Ach, du lieber Blaufußtölpel!

Wie der Seevogel zu seinen blauen Füßen kam

Blau ist die Farbe der Dichter, weil Dichtkunst aus Tinte gemacht wird, Tinte ist blau. Dieses herrliche Ultramarinblau — mein Gott, ist ein blaues Wunder der Schöpfung. Jedoch gab es die Schöpfung nicht seit ewigen Zeiten, zuerst war da gar keine Schöpfung. Zuerst war das Nichts. Wie wir Abendländer und wir Morgenländer wissen, ist das Nichts blau, war also schon vor der Schöpfung blau, es gilt sich zu erinnern.

Wissen tun wir es vorerst nur aus den Unterweisungen der Väter und Urväter, es gilt jetzt, es wieder zu sehen. Also dieses Nichts. Welches blau war und blau ist.

Dieses abendländische Nichts ist bitte nicht zu verwechseln mit dem Nirwana, denn das Nirwana ist nicht „das Nichts“, sonst wäre es ja etwas, nämlich nichts. Also Blau. Nirwana ist Nirwana und nicht blau. Nur das Nichts ist blau. Man möge sich darüber streiten können, was besser ist: Nichts oder Blau oder Nichts und Blau oder Nirwana. Jedoch soll darüber nicht gestritten werden, und die ausführliche Ausführung über das Nichts und das Nirwana und das Blau war nötig, um die Intelligenzler von vornherein außer Sichtweite zu schieben, damit sie sich nicht einmischen, über nichts diskutieren und sich wichtig machen: Uns dummreden, sie werden es ohnehin nie begreifen, also Intelligenzler links raus, ja! Und jetzt noch einmal: !

Zuerst war das Nichts, und dieses Nichts war blau, was mit oben ausgebreiteter Beweisführung bewiesen ist. Das steht fest und sei hiermit abgehakt.

Der Weise weiß es, auch die Narren werden sich an das herrliche Blau erinnern, denn sie stehen der Weisheit nahe, sind aber nicht zu verwechseln mit den Tölpeln, auf diese kommen wir später. Es gibt Tölpel, die wissen von dem herrlichen Blau, welches vor der Schöpfung war, und von denen hier die Rede sein soll. Dieses herrliche Ultramarinblau, Teufel ja!! Wer es wiederfindet, ist fein raus aus dem Schlamassel des Lebens. Weil es beglückt bis über die Hutschnur.

Wir wollen es hier erlernen. Da war also das Nichts, und über diesem Nichts schwebten die Götter. Sie tranken Wein, sangen und erfreuten sich an ihren Gedanken an Weiber. Damit bemühten sie sich, sich noch weitere Ewigkeiten über Wasser zu halten. Nun gab es aber kein Wasser, also erschufen sie dieses.

Und zwar aus Blau. Etwas anderes gab es eben nicht. Soweit war nun alles in Ordnung, doch ergab es sich, dass aus der Weinseligkeit und diesen herrlichen Gedanken an Weiber doch sehr viel Ergötzliches entstand. Herrlich geistige Girlanden, schöne gesanges-ähnliche Wortanhäufungen, kurzum: Dichtung. Diese zu erhalten und damit die Welt zu beglücken war nun Götterpflicht, wäre schade gewesen, diese Seligkeiten zu verlieren. Sie mussten aufgeschrieben werden.

Also erschufen sie die Tinte. Ohne Tinte keine Dichtung. Blau natürlich, denn noch gab es nichts anderes. Da es keine Welt gab, über welche diese Poeme ausgebreitet hätten werden können, erschufen sie als nächstes dieselbe und füllten sie mit Leuten, zunächst Fußgängern, auf. Nun brauchten sie aber auch Schreiber, da sie selbst nicht schreiben mochten, sie vermieden jede Arbeit (um die Seligkeit der Himmel nicht zu verlieren), erschufen solche in Gestalt von Dichtern und setzten sie auf eine Insel im blauen Meer aus Tinte, was diesen Dichtern das Leben erleichtern sollte. Sie konnten, ohne sich zu bewegen, den Federhalter neben sich irgendwo vor der Haustür ins Meer, also in die Tinte, halten und loslegen.

Aufschreiben, was sie den Göttern in ihrem Suff ablauschten. Zu dieser Zeit hieß diese Insel noch Insel der Glückseligkeit. Die Dichter wären also die Aufschreiber göttlicher Redseligkeiten.

Da die Dichter aber nicht fliegen konnten, jedenfalls hatten sie keine eigenen Flügel, auch Schwimmen ist nicht gerade die Lieblingstätigkeit eines Dichters, Dichter sitzen lieber zu Haus hinter einer Gardine und schauen in den Bauerngarten, mussten sie ihrerseits einen Boten erdichten, welcher die Entfernung zwischen der Insel und den Leuten hinter den Meeren überfliegen konnte, das göttliche Gedankengut an seinen Ort zu bringen.

Dichter sind auch angefüllt mit eigenen Ideen (die also nicht von den Göttern kommen), und so sprachen sie: „Lasst uns eine Art Möwe dichtermäßig ersinnen, denn sie kann uns in Zeiten, wo kein Transport ansteht, als Vorlage für das schöne Lied dienen: ,Möw, du fliegst in die Heimat usw.‘“

Andere sagten, weil Dichter sich nicht einig sein müssen: „Nur transportiert sie keine Briefe, eine Taube sollte schon mit drin sein. Sie wäre doch genauso geeignet als Vorlage für Dichtung. Sagen wir mal etwa so: ,... fliegt eine weiße Taube zu dir‘ usw. Wir hätten dann 2 in einem Vogel.“

Und so schufen sie dichtermäßig einen Vogel, welcher ihnen in vielen Dingen glich, denn „wie der Vater, so der Sohn“, sagen die Italiener und erkennen daran mit Wahrscheinlichkeit den Vater eines Sohnes. Er war wie ein Dichter Meister in den Höhenflügen, auf Erden jedoch watschelte er zum Gotterbarmen herum wie ein Poet. Oder wie ein Tölpel.

Da der Vogel nun aber keine Briefe befördern wollte, weil er nun doch keine Brieftaube war, lehrten sie ihn das Schreiben, sagten ihm die kurzen seligmachenden Satzgefüge der besoffenen Götter vor, lehrten ihn den tölpelhaften Start von der Insel so, dass er noch lange mit den Füßen durch die Tinte schlürfte und sie auffüllte wie einen Füllfederhalter. Und er sollte das Gelernte nun wieder dort bei den Leuten hinter dem Meer hinschreiben. Irgendwohin, Dichtung ist ja nicht lang.

Was er aber nicht tat. Ein Vogel ist ein freies Wesen, und auf die Wortgefüge der Götter schiss er. Auch den Dichtern erging es auf ihrer Insel nicht gut, bald hieß diese die Insel der unglücklichen Dichter. Dichter sind sowieso nie glücklich. Goethe sagte, er sei in seinem ganzen Leben zusammengerechnet nicht einmal 4 Wochen glücklich gewesen. Da kann jeder froh sein, wenn er kein Dichter wurde. Dichter lachen selten, sie vertragen sich untereinander nicht, und möglicherweise wissen sie zu viel von der Weinseligkeit der Götter, können ihrerseits aber nicht daran teilhaben, weil sie keinen Alkohol vertragen. Und nun ist es so, dass wir Leute diesseits der Meere die Botschaft der göttlichen Weinseligkeit nicht erfahren, die Dichter sich dort auf ihrer Insel miteinander grämen, und nur der blaue Tölpel trägt die blaue Freude der Götter durch die Luft. Und behält sie für sich.

(Aber wenn dieser blaufüßige Tölpel wollte, könnte er uns diese freudige Lasterhaftigkeit der Götter an unseren Himmel kritzeln, schade drum.)

mare No. 15

No. 15August / September 1999

Illustrationen und Text von Janosch

Janosch, geboren 1931 im oberschlesischen Hindenburg (heute Zabrze), ist Autor und Illustrator von weit über hundert Kinderbüchern. Seine „Tigerente“ hat ihn weltbekannt gemacht. Janosch lebt heute auf Teneriffa.

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Vita Janosch, geboren 1931 im oberschlesischen Hindenburg (heute Zabrze), ist Autor und Illustrator von weit über hundert Kinderbüchern. Seine „Tigerente“ hat ihn weltbekannt gemacht. Janosch lebt heute auf Teneriffa.
Person Illustrationen und Text von Janosch
Vita Janosch, geboren 1931 im oberschlesischen Hindenburg (heute Zabrze), ist Autor und Illustrator von weit über hundert Kinderbüchern. Seine „Tigerente“ hat ihn weltbekannt gemacht. Janosch lebt heute auf Teneriffa.
Person Illustrationen und Text von Janosch