Wie riecht das Meer?

Starparfümeur Geza Schön erläutert im Gespräch mit mare die Schwierigkeit, Meeresduft in einen Flakon zu bekommen. Die Plauderei ist die Geburtsstunde des mare-Parfüms Eau du Levant

Die mare-Redakteure Nikolaus Gelpke und Dimitri Ladischensky, beide Parfümenthusiasten, sprachen mit dem Berliner Starparfümeur Geza Schön über den Geruch des Meeres. Sie wollten von ihm wissen: Könnte er für mare einen Meeresduft kreieren? Die Antwort ist das mare-Parfüm Eau du Levant.

mare: Geza, du hast viele Jahre für die Parfümindustrie gearbeitet, bevor du dich selbstständig gemacht und mit der Parfümserie „Escentric Molecules“ einen Welterfolg gelandet hast. Kate Moss kauft kistenweise Molecule 01, und Lionel Messi trägt es auch. Du giltst als Rebell und Revolutionär der Duftwelt, hast nicht nur die Wahrnehmung von Düften verändert, sondern auch die Art und Weise, wie sie entstehen, indem du einige deiner Parfüms auf einen einzigen Duftstoff reduziert hast. Wer, wenn nicht du, kann uns sagen, wie das Meer riecht?

Geza Schön: Ich werde nie diesen einen Moment vergessen, als ich in Thailand auf Koh Phangan war, vor 20 Jahren, Mitte der 1990er Jahre, da gab es gerade diese maritime Welle in der Parfümerie. Alles musste nach Meer riechen. Ich bin an den Strand gegangen, der Wind blies vom Meer her an den Strand, und ich habe gedacht, okay, wonach riecht es denn? Und dann die Überraschung: nach gar nichts. Das Meer roch nicht. Wasser hat keinen Geruch. Was soll ich wässrige Noten anbieten? Das war für mich einer der größten Momente: festzustellen, dass Meerwasser nicht immer riechen muss. Es gibt natürlich zig Versuche von Parfümfirmen, das Meer irgendwie reinzubringen. Die ganzen „aquatischen“ Düfte bei Douglas und in den Kaufhäusern: alles eher ärgerlich.

Was an ihnen ist so schlecht?

Sie riechen immer ein bisschen nach Toilettenstein. Nach WC-Ente. Und wisst ihr, woher das kommt? Von Calone. Ursprünglich wurde das nur in funktionalen Sachen wie Reinigungsmitteln und Toilettensteinen eingesetzt. Man kann Calone verwenden, aber muss es meiner Ansicht nach vorsichtig machen.

Warum überhaupt nehmen Parfümeure Calone?

Wegen der Assoziation. „Frisch“ ist streng genommen kein Geruch. Man muss bei Parfüms häufig mit Krücken arbeiten, um die physischen Sinneseindrücke, die bei einem Geruch eine Rolle spielen, in den Duft hineinzubringen. Meer ist frisch. Zitrone ist frisch. Also tun wir Zitrone und/oder Calone in ein Meeresparfüm.

Cool Water ist ein berühmter Meeresduft. Auch ärgerlich?

Cool Water ist ein Jahrhundertklassiker, ein Oldtimer, völlig zu Recht. Aber da ist kein Calone drin. In der Rezeptur wurden Dinge angestellt, die damals echt drastisch waren: die krasse Grünnote mit der Orangenblüte …

Grünnote? Bei Cool Water geht es doch ums Wasser …

Es gibt aber kaum Dinge, die blau sind und riechen. Es gibt blaue Blumen, aber die riechen in der Regel nicht. Wir haben kein geruchliches Verhältnis zur Farbe Blau. Deshalb funktioniert Cool Water nur über die Assoziation mit der Orangenblüte und der Grünnote plus Bergamotte und Dihydromyrcenol, einem frisch-bitteren Riechstoff. Mit Grün verbinden wir die Frische, das Meer ist auch frisch. Also lassen wir das Parfüm grün duften. Ich selbst habe mir als Schüler damals eine Flasche Cool Water gekauft, weil ich das so toll fand.

Aber Cool Water steht doch auch bei Douglas?

Ja, aber das ist eine Ausnahme … Ich habe einmal einen echten Meeresgeruch gemacht, für den Künstler Wolfgang Georgsdorf, der für ein Kunstprojekt den Geruch des Meeres in einen Raum bringen wollte, und dafür habe ich mich an die Amalfiküste gesetzt und gerochen. Es roch nach Jod. Nach Salz. Nach nassem Hund. Ich habe das alles notiert und dann diesen Meeresgeruch gemacht. Eine Kombination von bestimmt acht oder neun Duftrohstoffen, die dabei alle eine Rolle spielen. Es gibt natürlich viele synthetische Duftrohstoffe, die in der Parfümindustrie eingesetzt werden. Aber die meisten natürlichen Aromen kann die Parfümindustrie inzwischen auch künstlich nachbilden. Teilweise entstehen im Labor völlig neue Gerüche, die in der Natur nicht vorkommen. Solch ein künstliches Aroma, das zwar in der Natur nicht vorkommt, aber das Meer oder einen Aspekt davon simuliert, heißt Maritima.

Und wie riecht Maritima?

Ich hole es einmal. Das ist ein synthetischer Rohstoff von der IFF [das Parfümunternehmen International Flavors & Fragrances Inc., Anm. d. Red.]. Ist in der Parfümerie schwierig einzusetzen, weil es in eine sehr spezielle Richtung geht …

Es riecht ein bisschen muffig, aber angenehm. Angenehmes Brackwasser. Noch nicht faulig.

Hat auch was von nassem Hund, finde ich.

Und nasser Hund findest du gut?

Um gut oder schlecht ging es bei dem Kunstprojekt gar nicht, es ging um Authentizität.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 127. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

 

Der offizielle Duft der Meere

Gibt es einen offiziellen Duft der Meere, sozusagen einen wissenschaftlich erwiesenen? Angeblich ja. Demnach ist Phytoplankton verantwortlich für den einen „typischen“ Geruch des Meeres.

Phytoplankton sondert Dimethylsulfid (DMS) ab, etwa 30 Millionen Tonnen von dem Gas gelangen jährlich in die Atmosphäre. Vor allem in Küstengewässern, wo sich das Plankton wohlfühlt, riecht es daher typisch meerig. Vor zehn Jahren konnten britische Forscher um den Biologen Andrew Johnston von der University of East Anglia sogar das Gen nachweisen, das für die Produktion von DMS verantwortlich ist. Ihnen gelang es, den Meeresduft zu kopieren.

Der deutsche Biologe Boris Worm, Professor an der Dalhousie University im kanadischen Halifax, hält es allerdings für übertrieben, von „dem einen“ Meeresduft zu sprechen. Es gebe mehrere, die uns Menschen vertraut sind. Dimethylsulfid etwa verursache einen erfrischenden Duft, der an Gurken erinnere. „Deswegen würde ich hier vom Frühlingsduft des Meeres sprechen.“ Tatsächlich ist der Frühling auch die Zeit der Algenblüten. Dann ist der Geruch des Phytoplanktons so intensiv, dass ihn Pinguine etwa über Hunderte Kilometer hinweg wahrnehmen. Für sie diene das Plankton als eine Art Nahrungsanzeiger, so Worm. „Sie schwimmen dorthin in der Hoffnung auf Fische und Quallen.“

Bei all den frühlingshaften, positiven Assoziationen – eigentlich ist der Geruch von DMS nicht unbedingt ein Genuss: DMS kommt zum Beispiel im Vaginalsekret von Goldhamsterweibchen vor und ist auch eine Komponente von Mundgeruch im menschlichen Atem.

Ein weiterer Effekt des Dimethylsulfids ist auch, dass es in Form von Aerosolen in die Atmosphäre gelangt und dort zu Wassertropfen wird. So entstehen Wolken über dem Meer, und das Klima bleibt kühl.

Jan Keith

mare No. 127

April / Mai 2018

Von Nikolaus Gelpke und Dimitri Ladischensky

Über Düfte lässt sich streiten? Die mare-Redakteure Nikolaus Gelpke und Dimitri Ladischensky waren erstaunt darüber, wie einig sie sich beim Proberiechen und bei der Auswahl der Duftstoffe waren.

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Vita Über Düfte lässt sich streiten? Die mare-Redakteure Nikolaus Gelpke und Dimitri Ladischensky waren erstaunt darüber, wie einig sie sich beim Proberiechen und bei der Auswahl der Duftstoffe waren.
Person Von Nikolaus Gelpke und Dimitri Ladischensky
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