Zwei Seelen hat sie, ach

Die Chefin des Seemannsheims liebt ihren Job. Wäre da nicht diese Sehnsucht, selbst zur See zu fahren!

Männer fahren zur See. Frauen warten zu Hause. Warten keine Frauen und gibt es kein Zuhause, dann geht der Seemann ins Heim, wenn er Urlaub nimmt vom Meer oder wenn er ein Wohnzimmer sucht für den Feierabend im fremden Hafen.

Seemannsheime werden wie Schiffe von Männern geleitet. Frauen backen Kuchen für den Seemann oder verkaufen ihm Telefonkarten, Briefmarken, Zahnpasta. Männer führen Kommando, Frauen führen Gespräche. Aber der Chef ist ein Mann. Unter Seeleuten immer, an Bord und im Heim. Überall.

Fast. Weit oben in Deutschland, da liegt das Städtchen Brunsbüttel. Unter den Seefahrern ist es weltbekannt und klingt nach Panama und Suez. Hier ist das eine Ende des Nord-Ostsee-Kanals. Und hier im Seemannsheim ist der Chef eine Frau: Reinhild Dehning, 38 Jahre alt, Seemannsdiakonin. Seit zehn Jahren leitet sie dieses Haus. Einladend liegt es da wie in einem Paradiesgärtlein.

Die Chefin ist bescheiden. Sie dankt ihrem eingetragenen Verein Seemannsmission Westküste und der Internationalen Transportarbeiterföderation. Vor allem durch einen gewaltigen Batzen Geldes dieser Gewerkschaft kann der Seemann wieder wohnen in Brunsbüttel. Er kann nach Hause schreiben, mailen, faxen, telefonieren, Billard spielen oder sich in Sesseln lümmeln. Und er kann sich gar nicht satt sehen am Grün der Gärten ringsum. So etwas sieht er ja selten. Hier blüht alles.

Nein, der philippinische Bootsmann wird nie mehr grau sehen, wenn er im Südchinesischen Meer von Deutschland erzählt. Der Koch aus Ghana wird zwar mit Germany immer diesen grünen, groben Brei verbinden samt der Würste swimming inside. Doch die Seemannsheimleiterin aus Brunsbüttel am Kiel Canal im kalten Deutschland, die wird er loben und preisen an allen Küsten des nördlichen Pazifiks und in den Lagunen der Südsee. Und der Matrose von den Kapverden, der stiftet Kerzen für die kleine, bunte, starke deutsche Frau, die ihn jeden Tag im Krankenhaus besucht hat; die seiner Familie Bescheid gesagt und zwischen ihm und den Ärzten verhandelt hat. Den ganzen Papierkram hat sie gecheckt. Was zum Naschen gebracht hat sie und Zeitungen, die er verstehen konnte. Denn das ist nicht einfach: krank sein in Brunsbüttel, wenn man von Cabo Verde kommt, in der Schleuse vom Dampfer getragen wird und keinen Menschen kennt.

Wenn Reinhild Dehning an Bord geht auf Schiffsbesuch, dann wissen die Seeleute: Das ist die Einzige, die nichts von uns will. Die kommt nicht wegen des Schiffs wie die Leute von der Reederei. Nicht wegen der Ladung wie der Agent. Nicht wegen unserer Papiere wie die Behörden. Die kommt nur unseretwegen.

Das ist Seelsorge, sagt Reinhild Dehning: auf die Leute zugehen, nichts wollen, nur da sein. Tief in der Lüneburger Heide ist sie geboren. In ihrem Dorf gibt es sogar noch Anfang der siebziger Jahre eine einklassige Zwergschule. Dann die große Hauptstadt: Hannover. Sie studiert Religionspädagogik. Der Zufall der Vorsehung spült die junge Frau zu einem Praktikum in die Seemannsmission nach Bremerhaven. Das ist ja noch viel doller als in Hannover. Schöne neue, fremde Welt. Menschen gibt es! Fremde Menschen, wunder- bare Menschen. Was die alles zu erzählen haben! Die Geradlinigkeit dieser Seeleute ist faszinierend. Die reden nicht lang herum, denn das Schiff legt gleich wieder ab. Direkt ist der Seemann, sagt Reinhild Dehning. Und das ist gut, wenn es einfach ist zwischen Menschen, klar und direkt. Nach einem Jahr Arbeit bei der Seemannsmission ist ihre Ausbildung beendet.

Aber jetzt will sie nicht mehr Religion unterrichten. Bleiben will sie, bei den Seeleuten ihren Beruf leben. Bloß gibt es so viele Seemannsheime auch wieder nicht in Deutschland, dass da sofort eine offene Stelle auf die Dehning warten würde. So lernt sie den nächsten Beruf. Nun wird die Frau Seemann, Matrose und Heizer. Schiffsmechaniker heißt das ja heutzutage, die gemeinsame Ausbildung für die ursprünglich getrennten Arbeitsbereiche an Deck und in der Maschine.

„Es war klasse“, sagt sie. Um die ganze Welt ist sie gefahren. Über Atlantik, Pazifik, den Indischen Ozean, das Rote, das Mittelmeer. Durchfuhr Panama und Suez. War auf Tahiti und Sri Lanka. War in Neuseeland und in Finnland auch.

Sie weiß, was läuft, draußen bei den Seemännern, kennt des Menschen unter einem südlichen Vollmond hüpfendes Herz und kennt das verschrumpelte Häuflein Elend so endlos weit weg von den Lieben zu Haus.

Am Anfang ist das so, sagt Dehning: Der Seemann geht von zu Hause aufs Schiff. Und arbeitet. Wenn er Urlaub hat, geht er vom Schiff wieder nach Hause. Und so weiter. Eines Tages dann hat sich das plötzlich verschoben. Er geht vom Schiff in den Urlaub. Am Ende des Urlaubs geht er wieder nach Hause an Bord.

Eine so unmerkliche wie unheimliche Veränderung: Das normale Leben in den so genannten geregelten Bahnen findet auf dem Schiff statt. Das Schiff wird Heimat. Und daheim ist die Ausnahme. Das kann freilich auch schön sein. Aber Ausnahmezustand ist auf die Dauer meistens schwer auszuhalten. Für alle Beteiligten.

Das ist die berufliche Deformation des zur See fahrenden Menschen seit Odysseus: Zwei Seelen hat er, ach. Auch Reinhild Dehning. Sie wird auch noch einmal wieder los müssen. Richtig, auf große Fahrt. Ihr Seefahrtsbuch liegt bereit. Das Seemannsheim ist gut bestellt. Wer des Seemanns Seelen kennt, kann ihnen überall Balsam verabreichen, an Land und auf dem Wasser auch.

mare No. 30

No. 30Februar / März 2002

Porträt von Peter Schanz und Axel Martens

Peter Schanz, Jahrgang 1957, ist Autor und Dramaturg und lebt auf Fehmarn.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.

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Vita Peter Schanz, Jahrgang 1957, ist Autor und Dramaturg und lebt auf Fehmarn.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Porträt von Peter Schanz und Axel Martens
Vita Peter Schanz, Jahrgang 1957, ist Autor und Dramaturg und lebt auf Fehmarn.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Porträt von Peter Schanz und Axel Martens