Alkohol, der Treibstoff auf See

Ohne Wein und Bier wäre manches unentdeckt geblieben

Wer auch immer die Idee hatte, beim Stapellauf Champagner fließen zu lassen: Schiffstaufen setzen zwei Errungenschaften der Zivilisation in Bezug, die tief im Innern eng verbunden sind, nämlich Seefahrt und Alkohol. Eine Liaison, die die Zivilisationsgeschichte nicht unbedeutend beeinflusst hat.

Alkohol bringt Dinge nicht nur in virtuelle Rotation. Er war wichtiger Treibstoff bei den ersten Überseefahrten und Weltumsegelungen der Neuzeit, und ohne ihn wäre die Menschheit womöglich viele Jahrzehnte länger in Unkenntnis der Kugelgestalt der Erde geblieben. „In den Kesseln, da faulte das Wasser“, der Alkohol aber nicht. Lebenselixier bei monatelanger Ozeanfahrt war deshalb nicht Frischwasser, was nach einigen Wochen ohne Regen sowieso keines mehr war, sondern Bier und Wein.

Wer heute einen Blick auf die Proviantlisten aus der Zeit der Entdeckungsfahrten wirft, muss denken, die Mannschaften von Christoph Kolumbus, James Cook oder Ferdinand Magellan wollten sich nicht auf die harten Prüfungen einer Weltumsegelung einrichten, sondern zu einer Vergnügungsreise Alkoholsüchtiger aufbrechen. Wenn auch der Zugang zu Wein und Bier einerseits und vergammeltem Wasser andererseits ungleich auf die Mannschaftsdienstgrade verteilt gewesen sein dürfte, so blieb doch die Führungsebene auf den Schiffen zuförderst von Wasservergiftung verschont, was für den Erfolg mancher Reise nicht unerheblich war, Gerechtigkeit hin, Ungerechtigkeit her.

War es der Alkohol, der zu Beginn der Neuzeit den katholischen Ländern den entscheidenden Startvorteil beim Wettrennen um die Entdeckung der Welt verschaffte? Immerhin war es der Protestantismus, der schon bald nach der Reformation ein anderes Verhältnis zu den geistigen Getränken predigte. Ausgerechnet die Jünger des trinkfesten Martin Luther verlangten Mäßigung zu Lande, zu Wasser und überall – protestantische Doppelmoral.

Kein Wunder also, dass in den USA die Nachfahren jener enthaltsamen Puritaner, die aus Abscheu vor dem völlernden Europa in die neue Welt gesegelt waren, während der Prohibition ein maritimes Bollwerk gegen den Alkohol, gen Osten und gegen die alte Welt errichteten. Keine Konquistadoren landeten nunmehr mit alkoholischer Unterstützung an Amerikas Ostküste, sondern der Alkohol selbst. Eine ganze Armada von Frachtschiffen, in Nassau auf den Bahamas vollgepumpt mit Hochprozentigem, ankerte während der zehn Jahre Prohibition mal hier, mal da außerhalb der 12-Meilen-Zone, um ihre Ladung an kleine Schmugglerschiffe umzuladen, die die Konterbande heimlich anlandeten.

Die Abwehrschlacht, die die Behörden auf dieser legendären „Rum Road“ führte, verschafften der Küstenwache und der Navy die Logistik, die zugleich für den Aufstieg der USA zur Weltmacht unerlässlich war. Die Vereinigten Staaten rüsteten auf und träumten den Traum von der Weltpolizei – zuständig für Alkoholkontrollen auf allen Weltmeeren.

Gegen Ende unseres Jahrhunderts schließlich brachte eine halbe Flasche Wodka der Zivilisationskritik der Moderne einen neuen Höhepunkt. Als die „Exxon Valdez“ unter dem Kommando von Kapitän Joseph Hazelwood im März 1989 im Prinz-William-Sund Leck schlug und 40000 Tonnen Rohöl ausliefen, war den Tieren der Bucht sowie dem Glauben an die Sicherheit der Technik auf See gleichermaßen der Garaus gemacht. Alkohol und Schifffahrt – Schicksalsgemeinschaft der Neuzeit?


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mare No. 17

No. 17Dezember 1999 / Januar 2000

Ein Essay von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist stellvertretender Chefredakteur von mare. Zuletzt beschrieb er die dramatische Arbeit der pazifischen Überführungsflieger (in Heft 16)

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