Abgesang der Sirenen

Die Mönchsrobbe war Vorbild für die Fabelwesen, die Odysseus ins Verderben locken wollten

Wenn Mittelmeer-Mönchsrobben mit den Wellen tanzen, sieht es manchmal so aus, als würden die Gesetze der Natur für Sekunden außer Kraft gesetzt. Dann scheint das Meer mit den Robben zu verschmelzen, um sie plötzlich, an einer ganz anderen Stelle, wieder in ihrer ursprünglichen Gestalt auszuspucken. Die Dichter früherer Zeiten schrieben von „Seehundswogen", wenn sie Meereswellen meinten. In der Antike glaubten die Menschen sogar, das Haarkleid der Robben schütze vor Blitzschlag.

Kaiser Augustus ging deshalb bei schlechtem Wetter nie ohne Mönchsrobben-Fell auf die Straße. Heute ist aus dem Sonne und Wasser liebenden Geschöpf, das in der griechischen Mythologie nicht nur dem Meeresgott, sondern auch dem Sonnengott zugeordnet ist, ein Schattenwesen geworden: das seltenste Säugetier Europas und eine der zwölf meist bedrohten Tierarten der Welt. „Es gibt höchstens noch dreihundert Exemplare", erklärt Gerald Hau von der Stiftung Europäisches Naturerbe (Euronatur), die in der Ägäis die Errichtung des Meeresnationalparks Nördliche Sporaden orangetrieben hat.

In diesem Schutzgebiet, eingerahmt von den Inseln Alonnisos, Skantzoura, Piperi und Psathoura, haben etwa vierzig Mönchsrobben Zuflucht gefunden. Dreißig Tiere leben vor der Insel Milos, etwa 110 flottieren ohne festen Wohnsitz durchs Mittelmeer. Eine Kolonie von hundert Mönchsrobben kämpft vor der Küste Mauretaniens im Atlantik um ihr Überleben.

Den fromm anmutenden Namen erhielten Mönchsrobben (Monachus monachus) wahrscheinlich wegen ihres braunen Fells und der speckigen Nackenfalten, was an eine Mönchskutte erinnert. Mönchsrobben waren für ihre weit tönenden Gesänge berühmt. Aristoteles, der die „Sirenen der Antike" akribisch studierte, verglich ihre Stimmen allerdings mit Rindviechern. Für den spanischen Zoologen Daniel Cebrian, der sich um die Mönchsrobben vor Milos kümmert, brüllen sie sogar „wie Panther - und das ist nicht gerade angenehm, wenn man sich mit ihnen in einer Grotte befindet."

Die Wissenschaftler klettern in die Höhlen, um Kameras zu installieren. So können sie das Verhalten der Tiere aufzeichnen. Wie Bergsteiger durch Seile gesichert, tasten sie über die steilen Klippen zu den Grotten - immer in der Gefahr, von der Brandung gegen die Felsen geschleudert zu werden. Für die Mönchsrobben ist das offenbar ein unterhaltsames Spektakel: In sicherer Entfernung hängen sie im Wasser herum und beobachten neugierig die Forscher über ihren Köpfen.

Gemeinsam mit 33 anderen robbenartigen Lebewesen zählen Mönchsrobben zu den Flossenfüßern (Pinnipedia). Ihre Vorliebe für warme Gewässer unterscheidet sie jedoch gravierend von den anderen Verwandten. Auch sind sie viel zu scheu, um sich noch an offenen Stränden blicken zu lassen. Die bis zu drei Meter langen und 350 Kilogramm schweren Säugetiere steuern lieber abgelegene Grotten an, die meist nur vom Meer aus über Unterwassertunnel zu erreichen sind. Dort finden Robbenweibchen die nötige Ruhe, um im September oder Oktober ihr Junges zur Welt zu bringen. Bei Störung erleiden sie eine Fehlgeburt.

Nach elf Monaten im Leib der Mutter haben die Höhlenkinder nur zwei Dinge im Sinn: schnell Speck ansetzen und schwimmen lernen. Während der Robbennachwuchs in der rund sechswöchigen Stillperiode mächtig an Blubber, der schützenden Fettschicht unter der Haut, zulegt, „schmilzt" der Speck der Mütter dahin: Sie machen so lange eine Nulldiät.

Ihre ersten Tauchversuche starten die wohlgenährten Jungtiere in flachen Gewässern nahe der Grotten. Doch der ungewohnte Kampf mit den Wellen kostet viele ihr Leben. Vor Mauretanien kommen etwa die Hälfte aller Jungen in stürmischer See um. Die anderen entwickeln sich zu wahren Meisterschwimmern. Sie werden bis zu vierzig Jahre alt. Mit ihrer Schwanzflosse manövrieren sie äußerst geschickt durch die Fluten. „Sie haben mit Sicherheit die Legende von den Meerjungfrauen beeinflusst", meint Daniel Cebrian.


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mare No. 25

No. 25April / Mai 2001

Von Ute Schmidt

Die Biologin Ute Schmidt, Jahrgang 1966, arbeitet als als freie Journalistin in Solingen. In mare No. 22 schrieb sie über Seeschlangen.

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Person Von Ute Schmidt
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