25°04' Süd, 130°06' West - Folge 31

Pitcairns Verkehrsfunk meldet: „Mit Staus in der Länge von vier oder fünf Fahrzeugen am Hill of Difficulties muss gerechnet werden.“ Das Straßenbauprojekt kommt wieder in Gang. Im vergangenen Jahr hatte der Gouverneur von Pitcairn die Arbeiten für die Asphaltierung der schlammigen Bergstrecke vom Bootsanleger hinauf ins Dorf international ausgeschrieben (siehe Folgen 25 und 27). Kaum wurden die ersten Interessenten neugierig, strich die Verwaltung das Vorhaben ohne Begründung. Jetzt sollen die Pitcairner selbst wenigstens die Vorbereitungen durchführen, gegen einen kleinen Lohn. Dränagerohre und Straßengräben sollen verhindern, dass die regelmäßigen Wolkenbrüche den Untergrund noch mehr wegspülen. Die Arbeit kam gut voran – bis etwas Wichtigeres dazwischenkam. Ein großes Kreuzfahrtschiff ist demnächst für einen dreistündigen Aufenthalt avisiert, und da heißt es schnitzen: „Bounty“-Modelle und andere Souvenirs für die Passagiere.

Immer wieder müssen die Schulkinder Pitcairns Briefe aus aller Welt beantworten. Ein Kind aus Seattle in den USA hatte in seinem Schreiben Aufregendes zu berichten gehabt: Stromausfall in der ganzen Großstadt, nichts ging mehr. Pania antwortete: „Wir haben auch Stromausfall, jeden Tag. Immer nachmittags und abends um 10 Uhr, wenn der Generator abgeschaltet wird.“

Die Entscheidung, ob gegen einige Männer aus Pitcairn ein Strafprozess wegen sexuellen Missbrauchs eröffnet wird, steht unmittelbar bevor. Da Großbritannien den Fall (siehe Folge 28) an Neuseelands Justiz übergeben hat, aber Menschen aus Pitcairn vernommen werden sollen, ist an eine Verhandlung per Videokonferenz zwischen Auckland, London und Pitcairn gedacht. Bislang gibt es kein Satelliten-TV auf der Insel, seine Einrichtung könnte daher der angenehme Nebeneffekt des Ganzen sein. Die Firma Rocom Wireless hat bereits den Zuschlag für die Installation erhalten – für den Fall, dass es zum Prozess kommt. Es geht darum, ob minderjährige Mädchen belästigt oder gar missbraucht wurden. Die Richter müssen nicht nur dies klären. Die Frage ist, inwieweit polynesische oder europäische Sichtweisen gelten sollen, die in dieser Hinsicht sehr weit auseinander klaffen.

Ein französisches Kriegsschiff lag zu Besuch vor der Bounty Bay. Mangareva, nächste bewohnte Insel, gehört zu Französisch Polynesien. Ihr Gastgeschenk: 100 Fässer Dieselöl für das Kraftwerk – ein Präsent, über das sich die Insulaner umso mehr freuen, als die Zuschüsse aus England zusammengestrichen wurden. Tom fuhr eiligst mit dem Longboat hinaus, um die Ladung zu löschen. Später kamen die Franzosen an Land, um oben am Dorfplatz ein Barbecue zu schmeißen. Manch Pitcairner fasste die Aktion als Wiedergutmachung auf für die Atombombenversuche 1995 im Mururoa-Atoll, das kurz hinter Mangareva liegt.

Pitcairner können doch noch Geheimnisse bewahren, selbst ihrem Bürgermeister Steve Christian gegenüber. Dass auf der Passagierliste des letzten Postschiffs auch Tania, Steves Tochter, stand, war ganz Adamstown klar, schließlich müssen die Reisen lange vorher angemeldet sein. Nur Steve selbst wusste nichts davon. Er war ganz außer sich, als Tania, die längst in Neuseeland lebt, plötzlich an der Bordwand ganz oben auftauchte und zum kleinen Longboat hinunterwinkte (das Postschiff ist immer ein Containerfrachter auf dem Weg zwischen Neuseeland und dem Panamakanal). Der Reporter des „Miscellany“ allerdings will später Steve beobachtet haben, laut murmelnd über die Insel wandernd: „Ich kann der Frau nie wieder trauen. Ich kann der Frau nie wieder trauen.“ Natürlich meinte er seine Frau, Olive, die ebenfalls in das Geheimnis eingeweiht war.

mare No. 31

No. 31April / Mai 2002

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.
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