Wir sind Seeland

Die Bewohner der Torres-Strait-Inseln streiten vor Gericht für ihre Vorstellung von Seerecht: Der Ozean, sagen sie wie ihre Ahnen, ist nur die Verlängerung unseres Gartens

Gott kam aus Neuguinea. Er war ein Wal, später ein Kanu. Als er das Ziel seiner Reise erreichte, die Insel mit Namen Maer, hatte er die Gestalt eines Oktopus. Aus seinen acht Tentakel wuchsen die acht Klans der Insel, und seine Augen leuchteten als Gestirn, nach dem die Menschen navigieren würden.

Eine Schöpfungslegende, eine schwarzaustralische. Man muss mit den Legenden beginnen und auch mit Geographie, um die folgende Geschichte zu verstehen. Sie handelt davon, wem die See gehört. Aber die See ist für die Ureinwohner Australiens nicht einfach bewegtes Wasser. Sie ist „Seeland", ein Kosmos, in dem Land und Wasser, Mensch und Tier, Wind und Ahnen unzertrennlich sind.

Die Insel Maer liegt in der Torres Strait, das ist die Wasserstraße zwischen Neuguinea und Australien. Auf Seekarten ist die Insel allenfalls ein Krümel, meist Murray Island genannt; ein Kapitän Murray kam vorbeigesegelt, als Maer in der Sprache seiner melanesischen Bewohner schon lange Maer hieß. Ähnlich hinterließ Luis Vaez de Torres seinen Namen: Der Spanier befuhr die Strait als erster Europäer, 1606. Er sah Schwarze, „sehr korpulent und nackt", fing ein paar von ihnen ein und fand, sie könnten sich nicht gut verständlich machen.

Das sind die weißen Legenden.

Über den kleinen Platz vor dem Gemeindehaus der Insel weht Bob Marley aus dem Recorder. Maer empfängt mit einer Mischung aus Black-Power-Stolz und Südseephlegma. Junge Männer mit Spiegelglasbrillen flechten ohne Eile am Palmdach für eine Bühne; bald ist wieder Mabo Day, der Jahrestag des Urteils ist offizieller Feiertag in der Torres Strait. Zehn Jahre kämpfte der Mann sich durch die Gerichte, ein paar Monate vor dem Sieg holte ihn der Krebs. Zwischen Bananenstauden und knarrenden Palmen ein einsames Heldengrab, mit Marmorstein und Kette. Es nimmt fast die Hälfte von Mabos Grundbesitz ein - dieses lächerliche Zipfelchen Gartenland auf einer abgelegenen Insel veränderte den Blick Australiens auf sich selbst.

Eddie Mabo war das rebellische Produkt dieser Verhältnisse, ein schwarzer Aktivist, dem Klan-Establishment auf seiner Insel lange zu radikal. Suche nach Arbeit trieb ihn aufs Festland, er verlegte Eisenbahnschienen, wurde Gewerkschafter, gründete eine Black-Community-School. Auch begraben war er zunächst auf dem Festland; Rassisten beschmierten den Stein mit Hakenkreuzen, Mabo wurde umgebettet, auf Maer in Sicherheit gebracht. Die Luftwaffe half beim Transport; das weiße Australien zeigte ein schlechtes Gewissen.

Vielleicht überleben kleine Völkchen auf kleinen Inseln die Jahrtausende nur, wenn sie rigiden Regeln folgen. Auf Maer ist das Besitzdenken strikt bis zur Obsession. Der Oktopusgott brachte ein Moralgesetz, von dessen 26 Geboten die ersten lauten: „Nimm nur, was dir gehört. Geh nicht über Land, das dir nicht gehört." Gleiches gilt fürs Seeland. Widerrechtliches Fischen wurde geahndet mit schwarzer Magie, Tod bringender Zauberei. Wenn Bewohner anderer Inseln heute in den Gewässern von Maer fischen wollen, müssen sie um Erlaubnis fragen und den Fang später an die Gemeinde verkaufen.

Mittlerweile hat die Regionalregierung der 8089 Torres-Strait-Bewohner stellvertretend eine Sammelklage erhoben: Sie reklamiert für 42000 Quadratkilometer, das ist fast die ganze Strait, den Besitz von „Gewässern, Riffen, Fischen, Seebett und Untergrund". Ein solcher Katalog exklusiver Rechte am Meer ist wohl noch nie aufgestellt worden. Er reicht von der Ausbeutung jeglicher Ressourcen über die Produktion von Energie aus Wind und Gezeiten bis zum geistigen Eigentum an Mythologien und Zeremonien.

Schwarze indigene Fischer von den Inseln gegen weiße Fischer vom Festland, kleine Boote gegen große Boote, traditionelle gegen gewerbliche Fischerei - der Kampf um die See und ihre Ressourcen hat wirtschaftliche, politische und kulturelle Ursachen. Die Torres Strait ist reich an Fisch, aber die Einheimischen profitieren davon kaum. 90 Prozent der Einkünfte aus Langusten, Korallenbarschen oder Makrelen gehen aufs nordaustralische Festland. In den tieferen Gewässern der Strait parken 27 Freezer-Schiffe; nur eines gehört Einheimischen. 200 Boote stark ist die Flotte der Garnelentrawler, daran sind die Inselbewohner gar nicht beteiligt. Das Garnelengeschäft bringt 20 Millionen Australische Dollar im Jahr. Eine ähnliche Summe, nämlich 25 Millionen, zahlt der Staat den Inselbewohnern an Sozialhilfe. Mitten im Meer lebt die Mehrheit einer traditionellen Fischergesellschaft von Wohlfahrt.

Die Torres Strait den Ureinwohnern zu überlassen erscheint ökologisch sinnvoll: Der gesamte Fang müsste reduziert werden, um den Bestand zu sichern. Doch die Berufsfischer vom Festland drängen jetzt sogar vermehrt in die Strait: Denn das Great Barrier Reef nahebei wird nun endlich besser geschützt, in vielen Zonen ist das gewerbliche Fischen ganz verboten.

Wie bemisst sich die Grenze eines Seelands? Zum Beispiel so: Wie weit ein Mensch sehen kann, wenn er auf seiner Insel an einem klaren Tag auf einen hohen Baum steigt. Um zu widersprechen, verfassten Australiens oberste Richter ein Urteil mit 547 Fußnoten. Kulturen prallten aufeinander im Streitfall Croker Islands. Die Aborigines dieser Inselgruppe nördlich von Darwin kämpften sich sieben Jahre durch die Instanzen; sie forderten den exklusiven Besitz eines Gebiets, das wesentlich kleiner ist als die Torres Strait. Das Urteil im Oktober 2001 erkannte erstmals an, dass es indigene Seerechte gibt - aber grenzte sie stark ein. Die Aborigines dürfen ihre rituellen Stätten im Meer schützen, aber niemandem die Ausbeutung der Gewässer verwehren. Das so genannte „Recht der Öffentlichkeit zu fischen" hat in Australien stets Vorrang.

Die Bewohner der Torres Strait oder der Croker-Inseln sehen die See mit anderen Augen. Vergleichbar jenen Traumpfaden, die nach den Schöpfungsmythologien der Aborigines das Festland durchziehen, hat auch die Seelandschaft Markierungen: die Reisewege urzeitlicher Wesen, meistens Meerestiere. Im Croker-Islands-Prozess machten die Kläger den Schutz der Regenbogenschlange geltend: Das Ahnenwesen auf dem Meeresboden werde gestört, wenn Weiße rituell Unreines wie Knochen und Fleisch ins Meer würfen.

Das Territorium der Ahnen zu schützen gilt als ein unabweisbares Erbe; darum muss Fremden der Zugang verwehrt werden. Für einen Verstorbenen werden bestimmte Lieder gesungen, die seine Seele über die Wasserterritorien anderer Klans sicher zum Heimatland seiner Ahnen geleiten.

Australiens Regierung hat an den Strait-Inseln mehr Interesse als an jeder anderen Aborigine-Gemeinde. Denn über die versunkene Landbrücke drohen alle Übel Asiens und Neuguineas einzuwandern: landwirtschaftliche Schädlinge, Drogen, illegale Einwanderer. Die Bewohner der Torres Strait sollen Augen und Ohren der Regierung sein, dafür bekommen sie Häuser und Straßen und den Wohlfahrtsscheck.

Auf Thursday Island, dem Verwaltungszentrum der Torres Strait, spürt man die Depression des Nichtstuns besonders. Thursday Island war einst der Mittelpunkt der Perlindustrie, hierhin zog es Taucher aus Madagaskar wie aus Okinawa, und Somerset Maugham schrieb auf der Veranda des „Grand Hotel" seine Storys bei einem Gin Sling. Jetzt füttern gelangweilte junge Mütter die Spielautomaten mit Wohlfahrtsdollars, und abends im Pub halten sich betrunkene schwarze Dauergäste am Karaoke-Mikrofon fest.

Der Kampf um Seerechte ist auch ein Versuch, verlorene Würde wiederzufinden. Die Vorfahren der Männer in den Dingis waren stolze Navigatoren, reisten weite Strecken in 15 Meter langen Einbäumen, mit Doppelauslegern und zwei Segeln aus Palmblattgeflecht. Sie lasen das Meer wie ein Buch, lasen in Strömungen, in den Winden, in Fischvorkommen, Wassergeräuschen und Seevogelrouten. Die Fischer von heute verzichten auf GPS. Aber niemand lernt mehr die 80 verschiedenen Wörter der Miriam-Sprache für die feinsten Unterschiede bei den Gezeiten.


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mare No. 50

No. 50Juni / Juli 2005

Von Charlotte Wiedemann und Russell Liebman

Die Autorin Charlotte Wiedemann, Jahrgang 1954, lebte einige Jahre in Südostasien. Ihr Interesse an den Torres-Strait-Inseln entstand, als sie im indonesischen Teil Neuguineas den Kampf der melanesischen Papua recherchierte.

Der Berliner Fotograf Russell Liebman, geboren 1966, war überwältigt von der Gastfreundschaft der Insulaner - und davon, dass diese nur bis vor die Haustür reichte: „Ich hätte gerne ein paar Aufnahmen in den Wohnungen gemacht", sagt Liebman, „aber da ließen sie mich nie hinein."

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Vita Die Autorin Charlotte Wiedemann, Jahrgang 1954, lebte einige Jahre in Südostasien. Ihr Interesse an den Torres-Strait-Inseln entstand, als sie im indonesischen Teil Neuguineas den Kampf der melanesischen Papua recherchierte.

Der Berliner Fotograf Russell Liebman, geboren 1966, war überwältigt von der Gastfreundschaft der Insulaner - und davon, dass diese nur bis vor die Haustür reichte: „Ich hätte gerne ein paar Aufnahmen in den Wohnungen gemacht", sagt Liebman, „aber da ließen sie mich nie hinein."
Person Von Charlotte Wiedemann und Russell Liebman
Vita Die Autorin Charlotte Wiedemann, Jahrgang 1954, lebte einige Jahre in Südostasien. Ihr Interesse an den Torres-Strait-Inseln entstand, als sie im indonesischen Teil Neuguineas den Kampf der melanesischen Papua recherchierte.

Der Berliner Fotograf Russell Liebman, geboren 1966, war überwältigt von der Gastfreundschaft der Insulaner - und davon, dass diese nur bis vor die Haustür reichte: „Ich hätte gerne ein paar Aufnahmen in den Wohnungen gemacht", sagt Liebman, „aber da ließen sie mich nie hinein."
Person Von Charlotte Wiedemann und Russell Liebman