8. und letzte Folge: Black is beautiful

Zum Abschluss der Serie schreibt die Fotografin der MOSAiC-Expedition, wie berührt sie von der Dunkelheit der arktischen Nacht war

Es war das Jahr 2015, als ich mich in den Arktischen Ozean verliebte. Schon beim ersten Blick wusste ich, dass ich ihn für immer tief lieben werde. Ich fühle eine Verbindung zu ihm, spüre den Drang, ihn beschützen und in seiner Schönheit bewahren zu wollen. Für mich ist der Arktische Ozean der faszinierendste Ort unseres Planeten. 

Ich befand mich damals auf der „Healy“, einem Eisbrecher der US-Küstenwache. Meine Aufgabe war es, im Auftrag des US-Fachmagazins „Audubon“ die Forschung an Bord zu dokumentieren. Tagsüber fotografierte ich, die Nächte aber verbrachte ich auf der Brücke, überwältigt von dem sich ständig verändernden Meereis. Es war meine erste Expedi­tion, und ich beschloss, von nun an meine Fotografie der sich am schnellsten verändernden Region der Erde zu widmen. Es reizte mich, mit Forschern zusam­men­zuarbeiten und zu helfen, das Bewusstsein der Menschen für den Arktischen Ozean und die Polarregionen zu schärfen.

Drei Wochen danach reiste ich nach Norwegen zu einem Termin im Norwegischen Polarinstitut. Zufälligerweise hielt sich dort auch die damalige Direktorin des Alfred-Wegener-Institus (AWI), Karin Lochte, auf. Ich hörte mir ihren Vortrag an und erfuhr so erstmals vom MOSAiC-Projekt. Mir war sofort klar: Ich wollte dabei sein. Ich begann, für das AWI zu arbeiten.

Fünf Jahre später war es dann so weit: Ich nahm als Fotografin an der MOSAiC-Expedition teil. Ein Traum ging in Erfüllung. Für mich gehört die Polarnacht zu den schönsten Erfahrungen, die ich während der Expedition gemacht habe. Als Teil der ersten Gruppe verbrachte ich insgesamt dreieinhalb Monate an Bord des Forschungsschiffs „Polarstern“, zweieinhalb davon in völliger Finsternis.

Wenn wir zu Fuß auf dem Meereis unterwegs waren, bewegten wir uns aufgrund der Dunkelheit extrem langsam. Bei jedem Schritt mussten wir aufpassen, nicht in eine Öffnung und damit in das minus 1,8 Grad kalte Wasser zu treten. Das einzige Licht spendeten die Scheinwerfer der Expeditionsteilnehmer und der „Polarstern“. Bei starkem Wind konnten wir uns nicht verständigen, nur die Lichter des Schiffs gaben uns Orientierung. Alles im Schatten blieb unsichtbar.Unter unseren Füßen befanden sich rund 4200 Meter Ozean, das Eis war gut ein

Meter dick. Die Temperatur betrug, unter Berücksichtigung des Winds, minus 45 Grad. Ohne eine Gesichtsbedeckung hätten wir Erfrierungen davongetragen. So eine schwarze Dunkelheit habe ich noch nie erlebt. Es fühlte sich an, als seien wir auf dem Mond. Das graue Meereis war die Mondoberfläche, und wir schauten, so schien es, vom Mond aus auf das tiefschwarze, unendliche Universum. Als ich all die wissenschaftlichen Geräte auf dem Meereis aufgebaut sah und in die Landschaft blickte, glaubte ich, jeden Moment die Erde im Hintergrund sehen zu können. Die Szenerie erinnerte mich an die Fotos von der Mondlandung 1969. 

Die Fotografie spielt in der Wissenschaft eine wich­tige Rolle, da sie historische Momente in der Forschung dokumentiert. Wenn wir an die Mondlandung denken, sehen wir unwillkürlich die berühmten Bilder von Neil Armstrong vor unserem geistigen Auge. Während der MOSAiC-Expedition hatte ich das Gefühl, ebenfalls ein Stück Geschichte für kommende Generationen zu dokumentieren.

Eines meiner Expeditionsfotos, das eine Eisbärenmutter mit ihrem Jungen zeigt, gewann in diesem Jahr den World Press Photo Award in der Einzelkategorie Umwelt, was definitiv ein weiterer wahr gewordener Traum ist.

Einige Tage nach meiner Rückkehr aus der Arktis reiste ich nach Washington, D. C. Es war schön, nach der langen Isolation meine geliebten Freunde wieder zu treffen und die Stadt zu erkunden. Endlich konnte ich wieder spazieren, ohne jeden meiner Schritte überprüfen zu müssen und ohne mich ständig nach Eisbären umzusehen.

mare No. 142

mare No. 142Oktober / November 2020