Ackern unter Wasser

Es begann als Marketing-Gag, nun ist es ein ernsthaftes Vorhaben. Das Unternehmen Ocean Reef baut Obst und Gemüse im Golf von Genua an. Ist das die Lösung des Welternährungsproblems?

Es ist eines der dringlichsten Weltprobleme, die es zu lösen gilt: die künftige Ernährung der Menschheit. Valentin Thurn, Regisseur und Autor des im vergangenen Jahr viel diskutierten Dokumentarkinofilms „Zehn Milliarden – wie werden wir alle satt?“, sagt dazu: „Es ist die Schicksalsfrage der Menschheit. Etwa die Hälfte der Bevölkerung kommt noch einmal oben drauf, gleichzeitig schrumpft die Agrarfläche weltweit. Wir haben ja jetzt schon eine Milliarde Hungernder. Wie sollen wir das schaffen?“

Der italienische Tauchgerätehersteller Ocean Reef will jetzt eine Antwort gefunden haben. Sie liegt auf dem Grund des Mittelmeers, 100 Meter vor der Küste des italienischen Badeorts Noli am Golf von Genua. Wer sich unter Wasser annähert, erkennt acht ballonförmige Objekte, die auf dem sandigen Grund eine Landschaft bilden, die aussieht, als habe die Nasa einige Raumkapseln vergessen. Hier züchtet Ocean Reef Salat, Erdbeeren und Erbsen. Unterwassergewächshäuser im Meer – ein gewagtes Experiment. Und doch birgt es womöglich enormes Potenzial.

Denn was Thurn in seinem Film thematisiert hat, ist bittere Wahrheit. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung von 7,3 auf 9,6 Milliarden Menschen anwachsen, gleichzeitig schrumpfen die Ressourcen der Erde. Die Landwirtschaft produziert auf 1,5 Milliarden Hektar Fläche jährlich fünf Milliarden Tonnen Lebensmittel – und stößt zunehmend an Grenzen. Die Produktion müsste bis 2050 je nach Studie um bis zu 100 Prozent steigen, damit die Ernährung der Menschheit gesichert ist.

Wie das zu bewerkstelligen ist, darüber machen sich Experten auf der ganzen Welt Gedanken. José Graziano da Silva etwa fordert ein „verantwortungsvolles und nachhaltiges blaues Wachstum“. Doch während der Chef der UN-Ernährungs- und -Landwirtschaftsorganisation (FAO) dabei an Algen, Fische und Krustentiere denkt, züchtet Ocean Reef Landpflanzen im Meer. Könnte das tatsächlich die Lösung des Welternährungsproblems sein?

Gianni Fontanesi, Projektkoordinator bei Ocean Reef, taucht zwischen zwei Pfeilern aus Stahl hindurch, an die sich ein Seepferdchen klammert, schlüpft unter eine der Plexiglaskuppeln und setzt seine Atemmaske ab. Um ihn herum reihen sich kleine Gefäße, in denen Basilikum, Salat und Bohnen sprießen – acht Meter unter der Meeresoberfläche, umschlossen von Wasser, wie in einer riesigen, unzerstörbaren und am Auftrieb gehinderten Blase. Die mit Zement und Stahl verankerte Kammer fasst 2000 Liter Luft. Ocean Reef nennt sie schlicht „Biosphäre 3“.

Aus einem Marketing-Gag ist ein ambitionietes Vorhaben geworden. Ursprünglich wollte  Ocean Reef mit den ballonartigen Gewächshäusern das Interesse am Tauchen fördern – bis man feststellte, dass die Pflanzen tatsächlich wachsen. „Ich war anfangs alles andere als begeistert“, sagt Luca Gamberini, Juniorchef von Ocean Reef, über das von seinem Vater initiierte Projekt. „Doch es funktioniert, und sogar viel besser, als wir dachten. Jetzt wollen wir die Welt verändern.“

Es wäre nicht das erste Mal, dass der 50-Mitarbeiter-Betrieb mit Sitz in Genua und San Marcos, Kalifornien, sein Geschäftsmodell grund­legend verändert. Gegründet wurde die Firma 1950 als Fahrradwerkstatt. Heute produziert Ocean Reef Atemmasken für das US-Militär und gilt als Spezialist für Unterwasserkommunikation. „Warum sollten wir eines Tages kein Gemüseproduzent sein?“, sagt Gamberini.

Inzwischen sind acht „Biosphären“ in Tiefen zwischen fünf und zehn Metern vor der Küste Nolis installiert. Mit einem für das kleine Unternehmen hohen Investment von 150 000 Euro und rund 30 000 Euro aus einer Crowdfundingkampagne ist eine kleine Unterwasserfarm entstanden. In Anlehnung an Kapitän Nemo aus Jules Vernes „20 000 Meilen unter dem Meer“ trägt sie den Namen „Nemos Garten“. Keine schlechte Wahl, auch Ocean­ Reef führt einen Kampf zwischen Natur und Technik. „Wir haben erfolgreich 25 Pflanzensorten angebaut, vom Kopfsalat über Erdbeeren bis hin zu Wildblumen“, sagt Gamberini. „Aber wir haben auch noch einige Herausforderungen zu meistern.“

Hinter der Patentnummer 14/073007 steckt ein ausgeklügeltes System. Der untere Teil der unten offenen Kuppeln ist mit Meerwasser gefüllt, der obere, in dem sich die Pflanzen befinden, mit Luft. Deren Temperatur beträgt 27,8 Grad, das Anfang September 25,4 Grad warme Wasser des Mittelmeers verdunstet und tropft als Süßwasser auf die Pflanzen. Die Luftfeuchtigkeit ist mit 91,3 Prozent so hoch, dass Gamberini sogar entsalztes Wasser für die Nutzung an Land abzweigen will (während der traditionelle Ackerbau drei Viertel der weltweiten Wasserreserven verbraucht). Das Sonnenlicht liefert nicht nur genug Energie, um unter den transparenten Plastikdächern für Wachstum zu sorgen, sondern deckt über Solarzellen auch den Strombedarf für die Messgeräte und Monitore im Kontrollzentrum. Schädlinge haben keine Chance.


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mare No. 114

No. 114Februar / März 2016

Von Martin Mehringer

Martin Mehringer, Jahrgang 1980, Autor in Wiesbaden, tauchte zu einem der Unterwassergewächshäuser und probierte das dort gezüchtete Basilikum. „Es hat gut geschmeckt.“

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Vita Martin Mehringer, Jahrgang 1980, Autor in Wiesbaden, tauchte zu einem der Unterwassergewächshäuser und probierte das dort gezüchtete Basilikum. „Es hat gut geschmeckt.“
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Vita Martin Mehringer, Jahrgang 1980, Autor in Wiesbaden, tauchte zu einem der Unterwassergewächshäuser und probierte das dort gezüchtete Basilikum. „Es hat gut geschmeckt.“
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