Wenn Meuterei droht, hilft nur ein Sturm

Was tun, wenn die Crew rebelliert? Interview mit dem Psychologieprofessor Michael Stadler

mare: Die meisten Meutereien brachen aus, weil der Smutje schlechtes Essen serviert hat. Bestes Beispiel: der Panzerkreuzer „Potjomkin“. Bestimmt auch heute noch die Qualität der Kombüse die Psyche einer Crew?

Stadler: Ganz klar: ja. Bei den Weltumseglerregatten ist der zweitwichtigste Mann neben dem Skipper der Koch. Der hält die Leute bei Laune. Schlechtes Essen kann zu sozialen Spannungen führen. Fahrtensegler suchen immer exzellente Köche, die mit den Vorräten gut umgehen können.

Quell von Meutereien waren oft kleine Kerngruppen. Ist Gruppenbildung an Bord gefährlich oder eher ersprießlich?

Jedenfalls ist sie ganz normal. Ich habe früher einen Schoner geskippert mit 18 Leuten an Bord. Automatisch bilden sich da aus den einzelnen Wachen Gruppen heraus; mit einem deutlichen Ingroup-Verhalten gegenüber Externen. Das ist ganz natürlich und kann im günstigsten Fall zu einem Wettstreit darüber führen, welche Wache ihren Dienst am besten ausführt. Es muss nicht, kann aber auch zu sozialen Konflikten führen. Die entstehen allerdings eher innerhalb einer Gruppe, wenn ein Mitglied mit deutlichem Außenseiterverhalten dabei ist. Der kann, wie man in der Arbeitswelt sagt, „gemobbt“ werden. Interessant ist, dass die Hackordnung, die an Land herrscht, auf See zwischen denselben Personen völlig umgedreht sein kann. Etwa wenn ich Schulklassen an Bord habe und die Leitfiguren seekrank werden. Die sind dann sofort „out“. Andere, Außenseiter der Klasse, stehen auf einmal oben. Diese Neuordnung wirkt auch an Land fort.

Sollten Schiffsführer die Gruppen im Zweifel knacken?

Man kann sie knacken, die Wachen anders einteilen. Das kann aber Freude und Engagement schmälern.

Welche psychologischen Auswirkungen hat die soziale Dichte an Bord?

Natürlich eine konfliktträchtige. Jeder Mensch braucht einen ganz eigenen Lebensraum, den er nur für sich hat, einen Raum der Privatheit. Der ist an Bord schwer herzustellen, besonders wenn — wie es bei Regattaschiffen häufig der Fall ist — nicht jeder seine eigene Koje hat und keinen persönlichen Schrank. Die Crew darf nur so groß sein, dass es jedem möglich ist, sich zurückzuziehen.

Sind harte äußere Bedingungen oder unproblematische Situationen konfliktfördernder? Brechen Meutereien eher in Flauten aus oder vor Kap Hoorn?

Sozialpsychologisch gesehen sind Flauten gefährlicher. In stürmischen, äußerlich problematischen Situationen rückt die Crew eher zusammen.

Droht die Meuterei, kann der Käpt’n also nur auf den nächsten Sturm hoffen.

Er müsste den Wetterbericht hören und Kurs nehmen auf das nächste Tief.

Welche Signale sagen dem Kapitän: Achtung: Stimmung kippt, Meuterei droht?

Erstes Anzeichen ist, wenn sich Mitglieder der Crew von anderen zurückziehen, nicht mehr mit dem Schiffsführer reden. Die Probleme werden handfest, wenn normale, alltägliche Arbeiten an Bord verweigert werden, zum Beispiel der Abwasch. Auf Sportschiffen, mein Forschungsschwerpunkt, finden zwar selten regelrechte Meutereien statt. Aber die Bereitschaft zur Mitarbeit ist oft in Gefahr.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 7. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 7

No. 7April / Mai 1998

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Sabine Völkers, geboren 1967 in Stade, studierte an der Fachhochschule für Gestaltung, Hamburg, und lebt als freie Illustratorin in Berlin.

Michael Stadler lehrt an der Universität Bremen experimentelle Psychologie. Er schrieb u.a. das Buch Psychologie an Bord, Delius Klasing, Bielefeld 1994

Mehr Informationen
Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Sabine Völkers, geboren 1967 in Stade, studierte an der Fachhochschule für Gestaltung, Hamburg, und lebt als freie Illustratorin in Berlin.

Michael Stadler lehrt an der Universität Bremen experimentelle Psychologie. Er schrieb u.a. das Buch Psychologie an Bord, Delius Klasing, Bielefeld 1994
Person Von Ulli Kulke
Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Sabine Völkers, geboren 1967 in Stade, studierte an der Fachhochschule für Gestaltung, Hamburg, und lebt als freie Illustratorin in Berlin.

Michael Stadler lehrt an der Universität Bremen experimentelle Psychologie. Er schrieb u.a. das Buch Psychologie an Bord, Delius Klasing, Bielefeld 1994
Person Von Ulli Kulke