Abgehoben

Der Bau des größten Wasserflugzeugs der Welt, ein Truppentransporter, der geeignet war, dem Zweiten Weltkrieg die entscheidende Wende zugunsten der Alliierten zu ­geben – das brauchte einen Wahnsinnigen, vor allem einen wahnsinnig Reichen

Glenn Odekirk, langjähriger Wegbegleiter des damals 36-jährigen Milliardärs, Filmproduzenten und Flugverrückten Howard Hughes, hatte gerade die Radionachrichten gehört. Sie berichteten, dass Henry J. Kaiser, Vater des modernen amerikanischen Schiffbaus, sich mit Mitgliedern des US-Kongresses getroffen hatte, um seine Idee voranzutreiben: den Bau gigantischer Flugboote. Odekirk wählte Hughes’ Geheimnummer in Bel Air, Kalifornien. „Howard, dieser Kaiser muss eine unglaubliche Produktionsmaschinerie haben, so schnell wie er Schiffe baut“, erklärte Odekirk, „warum entwerfen wir nicht ein Flugboot und lassen es Kaiser bauen?“ Für Herausforderungen im Flugzeugbau war Howard Hughes immer zu haben. „Ruf ihn an“, trug er Odekirk auf.

Die Lage für die Amerikaner und ihre Verbündeten im Kampf gegen Nazideutschland war prekär, und daran waren vor allem deutsche U-Boote schuld. In den ersten sieben Monaten des Jahres 1942 verloren die Alliierten allein auf dem westlichen Atlantik 681 Schiffe durch U-Boot-Angriffe der Reichsmarine, vor allem Frachter. Die Idee der US-Kriegsplaner: Flugboote, größer, als es sie je gegeben hatte, könnten über die feindlichen U-Boote hinwegfliegen und den Atlantik in der gleichen Zeit mehrfach überqueren, die ein Schiff für eine einzige Fahrt braucht. Kaiser wollte nicht weiter mit ansehen, wie schnell die Schiffe, die seine Werften in Rekordzeit fertigstellten, versenkt wurden. Stattdessen, so seine Vision, würde er einige seiner Produktionsstätten auf die Massenproduktion von Flugbooten umstellen. Die amerikanische Öffentlichkeit war von dieser Idee wie elektrisiert; plötzlich schien es einen Ausweg aus dem Dilemma zu geben.

Am 16. August 1942 rief Glenn Odekirk bei Henry J. Kaiser an, der von der Idee begeistert war, mit Hughes zu kooperieren. Hughes, der mit 14 Jahren seine erste Flugstunde absolviert hatte, war ein begnadeter Pilot, besaß aber keine formale Ingenieurausbildung. Trotzdem galt er als technisches Genie mit unglaublicher Auffassungsgabe für komplexe Zusammenhänge, vor allem aber als Kontrollfreak, der schlecht delegieren konnte. Seine Firma Hughes Aircraft entwickelte und baute eine Reihe ambitionierter, aber oft erfolgloser Flugzeuge. Niemand in der Luftfahrtindustrie nahm diesen stinkreichen verrückten Kerl aus der Filmbranche ernst. Ein Dilettant, der es sich leisten konnte, mit Flugzeugkonzepten herumzuspielen, so befanden die seriösen Flugzeugbauer. Hughes war besessen von Geschwindigkeit, dem Brechen von Rekorden – und davon, alles genau so zu machen, wie er es wollte. Das kam beim Militär nicht gut an.

Dennoch ließen sich die zuständigen Gremien auf eine Zusammenarbeit mit Hughes ein. Zu verlockend schien das Flugboot als Kriegsgerät, und zudem war Hughes ein schillernder Volksheld. So verkündete am 22. August 1942 Henry J. Kaiser: „Wir werden das ambitionierteste Luftfahrtprojekt vorantreiben, das die Welt je gesehen hat.“ Hughes sollte das größte Flugboot aller Zeiten entwerfen und Kaiser es bauen. Die Regierung in Gestalt des War Production Board bewilligte vergleichsweise magere 18 Millionen Dollar. Dafür sollten innerhalb von nur 24 Monaten gleich drei Exemplare des geplanten Riesenflugboots entstehen: zwei flugfähige Frachter und eine Maschine für statische Bodentests.

Die Anforderungen waren immens. 750 voll ausgerüstete Soldaten sollten nonstop in 20 Stunden bis zu 5000 Kilometer weit befördert werden. Überall, wo Wasser war, sollte das Flugboot Truppen absetzen oder aufnehmen können. Hughes protestierte: „Ich kann nicht ein so großes Flugboot in weniger als zwei Jahren bauen.“ Aber es half nichts, alle Bedingungen wurden unverändert in den am 16. November 1942 unterzeichneten Vertrag hineingeschrieben. Darunter auch eine entscheidende Auflage für das Projekt: Die Nutzung knapper und kriegswichtiger Materialien musste auf ein Minimum beschränkt werden. Das hieß: Statt wie üblich aus Aluminium würden Rumpf und Tragflächen aus Holz bestehen.

Hughes machte sich mit seinen Ingenieuren sofort an die Arbeit, das Design zu entwickeln. Vorgabe war, die größtmögliche Transportkapazität zu schaffen, doch gingen die Meinungen darüber weit auseinander, welche Dimensionen realistisch waren. Das damals größte Flugboot, die Martin Mars, von der heute noch in Kanada zwei zur Brandbekämpfung eingesetzt werden, erreichte ein maximales Startgewicht von 75 Tonnen. Hughes’ Auftraggeber in der Regierung dachten an ein Flugboot mit 125 Tonnen Startgewicht. Doch Hughes schwebte in anderen Sphären und plante mit 200 Tonnen. Beim War Production Board war man skeptisch. Die von Hughes vorgesehenen acht Pratt-&-Whitney-Mehrfach-Sternmotoren wurden zu jener Zeit noch nicht einmal produziert, und mit dieser Größe hätte das Flugboot ein Gewichtsproblem, da ja Rumpf und Tragflächen aus Holz bestehen mussten. Aber Hughes ging stur seinen Weg und wollte mit einem wegweisenden Entwurf Luftfahrtgeschichte schreiben. Die Regierung dagegen hatte es vor allem eilig.


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mare No. 104

No. 104Juni / Juli 2014

Von Andreas Spaeth

Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, Luftfahrtjournalist in Hamburg, beschäftigt sich oft mit großen Flugzeugen. Dass die „Spruce Goose“ im Original perfekt erhalten ist, findet er großartig. Bereits 1988 hat er sie am Originalschauplatz in Long Beach besichtigt. Heute steht das Flugboot in einem Museum in Oregon.

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Vita Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, Luftfahrtjournalist in Hamburg, beschäftigt sich oft mit großen Flugzeugen. Dass die „Spruce Goose“ im Original perfekt erhalten ist, findet er großartig. Bereits 1988 hat er sie am Originalschauplatz in Long Beach besichtigt. Heute steht das Flugboot in einem Museum in Oregon.
Person Von Andreas Spaeth
Vita Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, Luftfahrtjournalist in Hamburg, beschäftigt sich oft mit großen Flugzeugen. Dass die „Spruce Goose“ im Original perfekt erhalten ist, findet er großartig. Bereits 1988 hat er sie am Originalschauplatz in Long Beach besichtigt. Heute steht das Flugboot in einem Museum in Oregon.
Person Von Andreas Spaeth