25°04' Süd, 130°06' West - Folge 34

Kaum hatte Meralda ihren Job als Inselpolizistin routinemäßig abgegeben, verreiste sie mit Vater Jacob und Mutter Mavis nach Norfolk Island. Meralda unterzog sich dort einer Fortbildung in ihrem eigentlichen Beruf als Krankenschwester. Zahnkronen zu setzen hatte sie auch schon lange lernen wollen. Es gibt wohl keine anderen zwei Inseln auf der ganzen Welt, die 6000 Kilometer entfernt voneinander liegen und sich so intensiver Verwandtschaft erfreuen. 1856 waren alle Bewohner Pitcairns nach Norfolk in der Nähe von Australien gezogen, eine frühere britische Gefängnisinsel, aber zu jenem Zeitpunkt wieder unbewohnt. Die Überbevölkerung auf Pitcairn war unerträglich geworden. Doch aus Heimweh zogen bald viele Familien wieder zurück. Für Jacob war jetzt der Flug von Auckland nach Norfolk der allererste. „Nicht schlecht für einen 81-Jährigen“, schrieb Meralda. Dass da Verwandtschaft vorliegt, wurde auch klar, als alle mit Meralda nach ihrer Ankunft gleich fischen gehen wollten.

Gegenbesuch aus Norfolk. Karlene will den polynesischen Stamm ihrer Familie auf Pitcairn genauer unter die Lupe nehmen und auch richtige Forschungen betreiben. Karlene hat sich vorgenommen, mehr über die ersten Siedler Pitcairns in Erfahrung zu bringen, von denen alle Spuren bereits verschwunden waren, als die Meuterer im Januar 1790 ankamen. Lediglich ein paar Felseinritzungen am Strand bei Down Rope sind erhalten.

Neue Polizistin ist jetzt Brenda Christian. Sie wird unterstützt von zwei ebenfalls neuen Kräften aus Kent in England, Pat und Gordon. Ordnungshüter von auswärts sind zurzeit öfter auf der Insel wegen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft (mare No. 33), die die Inselbewohner allerdings zunehmend in Rage versetzen. Sie wollen alles lieber unter sich ausmachen. Pat und Gordon führten sich damit ein, dass sie den Kindern Verkehrsunterricht erteilten. Kann nicht schaden, auch wenn außer einigen Four-Wheelers keine Fahrzeuge auf Pitcairn verkehren.

Alle paar Monate heißt es: auf zum 40-Meilen-Riff! Die Inseln rund um Pitcairn sind ja schon alle menschenleer, aber das 40-Meilen-Riff ist sogar so leer, dass es noch nicht einmal eine Insel ist, sondern nur ein Riff – dafür gibt’s aber umso mehr schmackhafte Fische ringsum. Entfernung: 40 Meilen eben. Um zehn am Abend ging es diesmal los. Pats und Gordons erster Ausflug, aber schon zehn Seemeilen später machte das Longboat „Moss“ schlapp: Keilriemen gerissen. Doch statt im Schlepp des zweiten Boots „Tub“ zur Landestelle zurückzufahren, entschieden sie sich, erst einmal unter dem wunderbaren Sternenhimmel zu schlafen. Einmalige Nacht, befanden alle später. Schließlich mussten sie dann doch noch einmal zurück, Reparatur, zweiter Anlauf, und endlich war das Ziel erreicht. Pat und Gordon schliefen zwar die meiste Zeit, auch als die Sterne längst erloschen waren, und Gordon hatten die Wellen auch reichlich grün im Gesicht gemacht. Aber auch Ordnungshüter aus England bekommen am Ende ihren Anteil Fisch – eine gelungene Einführung in die Landessitten.

So klein die Insel ist, so reisefreudig sind die Pitcairner. Nächstes Ziel: Gudgeon’s Cave an der Steilküste Adamstown gegenüber. Wirklich sehenswert. Victor Young, zu Besuch auf der Insel, verfasste einen begeisterten Reisebericht im „Miscellany“. Er wohnte zwar früher auf Pitcairn, war aber noch nie in Gudgeon’s Cave: eine Grotte, in die man durch einen flachen Tunnel nur mit den kleinen Beibooten fahren kann und die man vor allem beizeiten verlassen muss, weil die Flut den Rückweg abschneidet. Jedesmal eine Herausforderung für Pitcairner, denn die Grotte ist berühmt für ihre reichen Fischgründe, und von solchen können sich die Insulaner nur schwer trennen.

mare No. 34

No. 34Oktober / November 2002

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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