Wie das Ahoj nach Böhmen kam

Von Kanuten, Karnevalisten und Konkurrenten. Kleine Geschichte eines maritimen Zurufs

Manchmal grüsst der Schlagersänger Karel Gott so seine Fans. Auch in den alten tschechoslowakischen Kinderfilmen, die im deutschen Fernsehen wiederholt werden, taucht die Anrede immer mal wieder auf. Und wer Prag oder Bratislava besucht, hört ihn im Alltagsgewühl ständig: den alten Seemannsruf „Ahoj!“.

Nicht so förmlich wie „Guten Tag“, nicht so flapsig wie „Hi“ – in Tschechien und der Slowakei ist „Ahoj“ so verbreitet wie in Deutschland das „Hallo“. Die Folge einer maritimen Passion? Schließlich hatte die Tschechoslowakei keine Küste, sondern war ein Binnenland par excellence. Oder Trotz? Ironie? Oder ganz im Gegenteil – liegt Böhmen eben doch am Meer, und haben es nur die Tschechen, die Slowaken und ein paar Dichter gemerkt?

Erklärungen für die ungewöhnliche Anrede gibt es zuhauf. Tschechische Seeleute könnten „Ahoj“ aus dem Hamburger Hafen mitgebracht haben. Dort unterhält die Spedition „Tschechoslowakische Elbe-Schifffahrt“ schon seit 1929 ein eigenes Terminal für den Frachtverkehr, bis heute komplett mit dem Wohnschiff „Praha“.

Eine andere Begründung: Wenn der Landgang der tschechischen Matrosen in den Industriehäfen an Moldau und Oberelbe endete, warnten die Mädchen aus den Hafenbars ihre Freier zum Abschied vor ihrer Berufskrankheit: „A hoj! Kdo nehojil, tomu upad!“ – „Und holla! Wer ihn nicht geheilt hat, dem ist er abgefallen!“

Nächste Variante: Seeleute der tschechoslowakischen Handelsmarine auf Heimaturlaub haben die Mode ausgelöst – schließlich verfügte die CˇSSR über zeitweise 13 Hochseeschiffe. Noch ein Vorschlag: Über die ursprünglich aus Böhmen und Mähren stammenden evangelischen Herrnhuter Brüder, die im 18. Jahrhundert in Amerika zu siedeln und zu missionieren begannen, soll maritimes Know- und Say-how in die alte Heimat geflossen sein. Und Günter Nenning behauptet gar, dass alles genau andersherum war: Die auf Europas Werften begehrten tschechischen Zimmerleute, so der österreichische Feuilletonist in mare No. 10, hätten den böhmischen Gruß „Ahoj“ überhaupt erst in Seemannsgebrauch gebracht.

Tatsächlich geht die Verbreitung des Grußes auf die zwanziger Jahre zurück, als das Kanufahren unter tschechischen Jugendlichen und Studenten enorm populär war. Die Kanuten, die in Ferien und Freizeiten auf den südmährischen und -böhmischen Flüssen unterwegs waren, bildeten eine Art Wandervogelbewegung. Sie kochten an Lagerfeuern und übernachteten in Indianerzelten; manche nannten sich sogar „trempi“, Tramps. „Ahoj“ – gesprochen mit lang gezogener zweiter Silbe: „A-hoooooj!“ – war ihre identitätsstiftende Anrede.

So wird die Geschichte des „Ahoj“ zur Sozialgeschichte. Mit ihrem Sport bildeten die Kanuten eine romantische Opposition gegen das spießige tschechische Bürgertum, vor allem aber gegen die verzankten Prager Politiker. Die regierten seit dem Zusammenbruch der k. u. k. Monarchie selbst; über ihre Propaganda für eine Rückbesinnung auf tschechische Traditionen gerieten sie schnell in einen dumpfen Antimodernismus. Der passte so gar nicht zur Aufbruchstimmung der Jugendlichen – die prompt einen als „international“ und schick empfundenen Gruß kultivierten.

Mit ihrem „Ahoj“ grenzten sich die Wandervögel vor allem vom Sokol – dem „Falken“ – ab, der nationalen tschechischen Sportbewegung seit den 1860er Jahren. Die Sokol-Vereine hatten sich durch die Opposition gegen die österreichische Fremdherrschaft in ihrem Land verdient gemacht. Nach 1918 aber, als die Tschechoslowakische Republik gegründet war, erstarrte der Sokol in der Lobpreisung des Tschechentums. Kaum andere Sportarten als Gymnastik waren akzeptiert; misstrauisch verweigerten sich die Vereine fast allen modernen Sportarten und erst recht denen aus dem Ausland – ein Abrutschen nach rechts, wie es im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch der Turnvater-Jahn-Bewegung in Deutschland ergangen war.

Sokol-Gruß war „Nazdar!“, wörtlich „Auf Gesundheit“ ähnlich dem russischen „Nasdrawje“. In tschechischen Wörterbüchern ist es übersetzt mit „Heil!“ wie „Ski Heil!“ im Wintersport oder „Petri Heil!“ unter Fischern. Alte tschechische Kanuten erinnern sich daran, dass sie immer besonders laut mit „Ahoj!“ antworteten, wenn ihnen jemand von Land hämisch oder arglos ein „Nazdar!“ zuwarf.

Arglos, weil „Nazdar!“ 1918 längst ein allgemein gebräuchlicher Gruß war und seinerseits das devote, aus der habsburgischen Tradition stammende „Sluzˇebník!“, „(Ihr) Diener!“, verdrängt hatte. Innerhalb von nur zwei, drei Jahrzehnten legte sich das in der Bevölkerung nun als modern empfundene „Ahoj“ über das ältliche „Nazdar“. Wobei auch Letzteres bis heute gebräuchlich ist; von der alten Polarität blieb erhalten, dass „Nazdar“ eher kräftig-aufmunternd und „Ahoj“ eher freundlich-gelassen verstanden wird.

Die erstaunliche Verbreitung des Ahoj ist ohne die ironisierende tschechische und slowakische Sprachlust kaum zu erklären. Bis heute kursieren in der Slowakei Ahoj-Abkömmlinge wie das vernied-lichende „Ahojcˇek“ („Ahoichen“), das zum Trinkergruß taugende „Ahojka“ („Prösterchen!“), die Plural-Anrede „Ahojte!“ („ahoi, ihr!“) oder gar eine grammatisch vollkommen korrekte Wir-Form „Ahojme sa“ („wir ahoien“, „wir sagen ahoi“).

Noch unter der Kommunistischen Partei hat es Ahoj im slowakischen Landesteil sogar zum Akronym gebracht: Es galt als Abkürzung für „Aj hriesˇnych ochranˇuje jezˇisˇ“, „Jesus schützt auch die Sündigen“. Wer es lieber auf Latein wollte, las Ahoj lateinisch als „Ad honorem jesum“ – „Jesus zur Ehre“. Demonstrativ benutzten es katholische Jugendliche untereinander, und selbst Pfarrer redeten ihre Schäfchen von der Kanzel herab damit an.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 21. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 21

No. 21August / September 2000

Von Dietmar Bartz

Dietmar Bartz ist mare-Chef vom Dienst. Von 1994 bis 1998 lebte er in der Slowakei. In Heft 20 schrieb er über die Geschichte des Wortes „Segel“

Mehr Informationen
Vita Dietmar Bartz ist mare-Chef vom Dienst. Von 1994 bis 1998 lebte er in der Slowakei. In Heft 20 schrieb er über die Geschichte des Wortes „Segel“
Person Von Dietmar Bartz
Vita Dietmar Bartz ist mare-Chef vom Dienst. Von 1994 bis 1998 lebte er in der Slowakei. In Heft 20 schrieb er über die Geschichte des Wortes „Segel“
Person Von Dietmar Bartz