Ach, John

Warum lebt ein freundicher alter Mann in einer Höhle am Meer? Das ist die falsche Frage an einen Exzentriker. Er will es so

David Weeks, Neuropsychologe aus Edinburgh, erinnert sich an einen Auftritt in einer Talkshow in einem Newcastler Lokalsender. Es war Mitte der Neunziger, er hatte gerade dieses Buch geschrieben, „Eccentrics“: warum Menschen beschließen, anders zu leben, warum sie also das werden, was man Exzentriker nennt. „Wir waren eine lustige Truppe damals in der Show, das kann ich Ihnen versichern“, sagt Weeks, und dann zählt er an den ausgestreckten Fingern seiner rechten Hand die Exzentriker ab, mit denen er damals in der Show war. „Es waren fünf.“ Screaming Lord Sutch, ein Adliger, der die Monster Raving Loony Party gegründet hat und als deren einziger Kandidat bei jeder Parlamentswahl kandidierte. Stanley Urwin, der in seiner eigenen Sprache redete. Häuptling Shiloh, ein Mann aus London, der seit Jahren nichts anderes trug als das Ornat der Cherokee-Indianer. Ann Atkin, die in einem Haus an der Küste lebte, gemeinsam mit 7500 Gartenzwergen. Und John. John Slater.

„Ach, John“, sagt David Weeks. Weeks ist ein kleiner Mann mit einer warmen Stimme, der im Restaurant des Sheraton-Hotels in Edinburgh sein Risotto isst und Mineralwasser trinkt, in kleinen Schlucken. Er spricht über all seine Exzentriker, die er für das Buch besucht hat, wie ein Lehrer, der sich an die Schüler seiner Lieblingsklasse erinnert. Und John war so etwas wie ein Lieblingsschüler. „Wissen Sie, die anderen waren manchmal ein bisschen laut, und Mrs. Atkins hat alle im Studio irritiert, weil sie an jeden Zipfelmützen verteilt hat. Vielleicht war das ein wenig aufdringlich.“

Und wie war John Slater?
„Ach, er war wie immer. Ein kluger Mann, der nur sprach, wenn ihn der Moderator fragte.“ Weeks weiß nicht genau, um was es in der Sendung im Einzelnen ging, aber danach hat er mit der Redaktion noch einmal gesprochen, wie denn die Zuschauer reagiert hätten, „und von denen kam wohl, bezogen auf John, immer wieder die Frage: ,Wie kann es sein, dass so ein freundlicher alter Mann in einer Höhle am Meer lebt?‘“

Das ist die falsche Frage an einen Exzentriker, meint David Weeks. „Er wollte das so. Er wollte in einer Höhle leben. Ich denke, John hat immer genau das getan, was er wollte. Vielleicht ist es diese Entschlossenheit, die ihn zum Exzentriker macht.“

John Slater war: Musiker bei der königlichen Marine, Lastwagenfahrer, Sozialarbeiter, Kellner. Aus Treibholz baute er später Skulpturen. Er war Versicherungsmakler, Maler, Redner und Spendensammler. Einmal wollte er sich in einem Londoner Zoo ausstellen und begaffen lassen, wie die Tiere. „Ein Symbol für Solidarität“, sagt Weeks. Das Publikum sollte spenden und alles Geld einem Schutzprogramm für Pandas zugute kommen. Die Zoodirektoren lehnten ab.

Weeks sagt, wenn man die Konstanten im Leben von John Slater benennen sollte, einem Mann, der irgendwie alles gemacht hat, dann käme man auf seine sozialen Projekte. Und auf seine Liebe zu Tieren. „Er hatte sich ein Lebensmotto ausgedacht, es hieß: Wedle vor jedem, den du triffst, mit dem Schwanz.“ Weeks weiß auch nicht genau, was das bedeuten soll.

Irgendwann wanderte John Slater quer über die Britische Insel, in einem gestreiften Pyjama, barfuß. Sein Hund, der Labrador Guinness, begleitete ihn. Der Hund trug Damenstiefeletten aus Wildleder. Sie sammelten Geld für soziale Einrichtungen. Es gab ein paar Berichte in den Zeitungen, dadurch ist auch Weeks auf ihn aufmerksam geworden. Und als er ihn später fragte, ob er ihn besuchen könne, hat Slater gesagt: „Kommen Sie. Ich wohne allerdings in einer Höhle.“

David Weeks sagt: „Fahren Sie rauf zu den Highlands. Vielleicht finden Sie ihn. Fragen Sie nach dem mad man, da wird ihnen jemand sagen können, wo die Höhle ist.“ Er malt ein Kreuz auf eine Landkarte, dahin, wo die Höhle ungefähr ist. An der Küste von Wester Ross, gegenüber der Isle of Skye. „Es wird neblig sein“, sagt er. „Und, bitte: Grüßen Sie John von mir.“


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mare No. 49

No. 49April / Mai 2005

Von Holger Gertz

Holger Gertz, Jahrgang 1968, ist Reporter und Streiflicht-Autor bei der Süddeutschen Zeitung. Er hat für seine Geschichten schon nach vielen Menschen gesucht und die meisten auch gefunden. Den Kölner etwa, der sich als Reinkarnation von Willi Millowitsch verstand. Am Höhlenmenschen ist er gescheitert, auch das Monster von Loch Ness ist ihm nicht begegnet. Er hatte aber einmal das Gefühl, es lachen zu hören.

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Vita Holger Gertz, Jahrgang 1968, ist Reporter und Streiflicht-Autor bei der Süddeutschen Zeitung. Er hat für seine Geschichten schon nach vielen Menschen gesucht und die meisten auch gefunden. Den Kölner etwa, der sich als Reinkarnation von Willi Millowitsch verstand. Am Höhlenmenschen ist er gescheitert, auch das Monster von Loch Ness ist ihm nicht begegnet. Er hatte aber einmal das Gefühl, es lachen zu hören.
Person Von Holger Gertz
Vita Holger Gertz, Jahrgang 1968, ist Reporter und Streiflicht-Autor bei der Süddeutschen Zeitung. Er hat für seine Geschichten schon nach vielen Menschen gesucht und die meisten auch gefunden. Den Kölner etwa, der sich als Reinkarnation von Willi Millowitsch verstand. Am Höhlenmenschen ist er gescheitert, auch das Monster von Loch Ness ist ihm nicht begegnet. Er hatte aber einmal das Gefühl, es lachen zu hören.
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