Ab in den Süden

Auch deutsche Expeditionen erkundeten zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Antarktis – aus höchst verschiedenen Gründen

Der Wind war zum Schneesturm angewachsen. Gegen vier Uhr morgens wurde das Scheuern an der Bordwand stark und anhaltend, um dann in gleichmäßig schwächere Töne überzugehen. Es war, als wären wir nun völlig blockiert. Die Maschine arbeitete krampfhaft, doch das Reiben hörte nicht auf. Dann aber stand die Maschine und im Schiff trat Stille ein.“ Der Bericht von Erich von Drygalski, dem Leiter und Chronisten der ersten deutschen Südpolarexpedition, lässt keine Zweifel: Seit den frühen Morgenstunden des 22. Februar 1902 steckte die „Gauß“ mit ihrer 32 Mann und rund 70 Schlittenhunde starken Besatzung fest im Griff des Packeises, in Sichtweite des antarktischen Festlands, dessen Eispanzer als weiße Kontur am Horizont zu erkennen war.

Erich von Drygalski war damit am Ziel eines lange gehegten Traumes. Ein Traum, für den sein Geografenkollege Georg von Neumayer Jahrzehnte geworben hatte. 1865 brachte Neumayer auf der „Ersten Versammlung Deutscher Meister und Freunde der Erdkunde“ erstmals die Idee einer deutschen Südpolarexpedition samt Überwinterung ins Gespräch. Doch weil den anwesenden Geografen die Erforschung der nicht minder unerforschten Region um den Nordpol naheliegender erschien, passierte zunächst wenig. Erst 1895 erhielten Neumayer und der vier Jahrzehnte jüngere Drygalski auf dem 11. Deutschen Geographentag den Auftrag, eine Expedition zum Südpol konkret zu planen.

Dass es einen großen Südkontinent, eine Terra australis incognita, geben müsse, hatten Gelehrte schon in der Antike vermutet. Doch erst im 19. Jahrhundert sichteten Seeleute erstmals das antarktische Festland, bis zum Ende des Jahrhunderts waren nur kleine Abschnitte seiner Küste kartiert. So war auch noch umstritten, wie groß das antarktische Festland ist und ob es aus einem oder mehreren Teilen besteht.

Die „Gauß“, die gegen alle Gewohnheit „der Gauß“ genannt wurde, sollte diesen riesigen weißen Fleck auf der Weltkarte erkunden und kartieren, die geophysikalischen, ozeanografischen und meteorologischen Bedingungen des tiefen Südens vermessen und die Tier- und Pflanzenwelt des Südpolarmeers erforschen. Am Erreichen des geografischen Südpols hatte Drygalski dagegen kaum Interesse.

Obwohl sich Kaiser Wilhelm II. selbst kaum für frostige Abenteuer im fernen Süden erwärmen konnte, übernahm die Reichsregierung die Finanzierung dieser „friedlichen Großthat deutscher Wissenschaft“. Dabei ging es aber nicht nur um Ruhm und Ehre. Die Expedition sollte schließlich auch unbekannte Gewässer kartieren und damit neue Schifffahrtswege für die aufstrebende Kolonialmacht erschließen. Am 2. April 1901 lief in der Kieler Howaldtwerft nach weniger als einem Jahr Bauzeit schließlich die „Gauß“ vom Stapel, ein eigens zu diesem Zweck gebauter dreimastiger Segeldampfer mit 325 PS starkem Hilfsmotor. Die 1,2 Millionen Reichsmark teure Schonerbark bekam nach dem Vorbild der legendären „Fram“ des norwegischen Polarpioniers Fridtjof Nansen einen besonders runden Rumpf. Dadurch würde sie den Pressungen des Packeises nach oben ausweichen und so ein Zerdrücken des Schiffes vermeiden.

Die Zeit drängte, denn es galt, die Antarktis rechtzeitig vor dem Ende des Südpolarsommers zu erreichen. Zudem war man nicht allein: Im gleichen Jahr startete auch eine britische Südpolarexpedition unter Robert Falcon Scott, in Norwegen bereitete sich Otto Nordenskjöld auf die Abfahrt vor.

Am 11. August 1901 setzte die „Gauß“ endlich ihre Segel. Die Reise über Kapstadt und die subantarktische Inselgruppe der Kerguelen war weitgehend planmäßig verlaufen, und nun steckte die „Gauß“, ebenso ganz nach Plan, im Packeis fest. Die Besatzung begann umgehend damit, sich für die kommende Überwinterung einzurichten. „Magazine wurden errichtet, worin die aufgestapelten Schätze der ‚Gauß‘ übersichtlich und handlich zurechtgelegt wurden. Die Hunde bekamen einen langen Holzverschlag als Windschutz, die Mütter und jungen Hunde ein warmes Palais aus Kisten und Korkplatten“, schreibt Drygalski. Auf dem Eis rund um das Schiff entstanden wissenschaftliche Observatorien, eine Feldschmiede und eine Werkstatt.

Schon am 18. März 1902 startete die erste von etlichen Hundeschlittenexpeditionen zum Festland, wo der Geologe Emil Philippi und zwei Gefährten nahe der Grenze von Inland- und Meereis auf den 370 Meter hohen Gaußberg stießen. Der erloschene Vulkan war das einzige Stück eisfreien antarktischen Festlands der gesamten Reise – eine besondere Freude für den Geologen, dem es bis dahin an Forschungsmaterial gefehlt hatte.


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mare No. 126

No. 126Februar / März 2018

Von Georg Rüschemeyer

Als klar war, dass Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Wissenschaftsjournalist im englischen York, im Rahmen seiner Recherche auch das Archiv für deutsche Polarforschung in Bremerhaven besuchen würde, sah er sich schon in alten Kisten mit staubigen Devotionalien wühlen. In Wirklichkeit fand er einen aufgeräumten, klimatisierten Raum vor.

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Vita Als klar war, dass Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Wissenschaftsjournalist im englischen York, im Rahmen seiner Recherche auch das Archiv für deutsche Polarforschung in Bremerhaven besuchen würde, sah er sich schon in alten Kisten mit staubigen Devotionalien wühlen. In Wirklichkeit fand er einen aufgeräumten, klimatisierten Raum vor.
Person Von Georg Rüschemeyer
Vita Als klar war, dass Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Wissenschaftsjournalist im englischen York, im Rahmen seiner Recherche auch das Archiv für deutsche Polarforschung in Bremerhaven besuchen würde, sah er sich schon in alten Kisten mit staubigen Devotionalien wühlen. In Wirklichkeit fand er einen aufgeräumten, klimatisierten Raum vor.
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