25°04' Süd, 130°06' West - Folge 30

Briefmarken sind nach wie vor die Haupteinnahmequelle der Insel – und wichtiger denn je, seit die Subventionen des Mutterlandes Großbritannien stark nachgelassen haben. Da sind einige Pitcairner jetzt auf eine originelle Idee gekommen: Vergangene Größen und verstorbene Helden hat jedes Land auf seinen Postwertzeichen – aber wer könnte schon alle Einwohner auf einer Marke oder nach und nach in einer Serie abbilden? Jetzt wird darüber diskutiert, ob Tom, Steve, Meralda, Betty und wie sie alle heißen naturgetreu oder doch eher nach herkömmlicher Manier in Zeichnungen gebannt sein sollen. Andere wollen doch eher wieder die Altvorderen ehren, und so hat jetzt Kapitän Arthur Jones gute Chancen: jener Seefahrer, der einst den Pitcairnern den Gebrauch von Gewächshäusern beibrachte.

Die Inselverwaltung hat noch eine weitere Einnahmequelle entdeckt. Für 25 Pitcairn-Dollar kann sich jeder Bewohner das Recht erkaufen, Alkohol zu verzehren. Der genaue Kurs eines Pitcairn-Dollar ist nur schwer zu ermitteln, da die Insulaner meist einfach eins zu eins rechnen, egal um welche Währung es sich handelt. Normalerweise dulden die Insulaner, die zum größten Teil bekennende Siebenten-Tags-Adventisten sind, keine „geistigen Getränke“. Zu kaufen gibt es im Insel-Coop-Laden, der wöchentlich zwei Mal eine Stunde geöffnet hat, nach wie vor weder Bier noch Schnaps. Wer solches braucht, muss es sich von Yachten oder dem Versorgungsschiff kaufen und selbst bunkern.

Tom schlägt Alarm: Durchschnittlich zehn Ratten findet er je Falle täglich in seinem Garten. Das Problem scheint unlösbar. Die Katzen, die zwischendurch ganz von der Insel verschwunden waren, vermehren sich jetzt zwar, aber viel zu langsam, als dass sie die Ratten, die Meister im Bevölkerungswachstum, in Schach halten könnten. Gift hilft auch nicht. Bei dem paradiesischen Angebot von Tropenfrüchten gibt es für die Nager keinen Grund, giftige Körner zu verzehren.

Mr. Turpin, Pitcairns Kultfigur, ist eine Frau. Die Riesenschildkröte, die in ihrer Fressgier seit vielen Jahren schon manchen Gartenbesitzer der Meutererinsel zur Weißglut brachte, wurde jetzt von Jeanette, einem zoologisch kundigen Yachtbesuch, näher begutachtet – offenbar erstmalig. Jeanette: „Man sieht’s am Schwanz.“ Ein männlicher verlaufe über eine gewisse Strecke in gleich bleibender Stärke und laufe erst am Ende spitz zu, während er bei Weibchen insgesamt kürzer sei und eher ein dreieckiges Profil habe. Da Mr. alias Mrs. Turpin auf der Adamstown gegenüberliegenden Seite der Insel, in Tedside, wohnt, kann das Tier sich nahezu unbehelligt an den dortigen Gärten schadlos halten, so dass es immer wieder mit dem Buggyanhänger zum Meer hinuntergeschafft werden muss. Aus Protest entleert sich das Reptil regelmäßig auf der Ladefläche.

Momentaufnahme von Pitcairns Volksgesundheit: Tom hat sich von seinem Herzinfarkt ein wenig erholt und will jetzt sogar einer Einladung nach Japan folgen. Rob, der Lehrer, laboriert noch an seinem sechsfachen Rippenbruch, den er sich beim Angeln an der Felsküste zugezogen hat. Paul Warrens Hüfte ist immer noch angeknackst. Er war beim Umsteigen vom Versorgungsschiff auf das Longboat der Insulaner bei hoher See zwischen die Bordwände geraten. Thelma scheint sich von ihrer Demenz nicht mehr zu erholen. Da wundert es auch keinen mehr, dass Leon Salt, Gouverneur von Pitcairn, ebenfalls operiert werden musste – obwohl er gar nicht auf der Insel lebt, sondern im fernen Neuseeland. Wenn noch mehr kräftige Männer wie Tom, Rob und Pawl ausfallen, wären die Boote, mit denen die Inselbewohner zu den Frachtschiffen hinausfahren, kaum noch zu bedienen.

mare No. 30

No. 30Februar / März 2002

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Mehr Informationen
Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.
Person Von Ulli Kulke
Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.
Person Von Ulli Kulke