Wehrlose Panzer

Schildkröten dienen als Schlachtvieh und Rohstofflieferant, sie ersticken an Müll und in Netzen. Der Gefahrenreport

Ich mag Schildkröten“, sagt Ketut Dobiel, „am liebsten am Spieß mit Gemüse.“ In seinem Restaurant „Warung Sari Dewi“ in Nusa Dua, unweit der Luxushotels im Süden der indonesischen Insel Bali, ist dieses Sate Penyu – Schildkröte am Spieß – ein begehrter Leckerbissen. Zwar erscheint er nicht auf der Speisekarte. Dennoch wird das Menü angeboten, wie in anderen Restaurants auch. „Das ist erlaubt“, behauptet Ketut Dobiel. Der Schildkrötenpark auf der kleinen Insel bei Tanjung Benoa, einem bei Touristen beliebten Ausflugsziel, liefert die geschützten Meeresschildkröten an Restaurants und Privatkunden.

Im Schildkrötenpark erzählen Führer den ahnungslosen Touristen, dass die gefangen gehaltenen Schildkröten jeweils nach ein paar Monaten Aufenthalt im Park in die Freiheit entlassen werden. „Wir schützen Schildkröten“, erklärt der Parkmitarbeiter und dirigiert die Touristen zum Souvenirshop. Dort gibt’s massenhaft Schmuck, Kämme, Dosen, Salatbesteck – alles aus Schildpatt gefertigt. Zum Schluss weist der Balinese auf einen Kasten hin: „Spenden für Schildkrötenfutter“, sagt er. Das stimmt, und doch lügt er: Im Schildkrötenpark gibt es eine Lagerhalle mit Abteilen, in denen ständig zirka 100 Schildkröten vor sich hin vegetieren.

Jedes Abteil besitzt zwei Türen. Die eine führt zum Show-Pool für Touristen. Darin schwimmen ein paar Schildkröten zum Fotografieren. Hier fressen sie ihre mit Spendengeld bezahlte Henkersmahlzeit. Eine zweite, getarnte Tür in der Rückwand der Halle öffnet sich zum Meer: der Ein- und Ausgang für Lieferanten. Hier laden Schildkrötenschmuggler nachts ihre verbotene Fracht ab, die sie aus Sulawesi oder den Molukken anliefern.

Nur 200 Meter Meer trennen die Insel des Schildkrötenparks vom Festland. Manchmal sogar tagsüber setzen Helfer der Schildkrötenhändler mit Booten zur Rückseite der Lagerhalle über und entnehmen ein oder zwei Dutzend Schildkröten. Die bringen sie aufs Festland und sperren sie in Baracken: geheime Zwischenlager für lebendige Schildkröten – die Kunden sollen jederzeit beliefert werden können. Nach der Schlachtung werden die blutigen Schildkrötenpanzer zurück ins Zwischenlager gebracht. Vor Blicken gut geschützt, aber von Tausenden Fliegen verraten, lagern hier stapelweise leere Panzer: der Rohstoff für Souvenirartikel.

Artenschutz

Seit 150 Millionen Jahren schwimmen Schildkröten durch die Meere und Ozeane. Sie überlebten die Dinosaurier und auch die Eiszeit. Die Menschheit überleben sie wahrscheinlich nicht. Innerhalb von 20 Jahren etwa sank die Population der Lederschildkröte um beinahe 70 Prozent: Keine 3000 weibliche Exemplare gibt es noch. Zu wenig, um die Art zu erhalten, fürchten Experten.

Das Washingtoner Artenschutzabkommen (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora, Cites) verbietet den Handel mit Meeresschildkröten, 158 Nationen sind der Konvention bis heute beigetreten. Eine Vielzahl nationaler Gesetze und Ausführungsbestimmungen sollen die Schildkröten schützen. Die bestehenden Gesetze werden jedoch selten ernsthaft durchgesetzt. Auf Kuba, den Salomonen und auf Fidschi wird unbeirrt weiter geschlachtet.

Cites stellt nicht nur in Indonesien, sondern vor allem in Mexiko, in den meisten Staaten der Karibik und in Zentral- amerika regelmäßig illegalen Handel mit verschiedenen Schildkrötenarten fest. Traffic, die Überwachungsorganisation des World Wide Fund for Nature (WWF), und der World Conservation Union (IUCN) beklagen, dass besonders in der nördlichen Karibik die Nachfrage nach Schildkröteneiern und Fleisch trotz Verbot hoch sei. Die Region exportiert Schildpatt. Hauptabnehmer sind China und Japan.

Die Gründe für den Handel sind vielfältig. Obschon in den USA Meeresschildkröten seit 1973 geschützt sind – in Mexiko seit 1990 –, landen jährlich rund 35000 Schildkröten aus dem mexikanischen Baja California via Schwarzmarkt auf den Tellern strenggläubiger Katholi-ken in beiden Ländern. Denn zu Ostern, während der heiligen Fastenzeit, sind Schildkröten Fleischersatz. Wissenschaftler US-amerikanischer Universitäten und Tierschutzorganisationen sowie das Naturhistorische Museum von New York baten deshalb im Juli 2002 den Papst um Hilfe. Er sollte öffentlich erklären, dass Schildkröten keine Fische seien und deshalb in der Fastenzeit nicht verzehrt werden dürfen. Bislang bestätigte der Vatikan nur den Erhalt des Briefes.

Seit Jahrhunderten isst auch die oft arme Küstenbevölkerung der meisten karibischen und asiatischen Länder Schildkröten und deren Eier. Gekocht sollen die Eier der archaischen Tiere gut schmecken. Zusätzlich soll ihnen eine aphrodisierende Kraft innewohnen. Das sagen nicht nur Zentral- und Südamerikaner, sondern auch Asiaten. Das Schildpatt einzelner Schildkrötenarten wird zu Artikeln des alltäglichen Gebrauchs verarbeitet – vom Schmuckstück übers Brillengestell bis zum Aschenbecher.


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mare No. 41

No. 41Dezember 2003 / Januar 2004

Von Daniel Peterlunger und Kurt Amsler

Daniel Peterlunger, Jahrgang 1958, recherchierte diesen Beitrag unter nicht unerheblichen Gefahren: Mit Macheten attackieren die Betreiber der Schlachthäuser gewöhnlich unliebsame Beobachter.

Der Schweizer Kurt Amsler, geboren 1946, zählt zu den weltweit meist publizierten Unterwasserfotografen. Balis Schildkröten waren ihm eine Herzenssache.

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Vita Daniel Peterlunger, Jahrgang 1958, recherchierte diesen Beitrag unter nicht unerheblichen Gefahren: Mit Macheten attackieren die Betreiber der Schlachthäuser gewöhnlich unliebsame Beobachter.

Der Schweizer Kurt Amsler, geboren 1946, zählt zu den weltweit meist publizierten Unterwasserfotografen. Balis Schildkröten waren ihm eine Herzenssache.
Person Von Daniel Peterlunger und Kurt Amsler
Vita Daniel Peterlunger, Jahrgang 1958, recherchierte diesen Beitrag unter nicht unerheblichen Gefahren: Mit Macheten attackieren die Betreiber der Schlachthäuser gewöhnlich unliebsame Beobachter.

Der Schweizer Kurt Amsler, geboren 1946, zählt zu den weltweit meist publizierten Unterwasserfotografen. Balis Schildkröten waren ihm eine Herzenssache.
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