Wisch und weg

Fehmarn bietet einen brisanten Arbeitsplatz: Fensterputzen im Haifischbecken

Einmal ließ er die Filmmusik von „Der weiße Hai“ über die Lautsprecheranlage laufen. Die Hollywood-Beschallung im Meereszentrum auf Fehmarn zeugte von Galgenhumor. Für Wolfgang Haider stand wieder Fensterputzen auf dem Programm. Keine Hausfrauentätigkeit, sondern ein gewagtes Abenteuer: ein Job unter Haien. „Meiner Lebensversicherung erzähle ich lieber nicht, was ich hier mache“, sagt der Leiter des tropischen Aquariums, das zu den Schlechtwetter-Ausflugszielen der Insel zählt.

Der gebürtige Österreicher, der früher auf Wanderausstellungen Fischpräparate präsentierte und vor zwei Jahren mit seiner Lebensgefährtin den Meerestierzoo an der Ostsee errichtete („in die Alpen passt das ja nicht so toll“), setzt regelmäßig für die Sauberkeit einer Touristenattraktion seine Sicherheit aufs Spiel.

13 Raubfische ziehen ihre Bahnen in dem 400000-Liter-Areal, das 1998 als größtes Hai-Aquarium Deutschlands ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen wurde. Am gefährlichsten ist der sieben Jahre alte Zitronenhai, harmlos dagegen der Stierkopfhai. Jedes Tier, das neu ins Becken gesetzt wird, tastet erst einmal vorsichtig den sieben Zentimeter dicken Acrylglastunnel ab. Die Besucher sind fasziniert und abgestoßen zugleich und zucken zusammen, wenn ein weißer Schatten über sie hinweggleitet. „Durch das Glas könnte man Zeitung lesen“, sagt Wolfgang Haider, „so gestochen scharf ist es.“

Wegen der Lichtkuppeln im Dach des Aquariums bilden sich vor allem im Sommer schnell Algen. Die senkrechten Fenster an der Außenseite lassen sich mit einer langen Stange von oben putzen. Aber um den Glastunnel zu reinigen, muss der 30jährige Schnauzbartträger ins Becken steigen – in voller Tauchermontur. „Seit Jahren sind meine Tauchgänge nie tiefer als zwei Meter fünfzig“, witzelt er. Gut zwei Stunden dauert die gesamte Aktion, obwohl der zehn Meter lange Tunnel in einer halben Stunde gereinigt ist.

Vor dem Putzen kommt das Füttern: Satte Tiere sind ruhiger. Der Adrenalinpegel steigt trotzdem – bei dem Mann im Froschanzug genauso wie bei den Haien. Wolfgang Haider lässt zuerst eine Leiter ins Becken und wartet, bis sich die Meute wieder beruhigt hat. „An der Schwimmweise sieht man sofort, wenn sie nervös sind“, sagt Haider, „ob sie schön dahingleiten oder ob die Flossen stehen. Die wissen ja auch nicht, was da passiert.“ Die erste Hektik im Wasser hat sich gelegt, und der Fensterputzer wagt mit seinem Kollegen Thomas Ulrich den Gang ins fremde Territorium. Das erste, was sie jedesmal feststellen: Die Tiere sind schon wieder größer geworden. Selbst ein Ammenhai mit seinen imposanten 2,20 Metern, der durch die Scheiben von außen viel kleiner aussieht, kann noch wachsen. Der direkte Anblick löst gemischte Gefühle aus: „150 Kilo Gewicht kann man sich nicht in den Weg stellen“, sagt der gelernte Automechaniker und autodidaktische Meeresbiologe.

Haider hat sein Wischgerät in der Hand, Ulrich einen kurzen Holzstock. Rücken an Rücken bewegen sie sich im grünlich-blau schimmernden Salzwasser zentimeterweise über dem Glastunnel. Ein Balanceakt zwischen Ruhe und Reaktionsfähigkeit. Während der eine putzt, wehrt der andere potentielle Angreifer ab. Trotzdem dreht sich Wolfgang Haider immer mal wieder kurz um. „Das ist ganz logisch. Man muss sich einfach selber vergewissern, dass da nichts ist.“ Die kleinen Schwarzspitzen-Riffhaie, die ständig schwimmen müssen, um Sauerstoff in die Kiemen zu bekommen, schießen besonders schnell durchs Becken. Erst sind sie weg, aber nach zehn Minuten kommen sie nacheinander gucken.

Ein Sandtigerhai, dessen Spezies andere Fische im Ganzen verschlingt, rückt bis auf einen halben Meter an die Männer ran. Wolfgang Haider hält beim Wischen inne. Der starre Blick hinter der Tauchermaske zeigt, dass in diesem Moment extreme Vorsicht angesagt ist. Zwar gilt der Sandtigerhai für den Menschen als ungefährlich, fühlt sich aber zum Angriff herausgefordert, wenn er belästigt wird. Diesmal scheint Friede zu herrschen, das Raubtier dreht ab. „Leibwächter“ Thomas Ulrich atmet auf. Doch durch eine Bewegung wird Wolfgang Haider von ihm kurz am Fuß berührt. Erschrocken dreht der sich um. Sein Herz klopft ihm bis zum Hals. „Was mache ich jetzt?“ schießt es ihm durch den Kopf. Eine Sekunde Panik, erzählt er später. Ulrich gibt ihm ein O.K.-Zeichen. Und der Tunnel ist schon fast sauber.


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mare No. 14

No. 14Juni / Juli 1999

Von Anke Richter und Stefan Pielow

Anke Richter, Jahrgang 1964, arbeitet als freie Journalistin in Kiel. Derzeit ist sie Autorin der Frauenzeitschrift Amica. Für mare schrieb sie in Heft 13 über den Kieler Schiffsausstatter Günter Tiessen.

Stefan Pielow, Jahrgang 1959, ist freier Fotograf in Hamburg. Für mare porträtierte er zuletzt das Restaurant Lotsenhaus in Brunsbüttel (in No. 10)

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Vita Anke Richter, Jahrgang 1964, arbeitet als freie Journalistin in Kiel. Derzeit ist sie Autorin der Frauenzeitschrift Amica. Für mare schrieb sie in Heft 13 über den Kieler Schiffsausstatter Günter Tiessen.

Stefan Pielow, Jahrgang 1959, ist freier Fotograf in Hamburg. Für mare porträtierte er zuletzt das Restaurant Lotsenhaus in Brunsbüttel (in No. 10)
Person Von Anke Richter und Stefan Pielow
Vita Anke Richter, Jahrgang 1964, arbeitet als freie Journalistin in Kiel. Derzeit ist sie Autorin der Frauenzeitschrift Amica. Für mare schrieb sie in Heft 13 über den Kieler Schiffsausstatter Günter Tiessen.

Stefan Pielow, Jahrgang 1959, ist freier Fotograf in Hamburg. Für mare porträtierte er zuletzt das Restaurant Lotsenhaus in Brunsbüttel (in No. 10)
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