat, die oberhalb des Durchschnitts liegen, sind die Besatzungsmitglieder des „Traumschiffs“ ebenso wie seine Reisenden ein solider Querschnitt der Bevölkerung.


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mare No. 95

No. 95Dezember 2012 / Januar 2013

Sven Weidner

Der in München lebende Film- und Medienwissenschaftler Sven Weidner, Jahrgang 1975, promoviert derzeit zum Thema dysfunktionale Middle-class-Familien im US-amerikanischen Kino der 1990er und 2000er Jahre. Er veröffentlicht regelmäßig Feuilletonbeiträge zu Filmthemen. Seine frühe Affinität zu US-Soaps wie Denver-Clan oder Dallas ließ auch das Interesse für deutsche Serien nicht unberührt.

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Vita Der in München lebende Film- und Medienwissenschaftler Sven Weidner, Jahrgang 1975, promoviert derzeit zum Thema dysfunktionale Middle-class-Familien im US-amerikanischen Kino der 1990er und 2000er Jahre. Er veröffentlicht regelmäßig Feuilletonbeiträge zu Filmthemen. Seine frühe Affinität zu US-Soaps wie Denver-Clan oder Dallas ließ auch das Interesse für deutsche Serien nicht unberührt.
Person Sven Weidner
Vita Der in München lebende Film- und Medienwissenschaftler Sven Weidner, Jahrgang 1975, promoviert derzeit zum Thema dysfunktionale Middle-class-Familien im US-amerikanischen Kino der 1990er und 2000er Jahre. Er veröffentlicht regelmäßig Feuilletonbeiträge zu Filmthemen. Seine frühe Affinität zu US-Soaps wie Denver-Clan oder Dallas ließ auch das Interesse für deutsche Serien nicht unberührt.
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