Wellenkraft – Die neue Welle?

Das Auf und Ab des Meeres könnte die ganze Menschheit mit ausreichend Energie versorgen

Allan Thomson beschreibt den wohl niederschmetterndsten Augenblick seiner Karriere mit der emotionslosen Sprache des Analytikers. „Fünf Tage ruhiges Wetter hätten wir gebraucht, um Osprey fest wie einen Fels auf dem Meeresboden zu verankern“, sagt er. Doch leider richtet sich das Wetter an Schottlands Nordküste nur selten nach der Vorhersage. Ein für die Jahreszeit unerwartet heftiger Sturm zerlegte im August 1995 das erste kommerzielle Wellenkraftwerk der Welt in seine Bestandteile, bevor nur eine Kilowattstunde Strom erzeugt werden konnte.

„Während der Installationsphase ist unsere Maschine am verwundbarsten“, erläutert Allan Thomson, „wir wussten das, doch gibt es im Laufe des Prozesses einen Punkt, an dem es weder ein Vor noch ein Zurück gibt. Während die Ballasttanks nur halb mit Sand gefüllt waren, scheuerte Osprey, durch die Wellenbewegung verursacht, über den felsigen Meeresboden. Hierdurch bekam Osprey den ersten Schlag, danach ging alles sehr schnell.“ Mit Osprey (Ocean Swell Powered Renewable Energy) versanken für die folgenden Jahre alle Hoffnungen auf den erwarteten Auftragsansturm in den tosenden Wellen des Nordatlantiks. Nach wie vor scheinen zerstörerische und schaffende Kraft der Welle zu nah beieinander. Dabei glaubt Allan Thomson, die Lösung unserer zukünftigen Energieprobleme gefunden zu haben.

Denn, theoretisch gesprochen, könnte der Energiehunger der Menschheit mit Leichtigkeit aus der Welle gespeist werden – sauber, nachhaltig und ohne die Atmosphäre mit Kohlendioxid zu belasten. Leider aber eben nur rein rechnerisch.

Streng genommen ist die Sonne die einzige erneuerbare Energiequelle auf Erden. Professor Kai-Uwe Graw von der Universität Leipzig erklärt: „Wellen sind nichts anderes als in Wasser gespeicherter Wind, und Wind ist nichts anderes als gespeicherte Sonnenenergie. Es findet also immer eine Energiekonzentration statt, was auf Dauer dazu führt, dass Windenergie vom Prinzip her preiswerter sein muss als Solarenergie und Wellenenergie wiederum preiswerter ist als Windenergie.“

Die Technik existiert, weiß Grundlagenforscher Graw, es gehe im Augenblick vielmehr darum, sie zu vertretbaren Kosten zu erstellen. Weitere Forschung, davon ist der Wasserbautechniker überzeugt, sei momentan gar nicht vonnöten. „Wir brauchen dringend ein Projekt“, so sagt Kai-Uwe Graw, „das vernünftig Energie produziert und in irgendeinem Land zur Energieversorgung beiträgt.“ Anders könne man den häufig gehörten Vorwurf, man sei Phantast, sowieso nicht entkräften.

Das ist auch Allan Thomsons Philosophie. Und er trägt den Gedanken sogar noch einen Schritt weiter: Wer früh genug in die Entwicklung investiert, hat zu gegebener Zeit den entscheidenden Marktvorsprung. So wird derzeit in den Büroräumen von Applied Research and Technology (ART), dessen Geschäftsführer Allan Thomson ist, fieberhaft an der Entwicklung von Osprey II gearbeitet.

Anders als bei Osprey I, bei dem über eine Million Mark Forschungsgelder aus dem europäischen Topf für Alternativtechnologien in das rund 10 Millionen Mark teure Projekt flossen, will das Unternehmen im schottischen Inverness diesmal völlig auf finanzielle Beihilfen verzichten.

Die letzte britische Regierung mit ihrem neoliberalen Ansatz hat sich schon seit 1995 aus der Entwicklung der Wellenenergie zurückgezogen. Allan Thomson ist darüber nicht böse. „Das Ganze muß sich rechnen“, sagt er, und: Der Schlüssel zum Erfolg sei ohnehin die Frage, ob sich die Ressource zu einem wettbewerbsfähigen Preis anzapfen lässt. In der Entwicklung der neuen Technologien ist der internationale Kapitalmarkt daher von weit entscheidenderer Bedeutung als gutgemeinte Regierungshilfe.

Zum Glück war Osprey I im Lloyd’s Register versichert. Die traditionsreichen Londoner Versicherer erkannten den Schaden an, so dass ART im Sommer nächsten Jahres, spätestens aber 1999, in der Lage sein will, das Nachfolgemodell Osprey II im Pentland Firth, vor der schottischen Nordküste in der Nähe der Wiederaufbereitungsanlage Dounreay, zu installieren.

Sollte dies gelingen, so würde sich die weltweit installierte Generatorenleistung aus Wellenenergie mit einem Schlag vervierfachen. Denn heute sind lediglich Wellenkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von knapp 700 Kilowatt installiert, soviel Leistung, wie eine einzige moderne Windkraftturbine besitzt.

Die Technik befindet sich in den Kinderschuhen, doch ihr Potential scheint atemberaubend. Berechnungen des norwegischen Energieministeriums zufolge könnte das skandinavische Land theoretisch 70 Gigawatt Leistung aus Wellenenergie gewinnen, weit mehr als es jemals verbrauchen könnte. Dabei hält es den Europarekord im Stromverbrauch.

Insgesamt gilt Europa in der kleinen Gemeinde der Wellenkraftenthusiasten als Kontinent mit großen Möglichkeiten. Denn für die Nutzbarmachung dieser Energieform wird vor allem ein „günstiges Wellenregime“ gebraucht, und das ist nirgends besser als zwischen dem 40. und 60. Grad nördlicher wie südlicher Breite. Zwischen 40 und 50 Kilowatt pro Meter Küstenlinie ließen sich zwischen Portugal und Norwegen nutzen, soviel wie sonst nirgendwo auf der Welt.


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mare No. 3

No. 3August / September 1997

Von Hans-Jürgen Marter

Hans-Jürgen Marter lebt als freier Journalist auf den Shetlandinseln

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