Alfred und die Bombe

Der Sergent, Pionier der Atomtests auf Moruroa, soll zurück in die Etappe. Tahiti verlassen? Lieber fängt er ein viertes Leben an

Der lange Weg von Alfred Redmann geht zu Ende. Die schlimmen Träume werden weniger. Das Paradies ist schon zu sehen. Jeden Morgen um vier schlägt Alfred Redmann die Augen auf und spürt die Verheißung. Warm ist es, das Laken ist nur Schutz vor den Geistern, die ihn manchmal noch anfliegen. Er wirft es zur Seite, geht ein paar Schritte hinaus durch die immer offene Tür zur Terrasse, und da liegt vor ihm, im hellen Mondlicht, sein Glück, sein Vorgarten von Eden. Die Bucht von Haamene auf Taha’a, Insel unter dem Wind, ein knappes Etmal nordwestlich von Tahiti.

Jeden Morgen staunt er hier über die Welturaufführung. Seiden umhüllt ihn die duftende Luft der Südsee. Er wölbt seine Brust, atmet tief davon ein. Hinter ihm, hinter seinem Haus, über der Anhöhe, färbt sich jetzt der Himmel in sattem Orange-Violett, gegen das überscharf die Scherenschnitte von hoch ragenden Kokospalmen stehen. Der erste Hahn kräht von fern. Über den Hügeln auf der anderen Seite der Bucht zieht ein Gewitter ab.

Alfred Redmann, 68 Jahre, ist ein stattlicher Mann. Kräftiger Körper, starke Arme, sehnige Beine, kein überflüssiges Gramm an ihm, Brust raus, Bauch rein! seine ständige Haltung. Kein Haar fehlt auf dem Kopf. Sein scharf geschnittenes Gesicht hat feine Züge, auch jetzt am Morgen wirkt er wie frisch rasiert. Die Zähne leuchten hell wie die Tiaréblüte. Gekleidet ist er in der Uniform der Südsee: Shorts und T-Shirt. Wenn er spricht, sprudelt es in einem seltsamen Gemisch aus altem Brandenburgisch und Armeefranzösisch. Stakkato wechselt mit gedehnten Silben, wenn er etwas Wichtiges sagt, die Gedanken wie der Körper immer auf dem Sprung.

Er schaut auf sein Land. Mit wachen Augen versichert er sich seines Vorhandenseins. Eine Angewohnheit seit seinem ersten Zyklon. Die große Vanilleplantage links unter den Schattennetzen. Vor ihm, unten an der silbernen Lagune, Schuppen, Werkstatt, Büro und der kleine Vanillegarten. Rechts von seiner Loge der Hang mit den bananiers, manguiers, citronniers, den uru und noni des Selbstversorgers und natürlich den unerlässlichen Frangipani und Tiare. Die Lagune murmelt herüber. Und auch Elvina, seine polynesische Frau, im Schlafzimmer. Er ist ihr zu früh.

Er war ihr immer zu früh, bei aller Liebe. Schon vor 21 Jahren, als es mit ihnen begann. Als er noch das kleine Bauunternehmen hatte, auf Bora Bora. Da war er schon immer der Erste auf der Baustelle, belustigte alle mit seinem Fleiß und Pflichtgefühl. Seither nennen sie ihn hier le Prussien, den Preußen. Das liegt ihm im Blut, er kennt es ja nicht anders. Schon von seiner Jugend an kennt er es nicht anders.

Im pommerschen Stargard wird er geboren, im April 1935, als Drittältester von sieben. Der Krieg verschont seine frühe Kindheit. Er erlebt sie in maßvollem Glück. Seinen Vater sieht er höchstens, wenn er von der Front auf Urlaub ist, und die Mutter hat viel um die Ohren. Alfred hält sich an den Großvater, er ist Schweinemeister auf einem großen Junkergut und ein Freund der Natur. Nimmt den geliebten Enkel mit auf ausgedehnte Gänge durch die Wälder. Lange geht das ja nicht mehr gut, sagt ihm der Großvater damals öfter. Die Rote Armee kommt ja immer näher. Die Redmanns verziehen sich nach Eberswalde, Brandenburg.

Als der Russe da ist, ändert sich das Leben von Alfred Redmann auf einen Schlag. Kein Stromern mehr im Wald, er muss jetzt in die Schule im Eberswalder Westend, lernt, was Großvater ihn nicht lehrte, und er lernt Russisch. Die Sprache der strahlenden Zukunft, die sich erst in den Reden, dann in den Köpfen immer breiter macht. Die Sorgen werden verdrängt, wie die Schrecken des Krieges. Redmann lernt schnell. Im Eberswalder Kranbau hilft er mit am besseren Deutschland, geht in die Maurerlehre. Die Hoffnungsfreude des Aufbruchs gefällt ihm, die zarte Pflanze muss beschützt werden. Der Geselle schreibt sich ein bei der Kasernierten Volkspolizei, dem Vorläufer der NVA, lässt sich zum Unteroffizier drillen.

Ist ja alles anders gekommen. Aber damals, da war das aufregend. Bei den russischen Offizieren hatte ich einen Stein im Brett. Ich dolmetschte, und dafür kriegte ich Lebensmittel. Hat mir an nichts gefehlt, und für meine Familie blieb auch noch einiges. Aber dann sind uns die Bolschewiken nur noch auf der Nase rumgetanzt. Erst war alles druschba, und am Ende waren sie die Herren im Haus.


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mare No. 42

No. 42Februar / März 2004

Von Karl J. Spurzem und Joachim Ladefoged

Karl J. Spurzem, geboren 1959, ist Chef vom Dienst bei mare. Seine Mutter, eine Gourmetköchin in ihrer Freizeit, schwört, dass die Vanille, die Redmann ihm zum Abschied schenkte, die beste von allen sei.

Der Fotograf Joachim Ladefoged schwört hingegen, einen schwierigeren Charakter noch nicht vor der Kamera gehabt zu haben, vielleicht auch wegen der beängstigend rasanten Tour mit Redmanns Motorboot durch die Bucht von Haamene.

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Vita Karl J. Spurzem, geboren 1959, ist Chef vom Dienst bei mare. Seine Mutter, eine Gourmetköchin in ihrer Freizeit, schwört, dass die Vanille, die Redmann ihm zum Abschied schenkte, die beste von allen sei.

Der Fotograf Joachim Ladefoged schwört hingegen, einen schwierigeren Charakter noch nicht vor der Kamera gehabt zu haben, vielleicht auch wegen der beängstigend rasanten Tour mit Redmanns Motorboot durch die Bucht von Haamene.
Person Von Karl J. Spurzem und Joachim Ladefoged
Vita Karl J. Spurzem, geboren 1959, ist Chef vom Dienst bei mare. Seine Mutter, eine Gourmetköchin in ihrer Freizeit, schwört, dass die Vanille, die Redmann ihm zum Abschied schenkte, die beste von allen sei.

Der Fotograf Joachim Ladefoged schwört hingegen, einen schwierigeren Charakter noch nicht vor der Kamera gehabt zu haben, vielleicht auch wegen der beängstigend rasanten Tour mit Redmanns Motorboot durch die Bucht von Haamene.
Person Von Karl J. Spurzem und Joachim Ladefoged