Zwei wie Schiff und Ladung

Sie bewegen Millionen Tonnen in einem boomenden Business und bleiben selbst ganz ruhig dabei. Ein Besuch bei den wahren Steuermännern der Containerschifffahrt an Hamburgs feiner Elbchaussee

Die Flagge mit dem weissen H auf blauem Grund flattert im Wind. Das Scharnier am Eingang der Reederei Alnwick Harmstorf & Co. bedürfte einer Ölung, aber das soll nichts heißen. Die Geschäfte laufen für Hamburger Reeder so gut wie seit 100 Jahren nicht.

Es ist ein strahlender hanseatischer Morgen, kurz vor zehn Uhr, Thomas Meier-Hedde ist der Erste im Büro. Von seinem Schreibtisch im gläsernen Haus an der Klopstockstraße blickt er auf den Containerterminal am Burchardkai herab. Kräne ragen in den Hamburger Himmel wie ehedem die Masten der Handelssegler. Aus dem Gewirr der Container staken gelb blinkende Straddle-Carrier wie langbeinige Insekten. Eine Ameisenstadt, die Containerriesen befrachtet und niemals schläft. Das ist das Metier von Thomas Meier-Hedde. Er ist Herr über das Operating, koordiniert die Be- und Entladung der Schiffe, die Abfertigung in den Häfen und hält Kontakt zu den Agenturen in aller Welt.

Der Reeder ist ein Gentleman vom scharf gezogenen Scheitel bis zur Sohle, stets in gedecktem Ton gekleidet, ein ruhiges Gemüt. Auf seinem Siegelring prangt das Wappen der Familie, Othmarscher Runen, denen sein Vater einen Anker hinzugefügt hat. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer steht immer offen.

Die Ankunft seines Firmenpartners würde so oder so nicht unbemerkt bleiben. Thomas Harmstorf rauscht herein und lässt den schwarzen Fedora aufs Sofa segeln. Er trägt dunklen Zwirn zur dunkel geränderten Brille, eine Erscheinung, die die Grandezza eines exaltierten Adligen mit der vornehmen Zurückhaltung des Hamburger Kaufmanns vereint. An diesem Morgen haben die beiden Reeder etwas Ärger. Das Containerschiff „Sylvette“ liegt nördlich von Hongkong in einer chinesischen Werft. Ein Mann von Harmstorf & Co. ist vor Ort und meldet, die Werft arbeite zu langsam. Darauf muss sofort reagiert werden. Der Mann in Hongkong wird sich mit den Funktionären auseinandersetzen, Meier-Hedde und Harmstorf treffen den Hamburger Repräsentanten der Staatswerft. Diskret zum Lunch, in der Lobby eines Hotels.

Sie sind zurückhaltend und leise, und sie sind unglaublich erfolgreich. Hamburgs Reeder sind Weltmeister, mit großem Abstand. In der Containerschifffahrt liegt Deutschland mit rund 3500 Schiffen und fast 40 Prozent Marktanteil an erster Stelle vor Japan mit zwölf Prozent. „Eine Erfolgsgeschichte sondergleichen“, sagt Harmstorf, „eigenartig, wo Deutschland doch nie eine Seefahrernation gewesen ist.“

An diesem Erfolg hat die Reederei Alnwick Harmstorf & Co. mit ihren 15 Schiffen als eine von rund 80 Containerreedereien in Hamburg und Schleswig-Holstein einen bescheidenen, aber beispielhaften Anteil. Ihre Schiffe fahren von Florida nach Peru und Ecuador, vom Mittelmeer über Südafrika und Südamerika in den Arabischen Golf, pendeln zwischen Bremerhaven und Kaliningrad, zwischen Singapur, Malaysia und Thailand. Ihre Geschichte erzählt die Geschichte der deutschen Seefahrt, und die alte Fehde zwischen den Hansestädten Hamburg und Bremen ist zumindest hier im Haus beigelegt: Thomas Meier-Hedde ist Bremer und Thomas Harmstorf Hamburger. Beide sind Reedersöhne, blicken auf eine lange Tradition zurück, und beiden gehört die Reederei Alnwick Harmstorf & Co. zu gleichen Teilen. In den Büroetagen des Betriebs leben sie noch, die längst verschrotteten Schiffe mit dem weißen H auf blauem Grund und gelbem Schornstein, als Modelle hinter Glas. Die „Rothersand“ oder „Meersand“, treue, schwimmende Ackergäule. Wenn sie am Haus der Familie Harmstorf in Blankenese vorbeifuhren, gaben sie Signale. Zwei kurz, zwei lang. Dann rannte Thomas Harmstorf vom Anlegesteg durch den Bergungsbetrieb und die Schmiede in den Dachstuhl hinauf und antwortete mit der Schiffsglocke.

Früher baute die Werft von jedem Schiff ein Modell und schenkte es dem Eigentümer, dem Reeder, zum Stapellauf. Heute ist ein Schiff wie eine schwimmende Börse. 30 bis 40 Prozent sind Eigenkapital. Der Rest kommt von der Bank. Das Eigenkapital wird gebündelt über Emissionshäuser. Die Reeder erreichen einige große Investoren, Emissionshäuser erreichen die Kleinanleger, bis hinab zu 25 000 Euro. Der Reeder stellt sicher, dass das Schiff technisch einsatzbereit und versichert ist, eine Besatzung, eine Beschäftigung und eine Buchhaltung hat und dass mit den Eigentümern ordentlich abgerechnet wird.

So besteht ein Schiff aus vielen Sparbüchsen, und jede will bei jeder Seemeile zum Klimpern gebracht werden. Das ist der Job des Reeders. Wenn er gut ist, beschäftigt er sein Schiff 360 Tage im Jahr. Thomas Meier-Hedde schafft 362 bis 365 Tage. Nur alle drei bis fünf Jahre muss ein Schiff in die Werft. Jeder verlorene Tag kostet die Reeder 9000 bis 11 000 Dollar. Gerade haben die Reeder ein neues Schiff übernommen. Es ist in Singapur registriert, wurde in China gebaut und in der Schweiz bereedert. Sie besichtigten es in Dubai, kauften es in Bremen und holten es in Malaysia ab. Baujahr 2005, 1400 TEU (Twenty Feet Equivalent Unit, der 20-Fuß-Container), Kosten: etwa 30 Millionen Dollar. Der Kauf zog sich über Monate hin, weil die Banken- und Immobilienkrise in den USA auch den deutschen Markt trifft und es einen langen Stau gibt, denn Schiffe werden weltweit dringend gebraucht. Die Mieten der Charterer schnellen in die Höhe, und so kann ein Schiff, das 2005 neu 50 Millionen Dollar gekostet hat, heute schon 60 Millionen Dollar Wert sein.


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mare No. 70

No. 70Oktober / November 2008

Von Helmut Kuhn und Jan Windszus

Helmut Kuhn, 46, ist Journalist und Schriftsteller in Berlin. Sein Roman Nordstern (marebuchverlag) verarbeitet das Verschwinden einer Yacht in der Karibik 1977, an deren Bord sich auch sein Vater befand. An den Fall erinnerten sich auch die beiden Reeder. Tod auf See ist auch für sie ein Thema, noch immer.

Jan Windszus, Jahrgang 1976, lebt als freier Fotograf in Berlin. Für mare No. 62 fotografierte er Raver auf der Krim. Die Begegnung mit den Hamburger Reedern war nicht weniger spannend, aber erst ein Besuch auf einem der mächtigen Containerschiffe verdeutlichte ihm die Dimensionen des Geschäfts.

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Vita Helmut Kuhn, 46, ist Journalist und Schriftsteller in Berlin. Sein Roman Nordstern (marebuchverlag) verarbeitet das Verschwinden einer Yacht in der Karibik 1977, an deren Bord sich auch sein Vater befand. An den Fall erinnerten sich auch die beiden Reeder. Tod auf See ist auch für sie ein Thema, noch immer.

Jan Windszus, Jahrgang 1976, lebt als freier Fotograf in Berlin. Für mare No. 62 fotografierte er Raver auf der Krim. Die Begegnung mit den Hamburger Reedern war nicht weniger spannend, aber erst ein Besuch auf einem der mächtigen Containerschiffe verdeutlichte ihm die Dimensionen des Geschäfts.
Person Von Helmut Kuhn und Jan Windszus
Vita Helmut Kuhn, 46, ist Journalist und Schriftsteller in Berlin. Sein Roman Nordstern (marebuchverlag) verarbeitet das Verschwinden einer Yacht in der Karibik 1977, an deren Bord sich auch sein Vater befand. An den Fall erinnerten sich auch die beiden Reeder. Tod auf See ist auch für sie ein Thema, noch immer.

Jan Windszus, Jahrgang 1976, lebt als freier Fotograf in Berlin. Für mare No. 62 fotografierte er Raver auf der Krim. Die Begegnung mit den Hamburger Reedern war nicht weniger spannend, aber erst ein Besuch auf einem der mächtigen Containerschiffe verdeutlichte ihm die Dimensionen des Geschäfts.
Person Von Helmut Kuhn und Jan Windszus