Affe an Bord

Wenig bekannt und beinahe vergessen: Menschenaffen wurden im 19. Jahrhundert zu Tausenden Opfer des europäischen Exotismus und menschlicher Sensationsgier

Es waren die erstaunlichsten Passagiere, die je über die Ozeane gebracht wurden. Falls ihre Überfahrt erfolgreich verlief, kosteten sie ein Vermögen. Sie kamen mit den Handelsschiffen der niederländischen Kaufleute, beschäftigten die Besatzungen englischer und französischer Fregatten und sorgten auf den Postdampfern der Afrikalinien für Unruhe. Einmal in Europa angelangt, erregten sie Neugier, wissenschaftliches Interesse und weltanschauliche Debatten. Wann immer die großen Menschenaffen London oder Paris, Amsterdam oder Berlin erreichten, standen sie im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Dabei wussten die Europäer zunächst kaum etwas über diese Tiere. Noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte der englische Pirat Andrew Battell zwei Arten von menschenähnlichen Monstern beschrieben, die in den Urwäldern Westafrikas Angst und Schrecken verbreiteten. Das größere der Scheusale, so Battell, habe tief liegende Augen, eine düstere Haarfarbe und schlage selbst Elefanten in die Flucht. Niemand könne es lebend fangen, weil zehn Männer nicht imstande seien, es zu bändigen.

Mit der Ankunft des ersten Menschenaffen in Holland erhielten die vermeintlichen Ungeheuer dann ein Gesicht. Voller Verwunderung registrierte der Amsterdamer Arzt Nicolaes Tulp um 1635, dass der „Waldmensch“ eine Trinkkanne handhaben konnte und zum aufrechten Gang befähigt schien. Die auf lateinisch verfasste Schrift des berühmten Chirurgen lässt allerdings manches offen. Noch heute rätseln die Experten, ob es sich bei dem „Indischen Satyr“ des Autors um einen Orang-Utan oder einen Schimpansen gehandelt hat. Mit keinem Wort ging Tulp auf den Transport des Jungtiers ein, und nur indirekt erfahren wir, dass es mit einem Schiff der Ostindischen Kompanie nach Holland gekommen sein muss.

Die Vereinigte Ostindische Kompanie, die VOC, war die älteste Aktiengesellschaft der Welt und ein beispielloses Imperium. Dreimal im Jahr segelten die Flottenverbände des Unternehmens von der Nordseeinsel Texel ins ferne Batavia, heute Jakarta, acht bis neun Monate dauerte eine Tour. Für die Rückfahrt benötigten die Schiffe wegen günstigerer Winde rund sieben Wochen weniger und nahmen nun auch exotische Tiere an Bord. Der Entdecker Christoph Carl Fernberger zum Beispiel hatte 1627 einen Leoparden, vier Papageien und drei kleinere Affen im Gepäck.

Ihre Überlebenschancen waren gering. Schon die Temperaturwechsel im Verlauf der Reise machten nicht nur der Crew zu schaffen. Während die Hitze in den windstillen Gegenden am Äquator zuweilen das Pech zwischen den Decksbrettern zum Schmelzen brachte, vereisten in den europäischen Gewässern die Außenanlagen. Hinzu kamen Krankheiten und Stürme, der Mangel an Trinkwasser und geeignetem Futter, die Gefahr von Untiefen und Irrfahrten.

Der lange und gefährliche Seeweg schuf so eine schwer zu überwindende Barriere. Obwohl im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts Tausende Schiffe auf den Routen nach Asien und Afrika unterwegs waren, blieb der Blick auf einen lebenden Menschenaffen für die Europäer ein seltenes Privileg. Im Jahr 1698 studierte der britische Arzt und Zoologe Edward Tyson einen Schimpansen, und um 1740 sah der französische Naturforscher Georges-Louis Leclerc de Buffon in Paris ein „auf zwei Füßen“ gehendes Tier, das er Jocko nannte.

Auch Arnout Vosmaer, der die Menagerie des niederländischen Statthalters betreute, wartete 20 Jahre vergeblich, ehe ihm 1776 ein „Ourangoutang“ aus Batavia übergeben wurde. Das Tier war mit einem Zwischenstopp am Kap der Guten Hoffnung nach Holland gelangt, wobei es frei auf dem Schiff herumlief, mit den Matrosen spielte und in der Küche nach „seinem Anteil Ausschau hielt“. In der Menagerie von Het Kleine Loo bei Den Haag wollte Vosmaer durch die Beobachtung des Affen wichtige Fragen klären. Konnten diese Tiere vielleicht sprechen, waren sie in Wirklichkeit „wilde Menschen“ und daher kultur- und bildungsfähig, wie einige Philosophen im Zeitalter der Aufklärung vermuteten? Fast sieben Monate lang überlebte das junge Weibchen in Holland, ohne dass die Diskussionen zu einem Ende kamen.

Die nächste Nachricht vom Transport eines Menschenaffen stammt aus Paris. Die Ehefrau Napoléons, die ebenso schöne wie verschwenderische Joséphine de Beauharnais, besaß in ihrem Schloss Malmaison eine Menagerie, für die sie im März 1808 einen Orang-Utan erhielt. Bei seiner Ankunft war das Jungtier völlig entkräftet und wurde von heftigen Fieberkrämpfen geschüttelt. Auf dem Weg von Spanien über die Pyrenäen waren ihm mehrere Finger erfroren, und nur mit Mühe gelang es den Ärzten, seinen Zustand zu stabilisieren.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 110. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 110

No. 110Juni / Juli 2015

Von Mustafa Haikal

Mustafa Haikal, Jahrgang 1958, lebt als freiberuflicher Historiker in Leipzig. 2013 erschien im Transit Buchverlag sein Buch Master Pongo über den berühmtesten Menschenaffen des 19. Jahrhunderts.

Mehr Informationen
Vita Mustafa Haikal, Jahrgang 1958, lebt als freiberuflicher Historiker in Leipzig. 2013 erschien im Transit Buchverlag sein Buch Master Pongo über den berühmtesten Menschenaffen des 19. Jahrhunderts.
Person Von Mustafa Haikal
Vita Mustafa Haikal, Jahrgang 1958, lebt als freiberuflicher Historiker in Leipzig. 2013 erschien im Transit Buchverlag sein Buch Master Pongo über den berühmtesten Menschenaffen des 19. Jahrhunderts.
Person Von Mustafa Haikal