25°04' Süd, 130°06' West - Folge 36

Wieder ein Schritt in die Moderne. Das alte Telefonsystem der Insel hat ausgedient. UKW-Funk ist jetzt Standard. Früher hatte jeder an seinem Apparat im Haus eine große Kurbel, und wenn er an ihr drehte, klingelte es in allen Häusern Pitcairns. Deshalb war ein Morsecode nötig, damit jeder wusste, wer abzuheben hatte, aber theoretisch konnte jeder mitreden. Bei den UKW-Geräten muss keiner mehr kurbeln. Ansonsten bleibt alles beim Alten, denn angerufen wird über Kanal 16, den jeder eingeschaltet hat. Anschließend verabredet man, auf welchem Kanal geklatscht und getratscht wird. Auch da kann, wer will, alle anderen mithören. Nun wird auch das Holzbrett unten im Bootsschuppen, einst Pitcairns „Telefonbuch“, obsolet. Dort waren neben dem Kurbeltelefon die kurzen und langen Striche aller Haushalte aufgemalt, für die Neuankömmlinge.

Im November kam das letzte Post- und Versorgungsschiff, das nächste ist jetzt erst für April angekündigt. Die Verbindung zur Außenwelt wird knapper. Die Reedereien müssen schärfer kalkulieren und können sich auf dem Weg von Neuseeland zum Panamakanal den Bogen zur Insel nicht mehr so locker leisten. Und in London wird man zunehmend knauseriger, was die Kostenübernahme angeht.

Dafür kommt anderer Besuch: der Nachbau der „Bounty“, originalgetreu angefertigt für den neuen Film mit Mel Gibson als Obermeuterer Fletcher Christian. Er soll im März in der Bounty Bay ankern, also dort, wo 1789/90 das wahre Meutererschiff ankerte und wo bis heute in 15 Meter Tiefe sein Wrack liegt. Ein Erlebnis, das das Gemüt der geschichtsbewussten Pitcairner aufwühlen dürfte. Die Replika soll auf Kreuzfahrten gehen, jeweils 14 „Bounty“-Fans können mit. Angeblich will der Eigner auch Pitcairner für die ebenfalls 14-köpfige Crew anheuern.

Richard Fell, Gouverneur von Pitcairn, der in Neuseeland residiert, erledigte im November seinen Antrittsbesuch. Und das, obwohl er bereits rund ein Jahr im Amt war. Die Visite fand in angespannter Atmosphäre statt. Die Insulaner waren etwas düpiert, als Fell zwei Postschiffe zuvor einen öffentlichen Aushang mitgeschickt hatte: „Wer böse Gerüchte in Umlauf bringt oder weiterträgt, wird mit einer Geldstrafe von bis zu 50 Dollar bestraft“, mussten die erstaunten Pitcairner lesen – ein etwas unscharfer Tatbestand, zweifellos. Hintergrund ist wachsendes Unverständnis der Inselbewohner über das anstehende Strafver- fahren gegen knapp zwei Dutzend Inselbewohner. Der Vorwurf: sexueller Verkehr mit Minderjährigen. Das Verfahren wird von London betrieben und von der neuseeländischen Justiz durchgeführt. Sauer sind die Pitcairner vor allem darüber, dass die Verhandlung jetzt offenbar in Neuseeland stattfinden soll, ein entsprechendes umfangreiches Gesetzeswerk hat das Parlament von Wellington inzwischen passiert. Weil alle Angehörigen, also die gesamte Bevölkerung, teilnehmen wollen oder müssen, wäre die Insel wochenlang nahezu evakuiert. Und quasi die ganze Insel säße in den Augen der neuseeländischen Öffentlichkeit auf der Anklagebank. Mancher in Adamstown vermutet hinter der Angelegenheit gar, dass man in London endlich einen Vorwand gefunden habe, sich des Kostenfaktors Pitcairn ein für alle Mal entledigen zu können. Betty Christian sagt: „Wir leben wie unter einer dunklen Wolke. Alle machen sich Sorgen um die Zukunft.“

Nicht nur dunkle Wolken hat der Gouverneur mitgebracht, sondern auch Regen. Eine Erlösung für die Insel nach langer Dürre. Weil es weder Flüsse noch Bäche gibt, sind die Pitcairner auf Wasser angewiesen, das sich in den Zisternen sammelt. „Viele sind gleich raus in ihre Gärten zur Arbeit“, berichtet Betty.

mare No. 36

No. 36Februar / März 2003

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.
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