Wind mit Wumms

Die Bora, der wilde, zornige Fallwind an Kroatiens und Dalmatiens Adria, ist eine Plage. Das ist aber nur die halbe Wahrheit

Die Bora ist eine Anarchistin. Sie verbiegt Regenschirme, stiehlt Hüte und Wäsche von der Leine, zerfetzt Markisen, kippt Mülltonnen um, legt Autobahnen lahm. Lkw-Fahrer berichten dann Reportern aus ihren Kabinen heraus, ihre 20-Tonner würden schaukeln wie ein Boot auf dem Meer. Und was Diebe bereits mehrfach vergeblich versuchten – nämlich „Ursus“ zu stehlen, einen 70 Meter hohen, denkmalgeschützten Schwimmkran im Hafen von Triest –, das vollbrachte 2011 die Bora mit ihren Orkanböen: Sie riss den Giganten los, der auf die Bucht hinaustrieb. Wagemutige Lotsen mussten ihn wie Cowboys wieder einfangen.


Die Bora ist ein stürmischer Fallwind an der Adria, der zwischen Albanien und Triest weht und vom Landesinneren her über das Dinarische Gebirge kommt. Beim Anprall auf die Gebirgshänge wird der Luftstrom von mehreren Kilometern Stärke auf einige hundert Meter zusammengepresst und dadurch beschleunigt. Sobald diese kalte Luftmasse über die Gipfel an der Küste hinweggezogen ist, schießt sie das Karstgebirge hinab und erreicht dabei in Böen Geschwindigkeiten von bis zu 250 Stundenkilometern.


Auf der Hurrikanskala entspreche das Stärke 5, vergleichbar mit Hurrikan „Katrina“, der 2005 im Golf von Mexiko wütete, sagt der Meteorologe Branko Grisogono, Professor am Institut für Geophysik an der Universität Zagreb. Wer dann noch auf dem Meer ist, hat nicht mehr viel Zeit, eine schützende Bucht anzulaufen. Denn die Bora ist nicht nur stark, sondern auch schnell. Sobald die ersten Anzeichen – eine weiße Wolkenwand über den Bergkämmen – sichtbar werden, hat man maximal eine halbe Stunde Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen. Kommt die Bora näher, sieht man auf See eine dunkle Linie auf der sonst azurfarbenen Wasseroberfläche. Dann hat man noch wenige Minuten, um die Segel zu reffen. 


Josip Vrban, 68, hat das erlebt. Der Schweißer und Hobbyfischer aus dem kroatischen Sveti Juraj brachte seine Netze aus, als im Jahr 2006 eine Bora sein kleines Boot, keine drei Meter lang, schneller mit Wasser füllte, als er wieder herausschöpfen konnte. „Wenn du bei solchem Wetter auf dem Meer bist, bist du nichts“, erzählte er dem österreichischem Filmemacher Bernhard Pötscher für dessen Film „Bora“. Als Vrban und sein Begleiter den Ernst ihrer Lage erkannten, wendeten sie, doch der Sturm kippte auf halber Strecke das Boot um. „Wir haben das Boot über- und das Meer unterschätzt. Wir haben nicht auf den Wetter­bericht gehört“, sagt er. Der salzige Schaum macht halb blind, und er nimmt über Bord Gegangenen die Luft zum Atmen, wenn sie gegen die Wellen ankämpfen. Manche Menschen ersticken, noch bevor sie untergehen, an der Gischt. Durch eine Kälteschockreaktion oder vor Anstrengung atmen sie viel zu schnell, sodass das Meerwasser in die Lungen gelangt – schon ein Viertelliter bringt sie in Atemnot, wodurch man nur noch mehr Wasser inhaliert. Vrban hat sich zwei Stunden über Wasser gehalten, dann wurde er von der Küstenwache gerettet. 


Das war im Velebitkanal, einer Meerenge zwischen dem Festland bei Senj und den Inseln Krk und Rab. Hier ist die Bora am gefährlichsten, weil sie durch einen engen Korridor in den ­Bergen eine besondere Wucht entwickelt. Hier, sagt Vrban, gebe es ­keine Gnade. Auf den Inseln im Velebitkanal wurden nach einer Bora schon Fische am Strand gefunden, der Sturm hatte sie an Land geschleudert. Wer sich Dalmatiens Inselwelt auf Satellitenfotos anschaut, sieht, dass Krk, Rab, Goli Otok und besonders die südlicher gelege­ne Insel Pag dort, wo der Sturm vom Festland her auf sie trifft, fast weiß aussehen und da so gut wie nichts wächst. Goli Otok, was übersetzt „Kahle Insel“ heißt, ist eine bizarre Mondlandschaft, und auf Pags Ostseite ragen nur einige widerstands­fähige Pflanzen wie Salbei hervor. Weiter nördlich auf der Insel Prvic´ ist eine Steineiche knapp einen Meter nach oben und dann vier Meter in die Horizontale gewachsen, geformt von der Bora.

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mare No. 150

mare No. 150Februar / März 2022

Von Silvia Tyburski

Silvia Tyburski, geboren 1976, arbeitet als Journalistin in Hamburg und erlebte zweimal eine Sommerbora: in Senj und im slowenischen Piran. Zum Glück war sie beide Mal an Land.

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Vita Silvia Tyburski, geboren 1976, arbeitet als Journalistin in Hamburg und erlebte zweimal eine Sommerbora: in Senj und im slowenischen Piran. Zum Glück war sie beide Mal an Land.
Person Von Silvia Tyburski
Vita Silvia Tyburski, geboren 1976, arbeitet als Journalistin in Hamburg und erlebte zweimal eine Sommerbora: in Senj und im slowenischen Piran. Zum Glück war sie beide Mal an Land.
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